– Ihn packte mit Gewalt
Und schnitt ihm seine Gurgel ab der Bube
Und warf den Leichnam in die nächste Grube.
Ja, in ein Senkloch, wo des Koths entluden
Sich die Ebräer, warf er ihn hinein.
O, Ihr Herodesse! Verfluchte Juden!
Was wird die Strafe solches Frevels sein?
Mord will heraus – und hier zumal wird schrein
Das Blut zum Himmel, damit Gottes Ehre
Sich auf der Welt verbreite und vermehre.
O, Märtyrer, der unbefleckt geblieben,
Du gehst nunmehr dem weißen Lamm voran,
Und stimmst – wie dies in Patmos aufgeschrieben
Vom großen Evangelisten St. Johann –
Ein neues Lied im Himmel vor ihm an
Mit jenen Auserwählten im Verband,
Die nimmerdar ein fleischlich Weib erkannt.
Die ganze Nacht durchwachte, harrend immer,
Die arme Wittwe. – Doch ihr Kind blieb fort.
Und bleich vor Furcht ging sie beim Tagesschimmer
Zur Schule hin und suchte rings im Ort
Nach ihrem Kleinen emsig hier und dort.
Und so erfuhr sie schließlich durch ihr Spähen,
Daß man im Ghetto ihn zuletzt gesehen.
Im Mutterbusen Leid und Jammer hegend,
Und halb von Sinnen, ging die Wittwe dann
Auf Suche aus, jedweden Ort erwägend,
Wo sie den Kleinen etwa finden kann,
Und rief die güt'ge Mutter Christi an;
Bis sie, entschlossen, nach ihm das verfluchte
Quartier der Juden noch zuletzt durchsuchte.
Dort hub sie an, zu fragen und zu flehen,
Und ging in jedes Judenhaus hinein
Und bat zu sagen, ob sie nicht gesehen
Ihr kleines Kind? Und Alle sprachen: Nein!
Doch gab ihr Jesus den Gedanken ein,
Nach ihm zu rufen nahe bei der Stelle,
Wohin geschleppt ihn jener Mordgeselle.
O, großer Gott! zum Herold Deines Ruhmes
Machst Du der Unschuld Mund. Sieh'! Deine Macht
Wird von dem Glanzrubin des Märtyrthumes,
Der Keuschheit reinstem Demant und Smaragd,
Selbst mit zerschnittner Kehle kund gemacht!
Denn laut und deutlich durch den Platz erklingt,
Wie er sein »Alma redemptoris« singt.
Da dieses alle christlichen Genossen,
Die durch die Straßen gingen, Wunder nahm,
So sandten sie sofort zu dem Profoßen
Der augenblicklich auch zur Stelle kam,
Und Christ, den Himmelskönig lobesam,
Mit seiner allverehrten Mutter pries,
Und dann die Juden schleunigst binden ließ.
Emporgehoben unter Jammerklagen
Ward dann das Kind, das stets mit lautem Ton
Sein Lied noch sang, und zur Abtei getragen
In großer, feierlicher Procession.
Ohnmächtig lag die Mutter bei dem Sohn,
Und schwer nur schien den Leuten zu gelingen,
Die neue Rahel von ihm fortzubringen.
Durch einen Tod, der voller Schimpf und Qualen,
Ließ der Profoß sofort die Judenbrut,
Die darum wußte, für den Mord bezahlen.
Zu dulden war nicht solcher Frevelmuth;
Und den trifft Uebel, welcher Uebel thut.
Nach dem Gesetze ward von wilden Pferden
Das Pack geschleift, um dann gehängt zu werden.
Die kleine Unschuld lag auf seiner Bahre,
Und, ehe man die Leiche beigesetzt,
Sang mit den Klosterbrüdern vorm Altare
Der Abt die Messe; und dann ward zuletzt
Das Kind mit heil'gem Wasser noch benetzt.
Doch kaum fiel der geweihte Tropfen nieder,
Sang es: »O, Alma redemptoris« wieder.
Der Abt, ein Mönch von heilig frommen Sitten,
Wie Mönche oft – wenn auch nicht immer – sind,
Beschwor den Kleinen und hub an zu bitten:
»Bei dem dreiein'gen Gotte, sag' geschwind,
Was ist Dir widerfahren, liebes Kind?
Durchschnitten ist Dir – seh' ich – Deine Kehle.
Was ist der Grund, daß Du noch singst? Erzähle!«
»Bis auf den Wirbel ist mein Hals durchschnitten!«
– Sprach dieses Kind – »Längst hätt' ich nach der Art
Der Menschenkinder schon den Tod erlitten,
Doch Christus – wie die Schrift Euch offenbart –
Will, daß sein Ruhm für ew'ge Zeit gewahrt,
Und läßt mich, mein Gebet ihr darzubringen,
Der theuren Mutter, noch: ›O, Alma‹ singen.«
»Die Mutter Gottes, diese Gnadenquelle,
Hab' ich verehrt aufs Höchste lebenslang.
Sie war bei meiner Todesnoth zur Stelle,
Und hieß mich singen ihren Lobgesang.
Doch schien es mir, als ich im Tode rang,
Und ich das Lied sang, wie ich immer pflegte,
Daß sie ein Korn mir auf die Zunge legte.«
»Und deßhalb muß ich singen, immer singen
Zur Ehre dieser segensreichen Magd,
Bis von der Zunge dieses Korn zu bringen
Gelungen ist.« »Ich will« – hat sie gesagt –
»Dich nicht verlassen, sei nur unverzagt,
Mein lieber Sohn. Ich hole Dich bestimmt,
Wenn man das Korn von Deiner Zunge nimmt.«
Gleich nahm der heil'ge Mönch, der Abt vom Kloster,
Das Korn von seiner Zunge, und sodann
Schied von der Erde friedlich und getrost er.
Starr sah', indem wie Regen niederrann
Sein Thränenstrom, der Abt dies Wunder an,
Und fiel in Ohnmacht, und wie angekettet
Lag er bewußtlos auf der Flur gebettet.
Und weinend sanken alle Mönche nieder
Und priesen Christi Mutter im Verein.
Und hinterher erhoben sie sich wieder,
Und in ein Grab von weißem Marmelstein
Versenkten sie des Märtyrers Gebein.
Dort ruht er sanft. Und möge Gott uns segnen,
Daß ihm im Himmel einst auch wir begegnen!
O, junger Hugh von Lincoln, uns entrissen
Nicht minder durch verfluchter Juden Hand
In jüngstvergangnen Zeiten, wie wir wissen,
Sei für uns Sünder voller Unbestand
Dein Fürgebet zum gnäd'gen Gott gesandt,
In uns die Gnadengabe zu vermehren,
Maria, seine Mutter, zu verehren!
Prolog zu Sire Thopas.
Vers 6301–6321.
Ernst zum Verwundern blickte vor sich nieder
Beim Schlusse des Mirakels Jedermann.
Zuerst gewann der Wirth die Fassung wieder,
Sah mich zunächst mit seinen Blicken an
Und frug darauf: »Was bist Du für ein Mann?
Du scheinst mir einem Hasen auf der Spur,
Denn auf die Erde starrst Du immer nur.
Komm', rücke näher und erheitre Dich!
Ich bitte, Herr'n, räumt ihm ein Plätzchen ein:
Von Leibesumfang ist er ganz wie ich.
Dies muß für jedes Weibsbild, schmuck und fein,
Die wahre Puppe zum Umarmen sein!
Doch Koboldhaftes liegt in seinen Zügen,
Mit keinem Scherze macht er uns Vergnügen.
Gieb uns sofort, wie es die Andern thaten,
Zum besten einen lustigen Bericht!«
»Mein Wirth!« – sprach ich – »da bist Du schlecht berathen,
Denn andere Geschichten weiß ich nicht,
Wie höchstens nur ein altes Reimgedicht.«
»Schon gut!« – sprach er – »ich seh' an Deinen Mienen,
Du wirst uns schon mit guter Kost bedienen.«
Der Keim von Sire Thopas.
Vers 6322–6526.
Ihr Herren, hört mich gütigst an,
Denn melden will ich verament,
Euch einen lust'gen Spaß.
Von einem braven Rittersmann,
Der manchen Streit und Strauß gewann,
Mit Namen Sire Thopas.
Zur Welt kam er am fernen Strand
Jenseits des Meers im Flanderland,
Die Stadt hieß Popering.
Es war ein Mann von freiem Stand
Sein Vater, der aus Gottes Hand
Die Herrschaft dort empfing.
Sire Thopas war ein tapfrer Wicht,
Wie Franzbrod weiß war sein Gesicht,
Und scharlachroth sein Blut;
Und rosig war – ich lüge nicht –
Sein Mund, und war die Nase schlicht,
So stand sie ihm doch gut.
Von Corduan sein Schuhwerk war
Und saffrangelb hing Bart und Haar
Bis auf den Gurt ihm kraus.
Aus Brügge kam sein Hosenpaar,
Für seinen Goldrock gab er baar
Viel Genueser aus.
Das wilde Reh zu jagen, strich
Und auf der Falkenbeize schlich
Er überall umher.
Als Bogenschütz ihm keiner glich,
Bei jedem Ringkampf, sicherlich,
Gewann den Hammel er.
Nach ihm hat manche schöne Maid,
Anstatt zu schlafen, voller Leid
Aus par amour gegirrt.
Doch glich an süßer Züchtigkeit
Dem Blümchen er, das mit der Zeit
Zur Hagebutte wird.
Erzählen will ich Euch nunmehr,
Wie eines Tags von ungefähr
Sire Thopas stieg zu Pferd.
Auf seinem grauen Hengst ritt er,
Und trug in seiner Hand den Speer
Und in dem Gurt das Schwert.
So ritt durch einen Wald er fort
– Viel wilde Thiere gab es dort,
Ja, Hasen gab's und Reh' –.
Er ritt nach Ost, er ritt nach Nord
Und ihm passirte – auf mein Wort! –
Beinah' ein großes Weh.
Dort wuchsen Kräuter groß und klein
Bei Baldrian und Nägelein
Und Süßholz und Muskat,
Von dem die Nuß ins Bier hinein
– Mag's frisch, mag's abgestanden sein –
Ich Euch zu werfen rath'.
Dort tönte lust'ger Vögel Sang;
Es pfiff den ganzen Tag entlang
Der Specht, sowie der Fink,
Die Melodie der Drossel klang,
Von Ast zu Ast sich gurrend schwang
Die Turteltaube flink.
Und als der Drossel Lied erscholl
Ward windelweich und liebevoll
Es Sire Thopas zu Muth.
Er stachelte sein Roß wie toll,
Und von den Flanken rieselnd quoll
Dem Gaule Schweiß und Blut.
Doch müde ward Sire Thopas bald,
Zu reiten durch den grünen Wald
Mit solchem Ungestüm.
An einem Platze macht' er Halt,
Und als sein Roß er angeschnallt,
Gab er auch Futter ihm.
»Heil'ge Maria, ach, erbarm'
Dich meiner in dem Liebesharm,
Der mich bedrängt so schwer.
Ich träumte Nachts, ich hielte warm
Die Elfenkönigin im Arm,
Und daß mein Schatz sie wär'.«
»Es ist die Elfenkönigin,
Der ich in Lieb' ergeben bin.
Auf keine andre lenk' ich hin – die Wahl,
Kein Weib im Land begehrt mein Sinn,
Nur nach der Elfenkönigin
Durchreit' ich Berg und Thal.«
Dann stieg zu Roß und jagte keck
Er wieder durch Morast und Dreck,
Und suchte zu erspähn
Der Elfenkönigin Versteck,
Und kam nach langem Ritt zum Zweck
Und fand das Land der Fee'n.
Dort war er nun nach Nord und Süd
Mit seinem Mund zu spähn bemüht
In manchen wilden Wald.
Doch Keinen fand er; denn es mied
So Weib wie Kind in dem Gebiet
Aus Furcht den Aufenthalt.
Bis er vor einem Riesen stand;
Es nannte sich Sire Olephant,
Der Wütherich und sprach:
»Räumst Du mein Reich nicht, junger Fant,
Ist's um Dein Roß – bei Termagant! –
Durch einen Keulenschlag – geschehn;
Bei Harfenspiel und Symphonie
Und Pfeifenklängen wohnt allhie
Die Königin der Feen.«
Sire Thopas sprach: »Mit Schild und Wehr
Komm' morgen früh ich wieder her
Zum Kampfe, meiner Treu'!
Und, par ma foi, ich hoffe sehr
Du fühlst durch meinen lust'gen Speer
Noch bitterliche Reu. – Den Bauch
Durchstech' ich Dir, wenn mir's gelingt,
Und mache Dich, eh' Abend sinkt,
Zu meinem Sclaven auch.«
Sire Thopas eilte rasch zurück.
Ihm schleuderte manch Felsenstück
Der Riese hinterdrein.
Sire Thopas aber mied mit Glück,
Durch Gottes Huld und sein Geschick,
Vorsichtig jeden Stein.
Doch hört, Ihr Herr'n, denn mehr ergötzt
Als Nachtigallensang Euch jetzt
Ganz sicherlich mein Reim.
Sire Thopas spornt den Gaul und hetzt
Durch Berg und Thal, bis er zuletzt
Gelangte wieder heim.
Die Sänger rief er dann herbei,
Damit er aufgeheitert sei,
Bekämpf' er im Turnier
Den Riesen mit den Köpfen drei
Aus par amour und nebenbei
Der Dame zum Pläsir.
»Ihr Sänger,« – sprach er – »seid bereit
Und singt, zu kürzen mir die Zeit,
Umgürt' ich mich mit Stahl,
Romanzen voller Liebesleid
Und Lieder voller Herrlichkeit
Von Papst und Cardinal.«
Die Becher trugen sie hinein,
Sie holten Meth, sie brachten Wein
Und Backwerk allerhand,
Wie Honigbrod voll Spezerei'n,
Süßholz und Kümmel und sehr fein
Gestoßnen Zuckerkand.
Er kleidete mit eigner Hand
Den Leib in feinste Leinewand,
Und Arm und Beine steckt'
In Wamms und Hosen er und band
Den Harnisch über sein Gewand,
Damit die Brust gedeckt.
Ein Panzerhemd er drüber that,
Das aus dem stärksten Eisendraht
Von Judenhand gemacht.
Zum Schmucke zog er fernerweit
Ein lilienweißes Wappenkleid
Darüber für die Schlacht.
Im Schilde, das wie Gold so roth,
Mit Augen von Karfunkeln droht
Ein Eberkopf voll Groll.
Er schwur bei Bier, er schwur bei Brod,
Den Riesen schlüg' er sicher todt,
Es komme, was da woll'!
Es war gemacht sein Stiefelpaar
Aus cuirbouly, aus Messing war
Sein Helm; aus Elfenbein
Des Schwertes Scheide, und fürwahr
Sein Fischbein-Sattel glänzte klar,
Wie Mond und Sonnenschein.
Sein Speer, ganz haarscharf zugespitzt
Und aus Cypressenholz geschnitzt,
Statt Frieden Krieg versprach.
Sein Roß war apfelgrau und ging
Auf seinem Wege sanft und flink
Im Trabe wohlgemach – einher.
Und hiermit schließt mein erster Sang,
Doch dünkt's Euch Herren nicht zu lang,
Erzähl' ich Euch noch mehr.
Par charité! nicht länger plauscht,
Ihr Herr'n und Damen, hört und lauscht
Jetzt sämmtlich auf mein Wort.
Von Schlachten und von Rittersinn,
Von Galant'rie und Weiberminn'
Bericht' ich Euch sofort.
Sprecht von Romanzen Ihr, gewiß
Erwähnt Ihr Hornchild, Ipotis,
Sire Libeux, Pleindamour,
Sire Guy, Sire Bevis; doch die Blum',
Der Stolz, die Zier vom Ritterthum,
Das ist Sire Thopas nur.
Er schwang sich auf sein gutes Roß
Und eilends er von hinnen schoß
Wie Funken aus dem Schlot.
Sein Helmschmuck war und Wappenknauf
Ein Thurm mit einer Lilie drauf.
– Beschütz' ihn Gott in Noth! –
Da er auf Abenteuer aus
Gezogen war, schlief statt im Haus
Er stets im Mantel nur.
Sein Kopfpfühl war sein Helm. Sein Roß
Stand ihm zur Seite und genoß
Die Kräuter auf der Flur.
Er selbst trank Wasser aus dem Quell,
Wie einst der Ritter Percivell,
Der Ehrenmann, gethan;
Bis eines Tags – – –
Der Prolog zu Melibeus.
Vers 6527–6574.
»Bei Gottes Würdigkeit, nichts mehr davon!«
– Rief unser Wirth – »Ich bin so müde schon
Von Deiner dummen, faden Leierei,
Daß meine Ohren – stehe Gott mir bei! –
Mir schmerzen von den abgeschmackten Sachen.
Der Teufel möge solche Reime machen!
Das nenn' ich Knüppelreime!« – sprach der Wirth.
»Wie so?« – frug ich – »Soll ich denn unbeirrt
Nicht forterzählen, wie ein andrer Mann,
Da dies der beste Reim ist, den ich kann?«
»Bei Gott!« – rief er – »ganz grad' heraus erklärt,
Nicht einen Deut ist Dein Gereime werth,
Nur Zeitverschwendung ist's! Mit einem Wort,
Mein lieber Herr, Du reimst nicht weiter fort.
Laß sehen, weißt Du keine Thatgeschichten,
Und sei es auch in Prosa, zu berichten,
Die lehrhaft sind und lustig obendrein?«
»Recht gern,« – sprach ich – »bei Christi süßer Pein!
In Prosa weiß ich etwas vorzutragen,
Und, wie ich denke, soll es Euch behagen,
Sitzt Ihr nicht allzustrenge zu Gerichte.
Es ist die sittsamste Moralgeschichte;
Doch daß sie auch von Andern wird erzählt
In andrer Weise, sei Euch nicht verhehlt.
Ihr wißt gar wohl, daß jeder Evang'list
Vom Leiden unsres Herren, Jesu Christ,
Nicht immer grade wie der andre schreibt,
Wenn ihre Meinung auch dieselbe bleibt.
Sie stimmen in den Sachen überein,
Mag auch ihr Ausdruck oft verschieden sein.
Der schildert kurz, und jener schildert lang
Uns Christi jammervollen Kreuzesgang,
Doch gleichen Sinns, wie man nicht zweifeln kann,
Sind Mark, Matthäus, Lukas und Johann.
Und daher bitt' ich insgesammt Euch, Herr'n,
Zeih't mich nicht gleich der Willkür, insofern
Mehr Sprüche, als Ihr früherhin vernommen,
In der Erzählung Euch zu Ohren kommen.
Dem kleinen Schriftstück dadurch mehr Effect
Zu geben, hab' ich einzig nur bezweckt.
Hört Ihr mich drum mit andern Worten reden
Wie Ihr gewohnt seid, bitt' ich dennoch Jeden
Mich darum nicht zu tadeln; denn ich weiche
Vom Sinn nicht ab. Die Meinung ist die gleiche
Mit jener kleinen Abhandlung geblieben,
Nach welcher ich dies lust'ge Stück geschrieben.
Drum, darf ich bitten, was ich sage, hört,
Und auserzählen laßt mich ungestört!«
Die Erzählung von Melibeus.
Ein junger Mann, mit Namen Melibeus, reich und mächtig, zeugte mit seinem Weibe, Prudentia mit Namen, eine Tochter, die man Sophia hieß. Und eines Tages geschah, daß er zum Zeitvertreib aufs Feld hinaus, sich zu ergötzen, ging. Er ließ sein Weib und Töchterlein im Hause, von dem die Thüren fest verschlossen waren. Vier seiner alten Feinde hatten es erspäht und setzten Leitern an des Hauses Wände und durch die Fenster stiegen sie hinein; und dann verwundeten sie seine Tochter an fünf verschiedenen Stellen tödtlich mit fünf Wunden, das heißt an ihren Füßen, ihren Händen, an ihren Ohren und an Mund und Nase, und ließen sie für todt und gingen fort. Als Melibeus, wieder heimgekehrt, das Unglück sah, zerriß er wie ein Toller seine Kleider und hub zu weinen und zu schreien an.
Prudentia, sein Weib, so weit sie's wagen durfte, ersuchte ihn mit Weinen aufzuhören; indeß er schrie und weinte immer mehr.
Dies edle Weib, Prudentia, besann sich auf eine Stelle im Ovid, aus jenem Buche, genannt der Liebe Heilung, worin er sagt: der ist ein Narr, der eine Mutter stört, wenn sie des Kindes Tod beweint, eh' sie sich eine Zeit lang satt geweint; und dann soll sich der Mann befleißen, sie zu trösten mit Liebesworten, und er soll sie bitten, mit Weinen aufzuhören.
Aus welchem Grunde dieses edle Weib, Prudentia, geduldig es ertrug, daß eine Weile lang ihr Gatte schrie und weinte. Und als sie ihre Zeit gekommen sah, sprach sie zu ihm in dieser Art:
»Ach, Herr! Du machst Dich selber einem Narren gleich! Gewiß es ziemt nicht einem weisen Manne, daß er sich solche große Sorgen mache.« Denn deine Tochter wird durch Gottes Gnade genesen und es überstehn. Und ständ' es so, daß sie gestorben wäre, darfst Du Dich doch nicht selbst um ihren Tod zerstören. Denn so spricht Seneka: »Ein weiser Mann soll nicht zu sehr den Tod von seinen Kindern bejammern, sondern mit Geduld ihn tragen, so gut wie er den eigenen Tod erwarten muß.«
Doch Melibeus Antwort gab und sprach: »Wer könnte wohl das Weinen unterlassen, wenn also groß der Grund zum Weinen ist. Selbst Jesus Christus, unser Herr, beweinte den Tod von seinem Freunde Lazarus.«
Prudentia entgegnete: »Fürwahr, ich weiß, gemäßigt Weinen ist uns nicht verboten. Darf man betrübt mit den Betrübten sein, so ist gewiß zu weinen auch erlaubt. Apostel Paulus an die Römer schreibt: Der Mensch soll sich erfreuen mit den Frohen und weinen mit dem Volke, welches weint. Doch wenn gemäßigt Weinen auch erlaubt ist, ist ungemäßigt Weinen doch verboten. Im Weinen ist das rechte Maß zu halten, gemäß dem Spruch, den Seneka uns lehrt. Ist todt Dein Freund – so spricht er – so laß Dein Auge nicht zu feucht von Thränen, noch zu trocken sein; und wenn die Thränen Dir ins Auge kommen, so lasse sie nicht fallen. Und wenn ein Freund von Dir geschieden ist, so suche einen andern Freund zu finden. Denn das ist größre Weisheit, als zu weinen um Deinen Freund, den Du verloren hast. Was kann Dir dieses nützen? Und deßhalb – läßt Du Dich durch Weisheit leiten – treib Deine Sorgen aus dem Herzen fort! Erinnere Dich, was Jesus Sirach sagt: Ein fröhlich Herze macht das Alter lustig, doch ein betrübter Muth vertrocknet das Gebein. Auch sagt er: Sorgen in dem Herzen haben schon um sein Leben manchen Mann gebracht. Salamo sagt: Wie Motten in der Schafe Pelz die Kleider schädigen und der kleine Wurm den Baum, so schädigt Sorge auch das Herz des Menschen. Deswegen sollen wir den Tod von unsern Kindern so wie von unserm zeitlichen Besitz mit Langmuth tragen. Erinnere des geduldigen Hiob Dich. Als seine Kinder er verloren hatte und sein irdisch Gut, sprach dennoch er: Von meinem Herren ward es mir gegeben, von meinem Herren ward es mir genommen; wie es mein Herr gewollt hat, so ist's recht; gesegnet sei der Name meines Herrn!«
Auf alle diese Sachen seinem Weibe, Prudentia, Antwort gebend, Melibeus sprach: »All' Deine Worte sind so wahr wie nützlich.« Doch ist mein Herz also von Sorgen schwer, daß ich nicht weiß, was ich beginnen soll.
»Laß rufen« – sprach Prudentia – »alle treuen Freunde und wer von der Verwandtschaft weise ist.
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