Er liebte Kirchenglocken nicht, Betende nicht und nichts, was mit Frömmigkeit zu schaffen hatte. Selbst dem gemäßigten Protestantismus seines Vaters stand er ohne Verständnis gegenüber.
Es war keine Forderung, die er auszudrücken wußte, aber instinktiv ertrug er nur die Gesellschaft von gut angezogenen, sorglosen und klar übersehbaren Menschen. Wo er Geheimnisse spürte, verborgene Leiden, ein verdunkeltes Gemüt, Hang zu Grübeleien und äußere oder innere Kämpfe, wurde er frostig unnahbar und mied den Betreffenden. Daher sagte Frau Richberta: »Christian ist ein Sonnenmensch und kann bloß im Sonnenlicht gedeihen.« Sie hatte von früh an einen Kultus daraus gemacht, alles Trübe, Verzerrte und Schmerzliche von ihm fernzuhalten.
Auf ihrem Schreibtisch lag, nach einem Gipsabguß in Marmor gearbeitet, Christians Hand; eine große, nervige, feingegliederte, zu packen fähige, geschonte und ruhige Hand.
17
Auf der Fahrt zwischen Hanau und Frankfurt ereignete sich das Automobilunglück, dem Alfred Meerholz' junges Leben zum Opfer fiel. Christian, der den Wagen lenkte, blieb, wie damals beim Fällen des Baumes, auf wunderbare Weise unversehrt.
Crammon hatte Christian und Alfred bis Hanau begleitet. Dort wollte er Klementine von Westernach besuchen und am Abend mit der Eisenbahn nach Frankfurt fahren. Den Chauffeur, der Einkäufe machen sollte, hatte Christian schon tags zuvor nach Frankfurt geschickt.
Gleich zu Anfang nahm Christian ein schnelles Tempo, und als die Straße gegen Abend fast menschenleer und ohne Hindernisse dalag, steigerte er die Geschwindigkeit. Alfred Meerholz bestärkte ihn darin; der junge Mensch glühte im Rausch der Bewegung. Christian lächelte, und lächelnd ließ er die Maschine rasen.
Die Alleebäume sahen aus wie springende Tiere auf einer Momentphotographie, das weiße Band der Straße rollte schimmernd heran und wurde vom sausenden Gefährt verschlungen, der gerötete Himmel und die Hügel am Horizont schienen in Kreisen zu schwingen, die Luft siedete in den Ohren, der Körper bebte und verlangte noch wilder hingerissen zu werden über die Erde, die ihre glatte Rundheit lockend offenbarte.
Da tauchte ein schwarzer Punkt im weißen Schimmer der Chaussee auf. Christian gab ein Signal. Der Punkt wurde rasch zur Menschengestalt. Die Sirene gellte. Die Gestalt wich nicht. Christian packte das Lenkrad fester. Alfred Meerholz erhob sich im Sitz und schrie. Die Bremse konnte nicht mehr genügen. Christian riß das Rad herum; es war eine kleine Drehung zuviel: ein Ruck, ein Anprall, ein Krachen; das Geächz eines zusammenbrechenden Baumes, helles Zischen im Kessel, Aufprasseln einer Flamme, Klirren von Eisenteilen, und alles war vorüber.
Einen Augenblick lag Christian betäubt. Dann erhob er sich, fühlte an Arm und Leib herab; er konnte denken, konnte gehen. »All right«, sagte er vor sich hin.
Nun erblickte er den Körper seines Freundes. Mit zerschmetterter Hirnschale lag der junge Mensch unter den Trümmern der Karosserie. Ein kleiner roter Blutbach rann über den weißen Straßenstaub. Ein paar Schritte entfernt stand stumpfsinnig erstaunt der Betrunkene, der nicht ausgewichen war.
Schon eilten von allen Seiten Leute herzu. In der Nähe war ein Hotel. Christian antwortete einsilbig auf die vielen Fragen. Man versicherte sich des Betrunkenen. Ein Arzt kam, der die Leiche des jungen Meerholz untersuchte. Der Körper wurde auf eine Bahre gelegt und in das Hotel getragen. Christian telegraphierte erst an den General Meerholz, dann an Crammon.
Sein Reisekoffer hatte keinen Schaden genommen. Während er sich umkleidete, erschienen Polizeibeamte, die seine Erklärungen protokollierten. Dann ging er in den Speisesaal und bestellte zum Essen eine Flasche Bocksbeutel.
1 comment