Eva sah empor und begegnete dem Blick Christians; in ihrem Gesicht war ein rätselhafter Ausdruck von Hoheit und von Liebe.
Christian nahm den Globus aus dem Gestell, um mit ihm zu spielen. Er ließ ihn, als sei es ein Gummiball, auf der flachen Brüstung zwischen seinen Händen hin und her rollen. Aber da entglitt ihm die Kugel, stürzte in die Tiefe und rollte auf dem Boden weiter, gerade vor Evas Füße.
Sir Denis kam herbei, auch Crammon; Christian stieg die Treppe von der Galerie herunter.
Eva hob die Kugel auf und ging mit ihr Christian entgegen; er nahm sie, aber sie griff gleich wieder danach. Und sie hielt sie so, daß sie auf den Fingerspitzen ihrer rechten Hand lag. Die Linke hielt sie mit gespreizten Fingern daneben, der Kopf war vorgebeugt, die Lippen warm geöffnet.
»Das ist also die Welt,« sagte sie; »das ist eure Welt! Das Blaue ist der Ozean und das Schmutzige, Gelbe, das sind die Länder. Wie häßlich die Länder! Wie unförmlich! Wie ein Käse, an dem die Mäuse geknabbert haben! Pfui! O Welt, was alles auf dir kriecht! was alles auf dir geschieht! Das also bist du, Welt, so halt ich dich, so trag ich dich. Das gefällt mir.«
Die drei jungen Leute, obschon sie lächelten, verspürten einen leisen Schauder. Sie konnten auf dieser kleinen runden Erdkugel nicht mehr aufrecht stehen, sie stürzten vor dem Atemhauch der Tänzerin in die schwarze, unermeßliche Tiefe des Kosmos.
Und Christian sah, daß Sir Denis ihn anschaute, mit einem Entschluß ringend. Plötzlich ging der Baronet auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Christian gab ihm seine Hand, dem bevorzugten Rivalen, gegen den sich sein heimlichstes Gefühl doch im Vorteil wußte; denn zwischen Evas Antlitz und dem bunten Globus glaubte er ein geisterhaftes Figürchen wahrzunehmen, das sie mit bannendem Blick umfing, ein winziges Ebenbild seiner selbst, Eidolon.
Im Sommer wollten sie nach Exeterhall zurückkehren, um den Hirsch zu Pferde zu jagen, wie es dort Herrenbrauch war. Aber im Sommer war schon alles anders; im Sommer war Sir Denis schon von der runden Kugel geglitten.
14
Eines Tages, es war in London, kam Crammon zu Christian, setzte sich vertraulich zu ihm und sagte: »Ich reise ab.«
»Wohin willst du reisen?« fragte Christian erstaunt.
»In den Norden, Lachse zu fischen,« antwortete Crammon, »ich komme wieder zu dir, oder du kommst zu mir.«
»Aber warum reist du denn?«
»Mein Leben geht vor die Hunde, wenn ich dieses Weib noch länger sehen muß, ohne sie zu besitzen. That's all.«
Christian schaute Crammon flammend an und unterdrückte eine Gebärde zorniger Eifersucht. Dann wurde seine Miene wieder freundlich-spöttisch.
Und Crammon reiste.
Eva Sorel war die unbestrittene Beherrscherin der Londoner Modemonate. Alles war voll von ihrem Namen; die Frauen trugen Hüte à la Eva Sorel, die Männer Krawatten mit ihren Lieblingsfarben. Die umworbensten Größen der Zeit sahen sich neben ihr in den Schatten gestellt, sogar der Negerboxer Jackson. Sie konnte den Ruhm in vollen Zügen schlürfen und das Gold mit Eimern schöpfen.
15
Der Mai in London war sehr heiß. Sir Denis und Christian verabredeten den Plan zu einer nächtlichen Fahrt auf der Themse. Sie mieteten die Dampfjacht »Aldebaran«, bestellten ein köstliches Mahl auf dem Schiff, und Sir Denis schickte Einladungen an Freunde und Bekannte.
Vierzehn Herren und Damen der vornehmen Londoner Gesellschaft nahmen an der Partie teil. Die Jacht wartete am Landungsplatz vor dem Parlamentsgebäude, und kurz vor Mitternacht kamen die Gäste, alle in Abendkleidern. Es war der Sohn des russischen Botschafters dabei, der Honorable James Wheely, der Bruder des Ministers, der Graf und die Gräfin von Westmoreland, Eva Sorel, Fürst Wiguniewski und andre.
Punkt zwölf Uhr lichtete der »Aldebaran« die Anker, und die Musikkapelle, die aus erwählten Künstlern des Drury-Lane-Theaters bestand, fing an zu spielen.
Als die Jacht auf ihrem Weg flußaufwärts die Eisenbahnbrücke von Battersea erreicht hatte, sah man am linken Ufer, von einer Reihe trüber Straßenlaternen beleuchtet, eine unabsehbare Menschenmenge, Männer und Weiber, Kopf an Kopf, Tausende und Tausende.
Es waren streikende Arbeiter von den Hafendocks. Warum sie hier standen, so schweigend, so drohend im Schweigen, war keinem auf dem Schiff bekannt. Es mochte eine stumme Demonstration sein.
Sir Denis Lay, der viel Champagner getrunken hatte, trat an die Reling des Schiffes, und in seinem Übermut rief er ein dreimaliges Cheer hinüber. Kein Laut antwortete ihm. Wie eine Mauer stand die gedrängte Masse, und in den düsteren Gesichtern, die sich dem blendend erleuchteten Dampfer zukehrten, bewegte sich keine Miene.
Da sagte Sir Denis zu Christian, der neben ihn getreten war: »Wir wollen zu ihnen hinüberschwimmen, wir beide. Wer zuerst ans Ufer gelangt, ist Sieger und soll sie fragen, diese Leute, worauf sie warten, warum sie nicht in ihre Löcher kriechen, so spät in der Nacht.«
»Hinüber zu denen?« antwortete Christian und schüttelte den Kopf. Man forderte von ihm, er solle schleimiges Gewürm mit seinen Händen greifen und eine Trophäe daraus machen.
»Dann tu ichs allein,« rief Sir Denis und warf Frack und Weste auf das Deck.
Er war als vorzüglicher Schwimmer berühmt; die Gesellschaft nahm daher den Einfall als eine jener bizarren Launen hin, die an dem jungen Edelmann nicht überraschten. Nur Eva suchte ihn zurückzuhalten; sie näherte sich ihm und legte warnend die Hand auf seinen Arm. Vergeblich; schon schickte er sich an, mit einem Kopfsprung über das Geländer in den Fluß zu springen. Da kam noch der Kapitän, packte ihn an der Schulter und bat ihn, so üblen Scherz zu unterlassen, da die Themse bei aller scheinbaren Unbewegtheit eine starke und gefährliche Strömung habe. Jedoch Sir Denis riß sich los, eilte auf das Promenadendeck, und einige Sekunden später flog sein schlanker Körper in die schwarze Flut.
Niemand dachte an Unheil.
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