Der Schwimmer kam in mächtigen Stößen vorwärts, und die Zuschauer an Bord waren sicher, daß er das Ufer von Chelsea mit Leichtigkeit gewinnen würde. Auf einmal aber sah man ihn, der vom Licht eines Scheinwerfers am Ufer ziemlich gut beleuchtet war, die Hände über den Kopf werfen. Gleichzeitig rief er gellend um Hilfe. Ohne sich zu besinnen, sprang darauf ein Cellist von der mitgenommenen Musikkapelle mitsamt seinen Kleidern über Bord, um dem offenbar Ertrinkenden beizustehen. Unglücklicherweise war die durch die Ebbe verursachte Strömung um diese Stunde besonders heftig; sowohl Sir Denis als auch der Musiker wurden von ihr fortgerissen. Beide verschwanden in den Wellen.

Da wich die Betäubung von Christian, und ehe noch einer ihn hindern konnte, sprang er ebenfalls ins Wasser. Er vernahm einen Aufschrei; er fühlte, daß es Eva war, die schrie. Die Herren und Damen auf dem Schiff eilten ratlos hin und her. Christian konnte die Leiber der Gesunkenen nicht mehr wahrnehmen. Das Wasser staute sich und hemmte seine Bewegungen. Jähe Schwäche überfiel ihn, doch Angst hatte er nicht. Den Kopf hebend, sah er die stumme Menge der Arbeiter, Gesichter von Männern und Weibern, andre Antlitze, als er sie je geschaut; obwohl der Blick, den er auf sie heftete, nur sekundenkurz war, war er fast sicher, daß alle ihre finstere Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt wäre, daß sie auf ihn harrten, auf ihn ganz allein, die Tausende und Tausende. Die Schwäche nahm zu, sie hatte ihre Ursache im Herzen, das schwer und schwerer wurde. Aber da wurde er von einem Rettungsboot erreicht.

Um drei Uhr morgens, als es dämmerte, fand man die Leichen von Sir Denis und dem Musiker zwischen zwei Balken am Pfeiler einer Brücke. Sie lagen nun auf Deck, und Christian konnte sie betrachten. Die Gäste hatten das Schiff verlassen; auch Eva war gegangen, Fürst Wiguniewski hatte die Erschütterte weggeführt.

Die Matrosen hatten sich zur Ruhe gelegt. Das Deck war leer, Christian saß allein bei den Leichen.

Die Sonne ging auf, das Wasser des Stroms begann zu glühen, das Pflaster in den verödeten Straßen und die Mauern und Fenster der Häuser färbten sich mit Röte. Möwen flogen schreiend um den Schlot.

Christian saß allein bei den Leichen, in einen alten Mantel gehüllt, den ihm der Kapitän gegeben. Unverwandt schaute er in das Gesicht des toten Gefährten, das gedunsen und häßlich war.

 

16

 

Nördlich vom Loch Lommond wanderten Christian und Crammon; sie jagten Schnepfen und Wildenten. Das Land war rauh; unfern brüllte die See, am Himmel zogen vom Sturm zerfetzte Wolken hin.

»Mein Vater wird sich nicht freuen,« sagte Christian, »in den letzten zehn Monaten hab ich zweimalhundertachtzigtausend Mark gebraucht.«

»Deine Mutter wirds ihn zu verschmerzen lehren,« antwortete Crammon. »Du bist ja volljährig, kannst fünfmal soviel brauchen, ohne daß dich einer hindern darf.«

»Was wohl die kleine Lätizia treiben mag,« sagte Christian, warf den Kopf hoch und atmete die salzige Luft tief in die Lungen.

Crammon antwortete: »Ich denke auch bisweilen an das Kind. Man sollte sie der alten Gimpelfängerin nicht lassen.«

Ihr Kuß brannte längst nicht mehr auf Christians Lippen; sie hatten seitdem andre Flammen gespürt. Wie lachende Putten auf einem Gemälde gaukelten die schönen Gesichter um ihn her. Freilich, manche unter ihnen lachten jetzt nimmer.

Dunkelgekleidet war Eva zwischen weißen Säulen hervorgetreten, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Er sah es noch, sah ihr braunblasses Gesicht, die unsäglich schlanke Hand, die beredteste Hand der Welt. Sie hatte ihn mit dem scherzenden Du angeredet, wie sie oft zu tun pflegte, in der Sprache ihrer deutschen Heimat, die in ihrem Munde eindringlicher und melodischer klang als in irgendeinem Munde sonst.

»Wo gehst du hin, Eidolon?« hatte sie sorglos gefragt.

Er machte eine unbestimmte Bewegung. Er hielt offenbar dafür, daß es ihr gleichgültig war, wohin er ging.

»Man verläßt mich also, ohne um Urlaub zu bitten?« sagte sie und legte beide Hände auf seine Schultern. »Aber es ist vielleicht gut, daß du gehst. Du machst mich irre. Ich fange an, an dich zu denken, und das will ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich will es nicht.