Was brauchst du Gründe?«
Da stieg Sir Denis Lays gedunsenes Totengesicht vor ihnen auf, vor ihm und vor ihr, und sie schauten beide hin.
»Wann werden wir uns wiedersehen?« hatte er nach einer Weile zu fragen gewagt.
»Es hängt von dir ab,« hatte sie erwidert. »Laß mich immer wissen, wo du bist, damit ich dich rufen kann. Unsinn, ich werde dich natürlich nicht rufen. Aber es könnte doch sein, daß mich eine Laune ergreift und ich dich haben will, dich und keinen andern. Nur mußt du lernen –,« sie unterbrach sich und lächelte.
»Was? Was muß ich lernen?«
»Sprich mit deinem Freund Crammon. Er kann dir sagen, was du lernen sollst.« Nach diesen Worten war sie weggegangen.
Das Meer brüllte wie eine Herde von Büffeln. Christian blieb stehen und wandte sich an Crammon. »Hör mal, Bernhard, da ist eine Sache, die mir wunderlich im Sinn herumgeht. Als ich zuletzt mit Eva redete, sagte sie, ich müßte etwas lernen, wenn ich sie wiedersehen wollte. Und als ich sie fragte, was sie meinte, sagte sie, du könntest mir Auskunft darüber geben. Was ist es denn? Was soll ich denn lernen?«
Crammon antwortete ernsthaft: »Ja, siehst du, mein Schatz, das ist nicht so einfach. Manche wollen ein Beefsteak durchgebraten, manche wollen es roh; manche wollen es halb roh und halb gebraten, und wenn man nun den Geschmack nicht kennt und es in der Weise aufträgt, wie es einem selber am besten schmeckt, so riskiert man eine Blamage und steht da als ein Tropf. Es ist nicht einfach mit den Menschen.«
»Ich verstehe dich nicht, Bernhard.«
»Tut nichts, mein Lieber, tut nichts. Zerbrich dir nicht den schönen Kopf und gehn wir weiter. Die verdammte Gegend macht einen schwermütig.«
Sie gingen weiter, Christian mit einer ungekannten Traurigkeit im Herzen.
Auf jedem Pfahl eine Eule
1
Lätizia sehnte sich.
Sie fuhr mit der Gräfin-Tante in den Süden der Schweiz und lustwandelte staunend zu Füßen blauer Gletscher; sie lag am Ufer des Genfer Sees und träumte oder las Gedichte; von Bewunderern umringt, schritt sie lächelnd über die Promenaden der Kurorte; ihrer Jugend und ihres Schatzes von Gefühlen enthusiastisch bewußt, genoß sie den Tag und den Abend, Bild und Buch, Duft und Ton, alles, was zu genießen war; aber sie sehnte sich.
Viele kamen und redeten von Liebe, offen und verhohlen; und sie liebte; nicht eben den, der sprach, sondern das Wort, den Ausdruck, die Verheißung. Traf sie ein entzückter Blick, so war sie entzückt; Zwanzigjährigen und Sechzigjährigen schenkte sie ihr Ohr mit gleicher Geduld.
Doch sehnte sie sich.
Die Gräfin-Tante sagte: »Von den Aristokraten laß die Finger, Liebchen; sie sind ungebildet und voller Dünkel. Sie machen keinen Unterschied zwischen einem Weib und einem Pferd. Sie nageln dein junges Herz an einen Stammbaum, und wenn du die Gnade nicht zu würdigen weißt, bist du zeitlebens eine Deklassierte. Haben sie kein Geld, so sind sie zu dumm, welches zu verdienen, haben sie es, so verstehen sie nicht, es auf vernünftige Weise auszugeben. Laß die Finger von ihnen, es sind keine richtigen Menschen.«
Die Gräfin hatte schlechte Erfahrungen mit der Aristokratie gemacht. Sie sagte: »Du kannst dir denken, Liebchen, daß man es weit getrieben hat, wenn ich so reden muß.«
Lätizia saß auf dem Bettrand und betrachtete ihren seidenen Strumpf, der ein Loch hatte. Und sie sehnte sich.
Judith schrieb: »Wir erwarten dich und die Gräfin, wenn wir in unser Haus bei Frankfurt übersiedeln. Es ist ein feenhaftes Schloß, das uns Papa gebaut hat, und soll künftig der Familiensitz sein. Es liegt im Schwanheimer Wald, und mit dem Auto ist man in zehn Minuten in der Stadt. Die Leute, die es sehen, sind begeistert; Felix Imhof sagt, es erinnere an den Palast des Minotaurus. Es hat vierunddreißig Fremdenzimmer, eine fünfzig Meter lange Wandelhalle mit Säulen und Nischen und eine Bibliothek, die nach dem Muster der Peterskuppel in Rom angelegt ist und mehr als zwanzigtausend nagelneue Bücher enthält. Wer soll die alle lesen?«
»Ich freue mich auf die Bücher,« sagte Lätizia und preßte die Hand auf ihr Herz.
Sie hatte eine kleine Kröte aus Gold machen lassen; die trug sie aber nicht am Halse, sondern bewahrte sie in einem Schächtelchen aus Saffianleder auf und betrachtete sie oft, lieblich grübelnd.
In Schwetzingen machten sie die Bekanntschaft eines jungen Argentiniers von deutscher Abkunft. Er studierte in Heidelberg die Rechte, doch gestand er freimütig, daß er nur nach Europa gegangen sei, um sich eine deutsche Frau zu holen. Am Mittag sagte er es, am Abend gab er Lätizia zu verstehen, daß eben sie das Ziel seiner Wünsche sei.
Er hieß Stephan Gunderam, hatte eine olivenfarbene Haut, glühende Augen und tiefschwarze Haare, die in der Mitte des Kopfes gescheitelt waren. Lätizia war von seiner Erscheinung fasziniert, die Gräfin vom Gerücht seines Reichtums.
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