Sie zog Erkundigungen ein, und es erwies sich, daß die Fama nicht übertrieben hatte. Der Gunderamsche Landbesitz am Rio Plata war größer als das Großherzogtum Baden.

»Liebchen, das ist ein Mann für dich,« sagte die Gräfin; doch als sie bedachte, daß sie sich von Lätizia werde trennen müssen, fing sie an zu weinen und verlor für einen ganzen Vormittag den Appetit.

Stephan Gunderam erzählte von dem fernen, fremden Land, von seinen Eltern, seinen Brüdern, seinen Knechten, seinen Viehherden, seinen Häusern. Er sagte, die Frau, die er heimführe, werde eine Königin sein. Er war so stark, daß er ein Hufeisen biegen und einen fingerdicken Strick zerreißen konnte. Aber er fürchtete sich vor Spinnen, glaubte an Vorbedeutungen und litt häufig an Migräne; da lag er dann drei Tage im Bett und trank Warmbier mit Eidotter und Milch, ein Mittel, das ihm eine alte Mulattin geraten hatte.

Er verliebte sich dermaßen in Lätizia, daß er bleich wurde, wenn er sie sah. Als er bei der Gräfin um sie anhielt, zerdrückte er in seiner Erregung ein Figürchen aus Meißener Porzellan, das auf dem Tisch stand.

Die Gräfin sagte, sie müsse erst an Frau von Febronius, ihre Schwester, schreiben. Sie war würdevoll und gemessen, obgleich sie nach ihrer noch unvergessenen Gewohnheit der sentimentalen Naiven am liebsten in die dicken, runden Händchen gepatscht hätte. Sie erkundigte sich, wie es mit der Reinlichkeit in Argentinien bestellt sei und wie mit den Tafelfreuden. Damit es nicht den Anschein habe, als müsse man Lätizia ihrem Bewerber auf Gnade und Ungnade überliefern, brachte die Gräfin das Gespräch auf den Wald von Heiligenkreuz, der eine zwar nicht gesicherte, doch respektable Morgengabe darstelle. Stephan Gunderam antwortete etwas ungeduldig, er lege hierauf kein Gewicht; Land, Wald und Geld habe er für seine Person genug. Und er knirschte leidenschaftlich mit den Zähnen, so daß die Gräfin Angst bekam.

»Um so besser,« sagte die Gräfin zu Lätizia, »um so besser; er ist großmütig, er ist uneigennützig. Der Wald von Heiligenkreuz bleibt dir nach wie vor, mein Engel. Man weiß nicht, wie das Schicksal sich wendet; ein guter Feldherr denkt an die Reserven.«

»Lassen Sie mir ein wenig Zeit zur Entscheidung, Tante,« bat Lätizia, »ich kann mich an den Gedanken, zu heiraten, noch nicht gewöhnen. Ich bin so jung; heiraten, das heißt am hellichten Tag die Fensterläden schließen.« Die Heftigkeit von Stephan Gunderams Gefühl stimmte sie dankbar und weich; sooft seine Tigeraugen auf sie gerichtet waren, überlief sie ein wohltuendes Rieseln. Aber sie zauderte und zauderte; schließlich, von der Gräfin und von ihm bedrängt, wollte sie drei Monate Frist haben.

In einem Brief vertraute sie sich Judith Wahnschaffe an. Judith antwortete, sie möge doch den Argentinier auffordern, daß er für einige Zeit als Gast in das Frankfurter Schloß mitkomme. Dies dünkte Lätizia ein Ausweg. Als Postskriptum hatte Judith ihrem Brief die Mitteilung hinzugefügt, daß sie sich mit Felix Imhof verlobt habe.

Man hatte eine Verabredung mit Stephan Gunderam. Lätizia ließ sich von der Jungfer die Stiefel zuknöpfen; währenddem las sie in einem Band Lenauscher Gedichte.

»Du mußt dich eilen,« mahnte die Gräfin, »er wartet schon seit drei Uhr; du weißt, wie pünktlich er ist.«

Lätizia hörte kaum. Sie las: »Sahst du ein Glück vorübergehn, das nie sich wiederfindet, so blicke nur in einen Strom, wo alles wogt und schwindet.«

»Du mußt dich eilen, Liebchen,« mahnte die Gräfin.

Lätizia aber sehnte sich sehr.

 

2

 

In einer Stadt am Rhein mußten Christian und Crammon Station machen. Die Maschine des Wagens war schadhaft geworden, und der Lenker brauchte zur Ausbesserung einen ganzen Tag.

Sie verließen die Straßen der Stadt, es war ein schöner Septemberabend, und schweigend wanderten sie am Ufer des Stromes entlang. Als es dunkel wurde, kamen sie, fast ohne es zu wollen, in einen Biergarten, der am Wasser lag. Die Tische und Bänke, in die Erde festgerammt, standen unter dichtbelaubten Bäumen und waren von einigen hundert Menschen, Bürgern, Arbeitern und Studenten, besetzt.

»Laß uns eine Weile rasten und dem Volk zusehen,« sagte Crammon. Und sie fanden einen Tisch nahe dem Eingang, wo noch Platz war. Eine Kellnerin stellte zwei Krüge Bier vor sie hin.

Kellerluft war unter den Bäumen, von den Ausdünstungen der Menschen erfüllt. Die spärlichen Lampen hatten irisierende Nebelringe. Am Nachbartisch saßen Studenten mit roten Kappen und Bändern; sie hatten fette, gedunsene Gesichter und freche Stimmen. Einer schlug mit einem Stock dreimal auf den Tisch, dann begannen sie zu singen.

Crammon riß die Augen auf, und seine Lippen zuckten sarkastisch. Er sagte: »So denk ich mir eigentlich die Indianer, Sioux oder Irokesen.« Christian antwortete nicht. Er hatte die Ellbogen an den Leib gedrückt und die Schultern etwas hochgezogen.