Auch an den übrigen Tischen herrschte ziemlich viel Lärm. »Wir wollen doch wieder gehen,« sprach Christian nach einer Weile, »mir ist unbehaglich.«
»Ja, siehst du, mein Lieber, das ist das Volk,« belehrte ihn Crammon mit einer Mischung von Hochmut und Spott; »so singt es, so saust es, so riecht es. Und ruhig fließet der Rhein. Prosit, Durchlaucht.« Unter fremden Menschen nannte er Christian immer Durchlaucht und freute sich, wenn er dadurch eine ehrfürchtige Neugier bei Zuhörern erregte. Wirklich sahen einige Männer an ihrem Tisch betroffen nach ihnen und flüsterten untereinander.
Ein junges Mädchen mit blonden, um den Kopf geschlungenen Zöpfen war in den Garten getreten. Sie blieb am Eingang stehen und schaute suchend über die Tische. Die Studenten lachten; einer rief sie herzu. Sie zögerte verlegen, doch ging sie hin. »Wen suchst du, hübsches Kind?« fragte ein Fuchs. Das Mädchen schwieg. »In die Kanne für deinen Vorwitz,« rief ein älteres Semester, »mir geziemt die Frage.« Der Fuchs grinste und trank in langen Schlucken. »Was begehrst du, Mägdlein?« erkundigte sich das ältere Semester mit kollernder Bierstimme; »sollst etwa deinen Vater holen, ist er im Maßkrug steckengeblieben?« Das Mädchen nickte errötend. Nach ihrem Namen gefragt, antwortete sie, sie heiße Katharina Zöllner, nach dem Beruf des Vaters gefragt, antwortete sie, er sei Schiffer; sie sprach zwar leise, doch so, daß Christian und Crammon sie deutlich verstehen konnten. Er sei Schiffer und müsse um drei Uhr morgens schon gegen Köln fahren. »Gegen Köln,« lallte der Frager, »gegen Köln; so gib mir einen Kuß, und ich schaff ihn dir herbei.«
Das Mädchen bebte zurück. Die Kommilitionen fanden die Forderung berechtigt und johlten Beifall. »Zier dich nicht, Katharina,« sagte das ältere Semester, stand auf, faßte sie brutal um die Hüften und küßte sie trotz ihres erschrockenen Sträubens.
»Mir auch,« riefen die andern, »mir auch!« Schon war das Mädchen einem zweiten überliefert; dem riß sie ein dritter aus dem Arm; dem ein vierter, fünfter, sechster. Sie konnte nicht rufen, kaum atmen. Ihr Widerstand wurde schwächer, das Gelächter und Gebrüll ärger. Der Nachbartisch wollte nicht das Zusehen haben; »her zu mir,« meldete sich die Stimme eines dicken Kerls mit Warzen im Gesicht, und Gleichgesinnte wieherten. Als der letzte Student fertig war, packte jener das Mädchen, küßte es, warf es dem Nebenmann zu; immer mehr standen auf, streckten die Arme vor und verlangten die wehrlose Beute. Es geschah nichts, als daß sie sie küßten, aber es war eine ansteckende wüste Gier. Sogar die Weiber johlten und kreischten vergnügt, indes die Studenten, zufrieden mit ihrer Heldentat, aus rauhen Kehlen »Sassa geschmauset« sangen. »Sassa geschmauset, laßt uns nicht rappelköpfig sein.«
Der Körper des Mädchens, eine leblose Masse, wirbelte willenlos von Arm zu Arm. Christian und Crammon hatten sich erhoben. Sie schauten in das Gewühl unter den Baumkronen, vernahmen das Geschrei, das Gelächter, die Zurufe, sahen das Mädchen schon weit entfernt, die Hände, die nach ihr griffen, ihr Gesicht mit den geschlossenen, jetzt wieder entsetzt offenen Augen. Endlich trat einer hinzu, der Mitleid hatte, ein junger Arbeiter, und schlug dem, der sie gerade küßte, die Faust auf die Nase; zwei andre fielen über ihn her, es entstand eine Rauferei, das Mädchen, mit letzten Kräften, taumelte gegen den Zaun, wo Gras wuchs. Ihr Haar war aufgelöst, ihre blaue Bluse zerrissen, daß man die nackte Brust gewahrte, ihr Gesicht voll häßlicher Flecken. Sie suchte sich aufrecht zu halten, nach einigem Umsichtasten brach sie zusammen; und nun kamen Besonnene, die ihr beistanden und einander fragten, was mit ihr zu tun sei.
Christian und Crammon gingen am Ufer des Stroms zur Stadt. Die Studenten hatten einen neuen Kantus begonnen, der mißtönig durch den Abend schallte und allmählich in der Ferne verklang.
3
Mitten in der Nacht verließ Christian sein Lager, zog einen seidenen Schlafrock an und ging in Crammons Zimmer.
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