Dort machte er Licht, setzte sich an Crammons Bett und rüttelte den laut Schnarchenden an der Schulter. Es war ein Ringen mit dem Schlafe selbst, und er wandte den Blick ab, um das verstörte, vertierte Gesicht nicht zu sehen.

Endlich, nach vielem Brummen und Stöhnen, öffnete Crammon die Augen. »Was willst du?« murrte er böse: »was geisterst du?«

»Ich möchte dich etwas fragen, Bernhard,« sagte Christian.

Crammon wurde immer zorniger. »Es ist ja närrisch, einem Menschen die wohlverdiente Ruhe zu verkürzen. Bist du mondsüchtig geworden oder hast du Leibweh? So frage, aber mach schnell.«

»Glaubst du, daß ich richtig lebe, so wie ich lebe?« fragte Christian. »Sei einmal ganz ehrlich und antworte mir darauf.«

»Meiner Treu, er ist mondsüchtig,« entfuhr es Crammon entsetzt, »er redet irre. Man muß einen Doktor rufen lassen.« Er schickte sich an, auf den Knopf des elektischen Läutewerks zu drücken.

»Laß das,« wehrte ihm Christian, unmutig lächelnd, »laß das, und bemüh dich lieber, zu überlegen, was ich sage. Reib dir die Augen, wenn du noch nicht munter bist; zu schlafen bleibt dir Zeit genug. Ist es, Hand aufs Herz, Bernhard, deine Ansicht, daß ich ganz richtig lebe?«

»Wie, um Himmels willen, kommst du auf solche Verrücktheiten, lieber Wahnschaffe, genannt Christian –?«

»Scherze nicht, Bernhard,« antwortete Christian stirnrunzelnd, »es ist jetzt nicht an dem. Glaubst du, daß ich bei Eva hätte bleiben sollen?«

»Unsinn,« sagte Crammon; »sie hätte dich betrogen, sie hätte mich betrogen. Sie würde den Kaiser betrügen und vor unserm Herrgott doch unschuldig dastehen. Mit ihr kann man nicht rechnen, mit ihr kann man nicht sein, sie ist bloß für die Augen da. Auch das mit dem Eseltreiber in Cordova war Betrug. Gib dich zufrieden und laß mich schlafen.«

Christian erwiderte sinnend: »Ich verstehe nicht, was du sagst, und du verstehst nicht, was ich meine. Seit wir sie verlassen haben, ist mir manchmal, wie wenn ich bucklig geworden wäre. Ohne Spaß, Bernhard; ich steh auf, es befällt mich ein Schrecken, und ich recke mich gerade, so hoch ich kann. Ich weiß, daß ich richtig gewachsen bin, und doch ist mir so, als hätt ich einen Buckel.«

»Vollkommen übergeschnappt,« murmelte Crammon.

»Und nun sag mir, Bernhard,« fuhr Christian unbeirrt fort, und sein klares, offenes Gesicht bekam einen Ausdruck unbeschreiblicher Kälte, »hätten wir nicht der Schifferstochter helfen sollen, du und ich? Oder wenn es dir lästig war, hätt ich es nicht sollen? Sag mir das.«

»Was für eine Schifferstochter, zum Teufel?«

»Bist du so vergeßlich? Das Mädchen in dem Biergarten mein ich. Sie nannte doch ihren Namen, Katharina Zöllner, erinnerst du dich nicht? Und sagte, sie sei die Tochter eines Schiffers. Sie haben sie schauderhaft zugerichtet.«

»Sollt ich meine Haut zu Markte tragen für eine Schifferstochter?« versetzte Crammon wütend. »Die Leute mögen sich nach ihrer Fasson vergnügen, was gehts mich an, was gehts dich an? Bist du den wilden Bestien in die Pranken gefallen, als sie Adda Castillo zerfleischt haben? Und das ist weit schlimmer, als von hundert schmierigen Mäulern abgeschmatzt zu werden. Sei kein Schwachkopf, mein Lieber, und laß mich schlafen.«

»Ich bin neugierig,« sagte Christian.

»Neugierig? Worauf denn?«

»Ich will hingehen in das Haus, wo sie wohnt, und sehen, was mit ihr ist. Ich will, daß du mitgehst. Steh auf und geh mit.«

Vor Erstaunen riß Crammon den Mund auf. »Hingehen?« stotterte er, »jetzt? in der Nacht? Hast du deine fünf Sinne beisammen?«

»Ich wußte, daß du schimpfen würdest,« erwiderte Christian mit leiser Stimme und lächelte zerstreut, »aber mich plagt die Neugier so, daß ich mich in meinem Bett von einer Seite auf die andre wälze.« In der Tat hatte sein Gesicht einen lüsternen und erwartungsvollen Zug, der Crammon vollständig fremd war. Er fuhr fort: »Ich möchte sehen, was sie tut, was mit ihr geschieht, wies in ihrer Stube aussieht. Man muß das wissen, man ist ja ganz dumm, was diese Sorte Menschen betrifft. Komm nur mit, Bernhard,« schmeichelte er.

Crammon seufzte, Crammon entrüstete sich, Crammon verwies auf seinen gebrechlichen Körperzustand und die Notwendigkeit des Schlummers für seinen müden Geist; schließlich jedoch, da Christian allen Einwänden ein empfindungsloses Schweigen entgegensetzte und er ihn nicht allein in einen wer weiß wie gefährlichen und verruchten Stadtteil gehen lassen wollte, fügte er sich und stieg verdrossen aus dem Bett.

Christian nahm ein Bad und vollendete seinen Anzug mit gewohnter Sorgfalt. Vor dem Verlassen des Hotels schlugen sie das Einwohnerverzeichnis nach und fanden die Wohnung des Schiffers darin angegeben. Sie stiegen in einen Wagen und fuhren hin.