Susanne kämmte ihr die Haare, die die Farbe des Honigs hatten.
Auf dem Teppich kniete ein junger Mensch, siebzehn Jahre alt, sehr blaß, mit Tränenspuren im Gesicht. Er hatte ihr erklärt, daß er sie liebe. Er mochte nicht aufstehen, auch als der Fremde kam; seine unglückliche Leidenschaft machte ihn blind.
Crammon blieb an der Tür stehen.
»Susanne, du tust mir weh,« sagte Eva. Susanne warf den Kamm erschrocken auf den Boden.
Eva streckte Crammon die Hand entgegen. Er ging hin und beugte sich nieder, um die Hand zu küssen.
»Der Arme,« sagte sie lächelnd und deutete auf den Knaben, »er quält sich so, er ist so töricht.«
Der Knabe preßte die Stirn an die Lehne ihres Sessels. »Ich werde mich töten,« flüsterte er. Da schlug Eva die Hände zusammen und näherte ihr Gesicht, das spöttische Betrübnis zeigte, dem des Knaben.
Welche Bewegung! mußte Crammon denken; wie durchgebildet, wie zart, wie neu! Und wie sich das Augenlid hob und der Stern des Auges energischesten Glanz aufwies und in der Neigung des Kopfes das Kinn ein wenig sank und ein unerwartetes Lächeln in den Mienen war, halb darbend, halb süß, halb verschlagen, halb kindlich.
»Wo ist mein Goldreif, Susanne?« fragte Eva und stand auf.
Susanne antwortete, sie habe ihn auf den Tisch gelegt. Sie suchte dort umsonst, sie flatterte hin und her, ein schwarzer Riesenfalter, machte Laden auf und wieder zu, schüttelte den Kopf und drückte besinnend die Hand an die Stirn, endlich fand sich der Reif unter dem geschlossenen Klavierdeckel, neben einigen Hundertfrankscheinen.
»So ist es immer,« seufzte Eva und steckte den Reif ins Haar, »wir finden alles, aber wir müssen lange suchen.«
»Was für eine Art Französisch sprechen Sie eigentlich?« fragte Crammon, der vollkommen Pariserisch sprach.
»Ich weiß nicht,« erwiderte sie; »vielleicht ein spanisches, ich bin lange in Spanien gewesen, vielleicht ein deutsches. Ich bin in Deutschland geboren und habe bis zu meinem zwölften Jahr dort gelebt.« Ihr Blick verdunkelte sich ein wenig.
4
Der verliebte Knabe war fortgegangen, Eva schien ihn vergessen zu haben, kein Schatten war in ihrem braunblassen Gesicht. Sie setzte sich wieder, und nach einigen Worten und Fragen erzählte sie Crammon ein Erlebnis, das sie gehabt.
Der Grund, weshalb sie es erzählte, lag in Verbindung von Gedanken, die sie nicht äußerte. Ihre Blicke ruhten still im Unbegrenzten, für ihre Augen gab es eigentlich keine Wände, und niemand konnte behaupten, daß sie ihn ansah, sie schaute bloß.
Susanne Rappard saß im Ofenwinkel, das Kinn auf die Arme gestützt, während die Finger über die zerfurchten Wangen hinauf sich in die leicht ergrauten Haare gewühlt hatten.
In Arles in der Provence war häufig ein junger Mönch zu Eva Sorel gekommen, Bruder Leotade. Er war nicht älter als fünfundzwanzig Jahre, kräftig, von südländischem Gepräge, ziemlich schweigsam.
Er liebte das Land, er kannte die alten Burgen. Einmal sprach er von einem Turm, der, eine Meile von der Stadt entfernt, auf einem Felsenhügel stand; er rühmte den Ausblick, den man von der Höhe des Turmes genoß, mit Worten, die Eva begierig machten. Bruder Leotade wollte sie führen; sie verabredeten den Tag und die Stunde.
Der Turm hatte eine verschlossene eiserne Tür, der Schlüssel war bei einem Weinbauern verwahrt. Es war spät am Nachmittag, als sie sich auf den Weg begaben, aber es war noch heiß auf der baumlosen Straße. Vor Einbruch der Nacht wollten sie zurück sein, deshalb wanderten sie rasch, doch als sie zum Turm kamen, war die Sonne bereits hinter die Hügel gesunken.
Bruder Leotade öffnete die eiserne Tür, und man sah eine enggewundene Steintreppe. Sie waren schon mehrere Stufen hinaufgestiegen, da kehrte der Mönch plötzlich um, sperrte die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche seiner Kutte. Eva fragte ihn, weshalb er dies täte; er entgegnete, es geschehe der Sicherheit halber.
Es war dunkel in dem Turmgewölbe, und Eva sah die Augen des Mönches verderblich blitzen. Sie ließ ihn vorangehen, aber auf einem Treppenabsatz wandte er sich und griff nach ihr. Er war stumm; sie spürte seine Finger. Sie entglitt ihm, ebenfalls stumm, und lief wieder voraus, so schnell sie konnte. Sie hörte keine Schritte hinter sich im Dunkeln; die Treppe schien unendlich. Sie lief empor, der Atem verging, sie lechzte nach dem Licht. Da leuchtete die grüne Himmelsglocke in den Schacht, der Kreis, je mehr sie stieg, erweiterte sich bis zum Scharlach des Westens, und als sie auf der letzten Stufe angelangt war, als sie auf die Plattform trat, aus dem Moder in die Balsamkühle, in die hundertfache Farbenpracht von Luft und Erde, schien die Gefahr überstanden.
Sie wartete und bewachte das schwarze Treppenloch. Der Mönch kam nicht herauf. Seine tückische Verborgenheit spannte ihre Nerven qualvoll. Die kurze Dämmerung schwand; es wurde Abend, es wurde Nacht; kein Schritt, kein Laut. Spät erst fiel ihr ein, daß sie rufen konnte; sie rief ins Land hinab, aber sie sah, daß die Gegend öde war und ohne menschliche Wohnungen. Und als ihr schwacher Schrei verklungen war, zeigte sich die Gestalt des Bruders Leotade über der Treppe.
Der Ausdruck seines Gesichts flößte ihr noch größeres Entsetzen ein als vorher. Er murmelte etwas und streckte die Arme nach ihr aus.
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