Die beiden waren grundverschieden, aber fast gleich alt, und es verband sie hauptsächlich ihre Leidenschaft für jede Form von Sport. Lita war bei allem trägen Gerekel eine ebenso unermüdliche Tänzerin wie glänzende, wenn auch unzuverlässige Tennisspielerin und draufgängerische Reiterin bei der Fuchsjagd. Abgesehen von den Stunden, in denen sie müßig dalag und nach Amber duftende Zigaretten rauchte, war jeder Augenblick ihres Lebens ausgefüllt mit Tanzen, Reiten oder Sport.
In den zwei, drei Monaten vor der Geburt des Kindes, als Lita teilweise zum Nichtstun gezwungen war, hatte Nona befürchtet, ihre unablässige Gier nach neuem «Nervenkitzel» könnte sie wie viele junge Frauen in ihren Kreisen zu einem tückischen Zeitvertreib wie Alkohol oder Rauschgift greifen lassen; doch Lita war in eine Art lächelnde, animalische Langmut versunken, als habe das geheimnisvolle Werk, das in ihrem zarten jungen Leib vor sich ging, eine heilige Bedeutung für sie und als genüge es, still dazuliegen und es geschehen zu lassen. Ihre einzige Bedingung war, es solle ihr nicht «wehtun»; sie hatte panische Angst vor körperlichen Schmerzen, wie ebenfalls die meisten jungen Frauen in ihren Kreisen. Aber heutzutage ließ sich all das ja leicht regeln: Mrs Manford (die sich, da Lita Waise war, der Sache annahm) kannte natürlich die allerbeste «Dämmerschlaf»7-Klinik im Land, brachte Lita dort in der luxuriösesten Suite unter und überschwemmte ihre Zimmer mit Frühlingsblumen, Treibhausfrüchten, Romanneuerscheinungen und druckfrischen Zeitschriften, sodass Lita so leicht und empfindungslos in die Mutterschaft schwebte, als wäre das Wachspüppchen, das plötzlich in der Wiege neben ihrem Bett auftauchte, in einem der riesigen Rosensträuße hereingebracht worden, die sie allmorgendlich auf ihrem Kissen vorfand.
«Natürlich sollte da kein Schmerz sein… nur Schönheit… Es sollte einer der wunderbarsten, poetischsten Vorgänge auf Erden sein, ein Kind zu bekommen», erklärte Mrs Manford mit jener hellen, tragenden Stimme, die «Schönheit» und «Poesie» wie Errungenschaften einer fortgeschrittenen Industrialisierung klingen ließ und «Kinder» wie etwas, was man serienweise produziert wie Fords. Und Jim hatte sich unbändig über seinen Sohn gefreut, und Lita hatte es wirklich überhaupt nicht wehgetan.
2
Die Marchesa war ein ebenso unregelmäßiges wie unvermeidliches Ereignis in Mrs Manfords Leben.
Die meisten Menschen hätten die Marchesa als Störung empfunden, manche als etwas entschieden Lästiges und die Pessimisten als Schicksalsschlag. Mrs Manford war durchaus stolz darauf, dass sie diese Voraussetzungen zwar erkannt, daraus aber etwas Glanzvolles, ja sogar Beneidenswertes zu schaffen gewusst hatte.
Wo der eigene Ehemann (oder auch nur Exehemann) eine Cousine ersten Grades namens Amalasuntha degli Duchi di Lucera besaß, welche den Marchese Venturino di San Fedele aus einer der großen neapolitanischen Familien geheiratet hatte, wäre es dumm und verschwenderisch gewesen, eine solche Fügung aus Namen und Umständen nicht zu nutzen und (wie die Wyants) lediglich daran zu denken, dass Amalasunthas Besuch in New York nur dazu diente, Geld aufzutreiben, ihren schrecklichen Sohn wieder einmal aus einer Klemme zu befreien oder die Familienanwälte nach neuen Tricks zu fragen, wie sie die Reste ihres Vermögens gegen Venturinos systematische Raubzüge schützen könne.
Mrs Manford wusste im Voraus, wie hoffnungslos diese Bestrebungen samt und sonders waren – abgesehen von dem Versuch, bei ihr selbst Geld zu borgen. Sie lieh Amalasuntha immer zwei- oder dreitausend Dollar und verbuchte sie als Erfolgsposten in ihrem sorgfältig geführten Rechnungsbuch; sie schenkte der Marchesa sogar ihre (geschickt abgeänderten) Kleider vom letzten Jahr, und im Gegenzug erwartete sie, dass Amalasuntha auf die Manford’schen Einladungen jenen exotischen Glanz warf, wie ihn die nahe Verwandte eines Herzogs, der obendrein spanischer Grande und hoher Würdenträger am päpstlichen Hof war, auch noch in den staubigsten Nebenstraßen ausstrahlte, selbst wenn ihre Mutter nur eine Mary Wyant aus Albany gewesen war.
Mrs Manford hatte damit Erfolg gehabt. Ohne lange zu überlegen, verfiel die Marchesa ganz selbstverständlich in die ihr zugedachte Rolle. Bei einem stürmischen, unsicheren Leben wie dem ihren bedeutete New York, wo ihre reichen Verwandten lebten und von wo sie immer mit ein paar tausend Dollars heimkehrte, mit Kleidern, die man noch für ein weiteres Jahr herrichten konnte, und mit guten Ratschlägen, wie Venturino unter Druck zu setzen sei, einen Vorgeschmack auf den Himmel. «Dort leben? Carina8, niemals! Es ist zu… zu ereignislos. Wie der Himmel wahrscheinlich auch. Aber alle sind himmlisch freundlich… und Venturino hat gelernt, dass meine amerikanischen Verwandten bestimmte Dinge nicht hinnehmen…» So klang es, wenn Amalasuntha in den Salons von Rom, Neapel oder St. Moritz von ihren Besuchen in New York erzählte; wohingegen sie in New York ganz unbekümmert und gedankenlos – denn es gab kein schlichteres Gemüt als Amalasuntha – Namen fallen ließ und Erinnerungen beschwor, die in diese kleine, im Süden von der Wallstreet und in den meisten anderen Himmelsrichtungen von Long Island begrenzte Welt ein romantisch glühendes, unwirkliches Licht sandten; und Pauline Manford sorgte eifrig dafür, dass sich ihre übrigen Gäste in diesem Licht sonnen konnten.
«Die Cousine meines Mannes» (seit der Scheidung von Wyant zur «Cousine meines Sohnes» geworden) war auch nach siebenundzwanzig Jahren noch eine nützliche Trumpfkarte in der Gesellschaft. Die Marchesa di San Fedele, jetzt eine Frau von fünfzig Jahren, war in Paulines Kreisen noch immer ein Vorwand für Dinner, ein Instrument, mit dem sich gesellschaftliche Schulden abzahlen ließen, ein kleiner, aber zuverlässiger Leuchtkörper am unruhigen Himmel von New York. Beim Anblick ihrer etwas hilflosen, schmächtigen Gestalt, die, auch wenn sie Mrs Manfords alte Kleider trug, stets in gleichmütiges, unauffälliges Schwarz gehüllt war, erschienen vor Paulines innerem Auge hallende römische Treppenhäuser, fackelbeleuchtete Auftritte von Kardinälen in der Empfangshalle der Luceras und ein prächtiges Hintergrundfresko mit Päpsten, Fürsten, verfallenen Palästen, zypressenbewachten Villen, Skandalen, Tragödien und endlosen Erbstreitigkeiten.
«Es ist entsetzlich, welch lasterhaftes Leben diese berühmten römischen Familien führen. Schließlich fließt in den Adern der armen Amalasuntha gutes amerikanisches Blut – ihre Mutter war eine Wyant; ja, Mary Wyant heiratete den Fürsten Ottaviano di Lago Negro, den Sohn des Herzogs von Lucera, der lange zur italienischen Gesandtschaft in Washington gehörte. Aber was soll Amalasuntha machen, wo es doch in diesem Land keine Scheidung gibt und eine Frau sich mit wirklich allem abfinden muss? Der Papst war sehr freundlich, er steht durchaus auf Amalasunthas Seite. Doch auch Venturinos Angehörige sind sehr mächtig, eine große neapolitanische Familie, ja, Kardinal Ravello ist Venturinos Onkel… Das alles war ganz schrecklich für Amalasuntha… und sie fühlt sich hier bei ihrer Familie wie in einer Oase…»
Pauline Manford meinte es ehrlich; sie glaubte tatsächlich, dass es für Amalasuntha schrecklich war. Pauline selbst konnte sich nichts Entsetzlicheres vorstellen als ein soziales Gefüge, das keine Scheidung anerkannte und alle familiären Übel ungestört weiterschwären ließ, statt das Leben der Menschen in regelmäßigen Abständen zu desinfizieren und frisch zu tünchen wie einen Keller. Doch obwohl Mrs Manford so dachte – ja buchstäblich während sie dies dachte –, fiel ihr ein, dass Kardinal Ravello, Venturinos Onkel, als einer der möglichen Gesandten für den römisch-katholischen Kongress genannt worden war, der in diesem Winter in Baltimore stattfinden sollte, und sie fragte sich, ob man nicht mit Amalasunthas Hilfe eine Abendgesellschaft für Seine Eminenz veranstalten könnte. Sie ging sogar so weit, über die Wirkung von seidenbestrumpften Dienern nachzugrübeln, die als Fackelträger das – Gott sei Dank marmorne! – Manford’sche Treppenhaus säumen, und über Dexter Manford und Jim, die den Kirchenfürsten an der Schwelle empfangen und dann mit silbernen Kandelabern in der Hand rückwärts die Treppe hinaufgeleiten könnten. Allerdings war sich Pauline nicht sicher, ob die beiden sich dazu würden überreden lassen.
Für Pauline lag in diesem zweigleisigen Gedankengang nicht mehr Widerspruch, als wenn sie angesichts der Verbrechen der römischen Kirche erschauerte und sich gleichzeitig wünschte, einen ihrer Würdenträger mit dem geziemenden Zeremoniell zu empfangen. Sie war an solch schnellen Perspektivwechsel gewöhnt und stolz darauf, dass in ihrem Kopf ganze Gruppen widersprüchlicher Meinungen friedlich zusammenlebten wie die «Glücklichen Familien»9, die von Wanderzirkussen zur Schau gestellt wurden. Und wenn der Kardinal tatsächlich in ihr Haus kam, würde sie natürlich ihre amerikanische Unabhängigkeit beweisen, indem sie auch den Bischof von New York einlud – ihren Bischof aus der Episkopalkirche –, möglicherweise noch den Oberrabbiner (auch ein Freund von ihr) und selbstverständlich den wunderbaren, viel geschmähten «Mahatma», an den sie immer noch fest glaubte…
Der Name ließ sie plötzlich innehalten. Ja, selbstverständlich glaubte sie an den Mahatma. Sie hatte allen Grund dazu. Während sie vor dem großen, dreiteiligen Spiegel in ihrem Ankleidezimmer stand, blickte sie in das riesige Badezimmer dahinter, das mit seinen weißen Fliesen, polierten Leitungen, Waagen und geheimnisvollen Apparaten zum Duschen, für Gymnastik und «Körperkultur» wie ein biologisches Labor aussah, und dachte voll Dankbarkeit daran, dass einzig die eurythmischen Übungen des Mahatma («heilige Ekstase» nannte er sie) ihren Hüftumfang reduziert hatten, nachdem alles andere fehlgeschlagen war. Und diese Dankbarkeit für die verschlankten Hüften ruhte in ihrem wohlsortierten Kopf auf einer Karteikarte in derselben Schublade wie der begeisterte Glaube an seine wunderbaren mystischen Lehren über Selbstaufgabe, ein früheres Leben und astrale Seelenverwandtschaften… Alles so unbegreiflich und rein… Ja, selbstverständlich würde sie den Mahatma einladen. Es würde dem Kardinal guttun, sich mit ihm zu unterhalten.
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