Sie hörte schon förmlich, wie Seine Eminenz mit vor Ergriffenheit bebender Stimme sagte: «Mrs Manford, ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich mit diesem wunderbaren Mann bekannt gemacht haben. Wenn Sie nicht gewesen wären…»
Ach, wie gern hörte sie, wenn Gäste zu ihr sagten: «Wenn Sie nicht gewesen wären…!»
Das Telefon auf ihrem Toilettentisch klingelte. Miss Bruss hatte vom Boudoir aus weiterverbunden. Als Mrs Manford den Hörer abhob, warf sie einen nervösen Blick auf die Uhr. Sie kam bereits sieben Minuten zu spät zum Ondulieren…
Ah, es war Dexters Stimme. Automatisch ordnete sie ihre Gesichtszüge zu einem ehefraulichen Lächeln und verlieh ihrer Stimme den dazugehörigen Tonfall. «Ja?… Pauline, Liebster… Oh – wegen des Dinners heute Abend? Na, du weißt doch, Amalasuntha… Du gehst mit Jim und Lita ins Theater? Aber Dexter, das geht nicht! Die essen auch hier, Jim und Lita… Aber natürlich… Ja, das muss ein Missverständnis sein; Lita ist so schusselig… Ich weiß…» Das Lächeln wirkte plötzlich ein wenig gequält und die Stimme ebenso. Dann, geduldig: «Ja, was noch?… Oh… oh… Dexter… was meinst du damit? Der Mahatma? Was? Ich verstehe nicht!»
Doch sie verstand sehr wohl. Sie merkte, wie sie unter ihrer dezenten Schminke erbleichte. Irgendwo tief in ihr hatte in den letzten Wochen eine unausgesprochene Angst vor genau diesem Ereignis gelauert, die Angst, dass die Menschen, die den Lehren des indischen Weisen – New Yorks großer «seelischer Auftriebskraft» der letzten beiden Jahre – ablehnend gegenüberstanden, an Macht gewinnen und zu einer Bedrohung werden würden. Und nun erzählte Dexter Manford tatsächlich, er sei gebeten worden, Nachforschungen über die Zustände an des Mahatmas «Schule des östlichen Denkens» anzustellen, was alle möglichen Unannehmlichkeiten nach sich ziehen konnte. Dexter sprach am Telefon verständlicherweise nie viel über berufliche Themen, und nach Ansicht seiner Frau auch nicht genug, wenn er nach Hause kam. Aber das wenige, was sie seinen Worten jetzt entnehmen konnte, verursachte ihr regelrecht Übelkeit.
«O Dexter, ich muss mit dir darüber reden! Sofort! Du kannst nicht vielleicht zum Lunch heimkommen?… Unmöglich?… Nein – heute Abend werden wir dazu keine Zeit haben… Na, das Dinner für Amalasuntha – bitte vergiss es nicht schon wieder!»
Eine Hand am Hörer, griff sie mit der anderen nach ihrem Terminkalender (einer Abschrift der Liste von Miss Bruss) und überflog ihn mit einem nervösen, leeren Blick. Ein Skandal – noch ein Skandal! Das durfte nicht sein. Sie hasste Skandale. Und außerdem glaubte sie an den Mahatma. Er hatte das Zweite Gesicht10. Von dem Augenblick an, als sie in einem Zeitschriftenartikel diesen Begriff gelesen hatte, fühlte sie in sich eine vollkommene Übereinstimmung mit ihm…
«Ich muss dich noch vor heute Abend treffen, Dexter. Warte! Ich sehe nur kurz meine Termine durch.» Sie kam zu «16.00: Besuch bei A. 16.30: Musical, Torfried Lobb.» Nein, Torfried Lobb konnte sie nicht streichen; sie gehörte zu den fünfzig oder sechzig Damen, die ihn im vergangenen Winter «entdeckt» hatten, und wusste, dass er mit ihrer Anwesenheit bei seinem Konzert rechnete. Gut, dann musste dieses eine Mal «A» geopfert werden.
«Hör zu, Dexter, wenn ich um vier Uhr in die Kanzlei komme?… Ja, Punkt vier. Ist das recht?… Und unternimm nichts, bevor ich bei dir bin, versprich mir das!»
Sie legte mit einem Seufzer der Erleichterung auf. Sie würde versuchen, die Dinge wieder zurechtzurücken, indem sie «A» am nächsten Tag besuchte, obwohl die Korrektur ihres Kalenders auf dem Höhepunkt der Saison ein ebenso mühsamer wie schwerer Eingriff war.
In ihrer gereizten Stimmung hätte sie am liebsten Arthur die Schuld daran gegeben, dass er auf dem heutigen Terminkalender stand und damit alle ihre Verabredungen durcheinanderwarf. Der arme Arthur – von Anfang an war er einer ihrer Missgriffe gewesen. Sie hatte einen kleinen Friedhof davon – einen sehr kleinen –, den sie mit Wucherpflanzen bestückt hatte, sodass man ihr ganzes Leben durchwandern konnte, ohne die Gräber zu bemerken. Für die unerfahrene, eben erst dem Fabrikqualm von Exploit entronnene Pauline von vor dreißig Jahren verkörperte Arthur Wyant den verführerischen Gegensatz zwischen einer Stadt, die einzig damit beschäftigt war, Geld zu verdienen, und einer Gesellschaft, die entschlossen war, es auszugeben. So eine glänzende Erscheinung – und nichts vorzuweisen! Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte; ihr Ideal von männlichen Großtaten bestand damals einzig aus der Fähigkeit, schneller reich zu werden als die Nachbarn – was Arthur mit Sicherheit niemals schaffen würde. Sein Schwiegervater in Exploit hatte auf den ersten Blick erkannt, dass es zwecklos war, ihn ins Automobilgeschäft einzuführen, und mit philosophischer Gelassenheit zu Pauline gesagt: «Am besten betrachtest du ihn einfach als Schmuckstück; das werden wir uns schon leisten können.»
Aber Schmuck muss zumindest glänzen, und Arthur war irgendwie – verblasst. Früher einmal hatte sie gehofft, er werde eine Rolle in der Staatspolitik spielen – am Horizont lockten Washington und seine verführerischen diplomatischen Kreise –, aber er tat dies, ebenso wie das von ihm so genannte «Geschäft», mit einem verächtlichen Achselzucken ab. In Cedarledge trieb er ein wenig Landwirtschaft, fuhrwerkte in den Rechnungsbüchern herum und verplemperte ihr Geld, bis sie ihn durch einen professionellen Verwalter ersetzte; in der Stadt spielte er im Club stundenlang Bridge, interessierte sich zeitweilig für Pferderennen und hockte jeden Nachmittag bei seiner Mutter, der alten Mrs Wyant, in dem tristen Haus in der Nähe des Stuyvesant Square, das niemals renoviert worden war und auch jetzt noch mit Carcel-Lampen11 beleuchtet wurde.
Immer hatte er sie nur behindert und enttäuscht.
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