Etwas war aus diesem Gesicht verschwunden – alles Wilde und Ungewisse, das Geigespielen, das Modellbauen, das Erfinden, Träumen und Schwanken, alles, was sie ganz besonders geliebt hatte – außer dem Zwinkern seiner nun nüchtern dreinblickenden Augen. Zurückgeblieben war nur offenkundig Nützliches. Nun ja, das war wohl auch besser so, wenn man sich Lita ansah! In einem Spiegel zwischen zwei Wandpaneelen erblickte sie das Gesicht ihrer Schwägerin und daneben ihr eigenes, und sie zuckte beim Vergleich ein wenig zusammen. Selbst bei günstigstem Licht betrachtet hatte ihr Gesicht nichts von dieser milchigen Durchsichtigkeit und auch nicht diese länglichen Züge, die Lita den Ausdruck von ständiger Bewegung verliehen, vergleichbar manchen Bäumen, in denen das Zittern einer immerwährenden Brise lebt. Obwohl Nona ebenso groß und fast ebenso schlank war, kam es ihr vor, als sei sie selbst aus festem Material geformt, während Lita aus Gischt und Sonnenlicht gesponnen war. Vielleicht kam das daher, dass alles an Nona so braun war. Sie hatte Dexter Manfords braune Locken, seine dichten schwarzen Wimpern umrahmten ihre eher gewöhnlichen grauen Augen, und ihre dunkle, gesunde Haut wirkte, verglichen mit der von Lita, rau und undurchsichtig. Der Vergleich verstärkte ihr unbestimmtes, dumpfes Gefühl der Mutlosigkeit noch. «Das ist nicht gerade einer meiner Glanztage», dachte sie.

Jim nahm ihren Arm. «Komm schon, mein Mädchen! Gibt es vielleicht einen Lunch?», fragte er und ging in Richtung Esszimmer.

«Ja, wahrscheinlich. In diesem Haus läuft doch täglich alles gleich ab», stellte Lita fest und verzog ein wenig das Gesicht.

«Also, beim Lunch freut mich das – zumindest an den Tagen, an denen ich mittags kurz heimsausen kann.»

«An den anderen isst Lita Goldfischfutter», sagte Nona lachend.

«Der Lunch ist angerichtet, Madam», verkündete der Butler.

Die Mahlzeit bestand, wie meistens unter Litas Dach, jeweils zur Hälfte aus Schleckereien und Schlendrian. Mrs Manford wäre über dieser unzuverlässigen Bedienung und wirren Speisenfolge wahnsinnig geworden; aber sie hätte zugeben müssen, dass niemand ein besseres Pilaw kochte als Litas Köchin. An Jim waren gastronomische Raffinessen verschwendet; seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Wyant’schen Madeira war eine der härtesten Prüfungen für seinen Vater. («Es hätte mich nicht gewundert, wenn du dir nichts daraus machst, Nona, schließlich bist du eine Manford; aber dass ein Wyant keine Achtung vor altem Wein hat…!», beklagte sich Arthur Wyant oft bei ihr.) Was Lita anging, so knabberte sie entweder gelangweilt an einer neuen Reformkost oder fiel gierig über das unverdaulichste Gericht her, das auf den Tisch kam. Heute lehnte sie sich stumm und gleichgültig zurück, während Jim verschlang, was man ihm vorsetzte, als sei es ihm egal, ob es Büchsenfleisch war oder etwas anderes; Nona beobachtete die beiden aus halb geschlossenen Augen.

Das Telefon klingelte, und der Butler meldete: «Mr Manford, Madam.»

Nona Manford blickte auf. «Für mich?»

«Nein, Miss, für Mrs Wyant.»

Lita, plötzlich voll Leben, sprang auf. «Oh, schon gut… Wartet nicht auf mich», rief sie ihnen über die Schulter zu und stürzte zur Tür.

«Lass den Apparat hereinbringen», schlug Jim vor, doch sie fegte vorbei, ohne ihn zu beachten.

«Das ist neu – Lita saust zum Telefon!», rief Jim lachend.

«Und zwar um mit Vater zu sprechen!» Nicht um alles in der Welt hätte Nona erklären können, warum sie plötzlich mit einem vagen Gefühl der Verlegenheit innehielt. Dexter Manford war zu der Frau seines Stiefsohns immer sehr freundlich gewesen – aber schließlich war jedermann freundlich zu Lita.

Jim beugte sich über den Pilaw; er schlang ihn rasch und achtlos hinunter.

«Na, ich hoffe nur, er erzählt ihr etwas, was ihr Freude macht, denn in letzter Zeit scheint sie nichts mehr zu freuen.»

Nona lag die Antwort auf der Zunge: «O doch, es macht ihr Freude zu erzählen, dass ihr nichts mehr Freude macht.» Aber nach einem Blick in das Gesicht ihres Bruders, das unter oberflächlicher Heiterkeit leicht beunruhigt wirkte, ließ sie es sein.

Stattdessen pries sie die Schönheit der beiden gelben Aronstäbe in einem bronzenen Krug, die sich im Mahagoni des Esstischs spiegelten. «Lita hat ein Händchen für Blumen.»

«Und für alles andere auch – wenn sie will!»

Die Tür öffnete sich, Lita kam zurückgeschlendert und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Mit verächtlichem Kopfschütteln lehnte sie den angebotenen Pilaw ab. Es herrschte kurzes Schweigen.

«Und, was gibt’s für Neuigkeiten?», fragte Jim.

Seine Frau hob die feinen Brauen. «Neuigkeiten? Ich dachte, dafür sorgst du. Ich bin gerade erst aufgewacht.»

«Ich meine…» Aber er brach ab und bedeutete dem Butler, seinen Teller abzuräumen. Wieder ergab sich eine Pause; dann drehte sich Litas kleiner Kopf auf dem langen Fragezeichenhals zu Nona. «Anscheinend speisen wir heute Abend im Palazzo Manford. Wusstest du das?»

«Ob ich das wusste? Aber Lita! Ich bekomme seit Wochen nichts anderes zu hören. Es ist das alljährliche Festessen für die Marchesa.»

«Mir hat niemand etwas gesagt», versetzte Lita gelassen. «Ich bin leider verabredet.»

Jim hob ruckartig den Kopf. «Du hast das vor vierzehn Tagen erfahren.»

«Ach, vor vierzehn Tagen! Das ist zu lang her, als dass man sich an etwas erinnern könnte. Das ist so, wie wenn Nona zu mir sagt, ich solle meinen Salon schön finden, nur weil ich ihn vor zwei Jahren schön fand.»

Ihr Mann errötete bis in die Wurzeln seiner hellbraunen Haare.