Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.
Lacroix.
Warum hast du es dazu kommen lassen?
Danton. Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! - 's ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte.
Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, daß die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent - das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.
Und wenn es ginge - ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!
Camille. Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?
Danton.
Du bist ein starkes Echo.
Camille.
Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag.
Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.
Philippeau.
Und Frankreich bleibt seinen Henkern?
Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? - Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und paßt für uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.
Es ist recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? 's ist Zeit, daß man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen.
Endlich - ich müßte schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.
Paris.
So flieh, Danton!
Danton.
Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit?
Und endlich - und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen. (Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.)
Philippeau.
Da geht er hin.
Lacroix.
Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit!
Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.
Paris.
Was tun?
Lacroix.
Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.
Zweite Szene
Eine Promenade
Spaziergänger.
Ein Bürger.
Meine gute Jacqueline - ich wollte sagen Korn… wollt ich: Kor…
Simon.
Kornelia, Bürger, Kornelia.
Bürger.
Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.
Simon.
Hat der Republik einen Sohn geboren.
Bürger.
Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen…
Simon.
Das ist's gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen…
Bürger.
Ach ja, das sagt meine Frau auch.
Bänkelsänger (singt).
Was doch ist, was doch ist
Aller Männer Freud' und Lüst'?
Bürger.
Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.
Simon.
Tauf ihn Pike, Marat!
Bänkelsänger.
Unter Kummer, unter Sorgen
Sich bemühn vom frühen Morgen,
Bis der Tag vorüber ist.
Bürger.
Ich hätte gern drei - es ist doch was mit der Zahl Drei - und dann was
Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre.
Und dann das dritte?
Simon.
Pike.
Bürger.
Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche
Namen, das macht sich schön.
Simon. Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin - nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. (Gehn vorbei.)
Ein Bettler (singt).
»Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos…« Liebe Herren, schöne Damen!
Erster Herr.
Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!
Zweiter Herr. Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschämt.
Bettler.
Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?
Zweiter Herr. Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne…
Bettler.
Herr, warum habt Ihr gearbeitet?
Zweiter Herr.
Narr, um den Rock zu haben.
Bettler. Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuß, ein Lumpen tut's auch.
Zweiter Herr.
Freilich, sonst geht's nicht.
Bettler.
Daß ich ein Narr wäre! Das hebt einander.
Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht. (Singt:)
»Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos…«
Rosalie (zu Adelaiden).
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