Verschollene Schuldner stachelten seinen Eifer bis zur Leidenschaft, warfen ihn in unausgesetzte fieberhafte Nachforschungen; nach den Schildern, nach den in Zeitungen gedruckten Namen spähte er und spürte Adressen aus, wie ein Hund das Jagdwild. Hatte er die Verschollenen und Zahlungsunfähigen einmal, dann wurde er zum Raubtier, fraß sie auf mit lauter Unkosten, saugte sie bis aufs Blut aus, zog hundert Franken aus dem, wofür er zehn Sous bezahlt hatte, und begründete dies unumwunden mit seinen Spielverlusten, mit der Notwendigekeit, an denen, die er packen konnte, zu verdienen, was er angeblich an denen verlor, die ihm wie eitler Rauch zwischen den Fingern verflogen.
In dieser Jagd nach den Schuldnern war die Méchain eine von Buschs brauchbarsten Stützen. Wenn er nämlich eine kleine Schar von Treibern in seinem Dienst haben mußte, lebte er in stetem Mißtrauen gegen dieses übelberüchtigte und ausgehungerte Personal; die Méchain dagegen hatte Haus und Hof, sie besaß hinter der Butte Montmartre ein ganzes Viertel, die Cité de Naples, einen gewaltig großen Baugrund mit wackeligen Hütten, die sie monatweise vermietete, eine Ecke des scheußlichsten Elends, wo ein Haufe ausgehungerter Menschen im Schmutze hauste, in wahren Schweinshöhlen, um die man sich riß und aus denen sie ohne Erbarmen die Mieter nebst ihrem Plunder hinausfegte, sobald sie nicht mehr zahlten. Was ihre Einnahmen auffraß, ihren Gewinn aus diesen Mietskasernen aufzehrte, das war die unselige Leidenschaft fürs Spiel. Auch sie fand Geschmack an den Wunden, die das Geld geschlagen, an den Ruinen und Feuersbrünsten, bei denen man vom Feuer halbgeschmolzene Kostbarkeiten stehlen kann. War sie von Busch mit Einziehen einer Auskunft, mit dem Ausspüren eines Schuldners betraut, dann legte sie manchmal eignes Geld darauf und verschwendete ihre Zeit, um der bloßen Lust willen. Sie gab sich als Witwe aus, aber niemand hatte ihren Mann gekannt. Woher sie kam, wußte man nicht; immer hatte sie ausgesehen wie eine Fünfzigjährige, mit ihrem strotzenden Fett und ihrem dünnen Stimmchen.
Sobald die Méchain auf dem einzigen Stuhle saß, war Buschs Zimmer ausgefüllt, gleichsam versperrt durch diesen hierher verschlagenen Fleischklumpen. Hinter seinem Schreibtisch saß Busch wie gefangen und begraben, nur sein eckiger Schädel tauchte aus dem Aktenmeer hervor.
»Hier!« sagte sie und entledigte ihre alte Ledertasche des unmäßig großen Papierhaufens, der sie anschwellte. »Hier ist, was mir Fayeux aus Vendôme schickt ... Er hat alles für Sie angekauft bei dem Bankrott Charpier, was Sie ihm durch mich bezeichnet hatten ... Es macht hundertzehn Franken.«
Fayeux, den sie ihren Vetter nannte, hatte neuerdings ein Rentenauszahlungsgeschäft dort in Vendôme gegründet. Sein vorgebliches Geschäft war die Auszahlung der Coupons und Gelder der kleinen Rentner der Umgegend. Mit diesen anvertrauten Coupons und Geldern spielte er aber leidenschaftlich an der Börse.
»Es ist nicht viel los mit der Provinz«, murmelte Busch, »aber hie und da macht man doch einen Fund.«
Er beschnüffelte die Papiere, sortierte sie schon mit kundiger Hand und ordnete sie oberflächlich nach der ersten Schätzung, nach dem Geruch. Dabei umwölkte sich sein breites Gesicht, und enttäuscht spitzte er den Mund.
»Hm, nicht viel Fett dabei, nichts zu beißen! Zum Glück hat das nicht viel gekostet ... Da sind Wechsel, wieder Wechsel ... Wenn Sie von jungen Leuten stammen und diese nach Paris gekommen sind, dann erwischen wir sie vielleicht noch ...«
Jetzt unterdrückte er einen leisen Ausruf des Erstaunens.
»Ei, was ist denn das?«
Er hatte soeben unter einem Stempelbogen die Unterschrift des Grafen Beauvilliers gelesen; das Blatt enthielt nur drei Zeilen in plumper, zitternder Schrift: »Ich verpflichte mich, an Fräulein Léonie Cron am Tage ihrer Volljährigkeit die Summe von zehntausend Franken auszuzahlen.«
»Graf Beauvilliers?« wiederholte er langsam, indem er laut dachte; »ja, einst hat er Güter gehabt, eine ganze Domäne in der Nähe von Vendôme, ist dann bei der Jagd verunglückt und hat eine Frau und zwei Kinder in Geldnot hinterlassen. Früher habe ich Wechsel von ihm gehabt, die nur mit Schwierigkeiten bezahlt wurden ... Ein Schwindler, nicht viel wert!«
Plötzlich lachte er laut auf: er hatte sich die Geschichte zurechtgelegt.
»O, der alte Gauner, er hat die Kleine verführt! ... Sie mochte ihn nicht, und er wird sie mit diesem gesetzlich ganz wertlosen Papier überredet haben. Alsdann ist er gestorben ... Laßt sehen: von 1854 datiert, es sind also zehn Jahre her. Das Mädchen muß jetzt volljährig sein, zum Teufel! Wie mag dieser Schuldschein in Charpiers Hände kommen? ... Ein Fruchthändler dieser Charpier, der gegen wöchentliche Zinsen wucherte. Sicherlich hat ihm das Mädchen dies als Pfand für etliche Taler dagelassen; vielleicht hat er auch die Eintreibung übernommen ...«
»Aber«, unterbrach die Méchain, »das ist ja sehr gut, ein wahrer Coup!«
Busch zuckte verächtlich die Achseln.
»Ach nein, rechtlich ist das gar nichts wert, sage ich Ihnen ... Lege ich es den Erben vor, so können sie mich fortjagen, denn man müßte den Beweis erbringen, daß der Graf das Geld wirklich schuldig war ... Allein, wenn wir das Mädchen wieder auffinden, so hoffe ich, sie kirre zu machen und zu einem Vergleich zu bringen, um unangenehmes Aufsehen zu vermeiden ... Verstehen Sie? Forschen Sie nun nach dieser Léonie Cron, schreiben Sie an Fayeux, er solle ausfindig machen, wo sie jetzt nistet. Dann wollen wir unsern Spaß erleben.«
Er hatte die Papiere in zwei Haufen gesondert, die er sich gründlich zu prüfen vornahm, wenn er allein wäre, und blieb regungslos stehen, die Hände flach auf die Papiere gelegt.
Nach einer Pause begann die Méchain wieder:
»Ich habe mich mit den Wechseln Jordan beschäftigt; mir war's, als hätte ich unsern Mann gefunden. Er hat irgendwo eine Anstellung gehabt und schreibt jetzt für Zeitungen.
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