Heftig riß er sich los und schritt über die Rue Vivienne der Ecke der Rue Feydeau zu, wo Buschs Wohnung sich befand. Der zu übersetzende russische Brief war ihm mittlerweile wieder eingefallen.

Wie er hineingehen wollte, grüßte ihn ein junger Mann, der vor dem Papierladen im Erdgeschoß aufgepflanzt war. Er erkannte Gustave Sédille, den Sohn eines Seidenfabrikanten der Rue des Jeûneurs, der von seinem Vater bei Mazaud untergebracht worden war, um das Triebwerk des Finanzwesens zu studieren. Er lächelte dem eleganten großen Jungen väterlich zu, denn er dachte sich wohl, weshalb er hier Posten stand. Die Papeterie Conin nämlich versah die ganze Börse mit Notizbüchern, seitdem die kleine Frau Conin im Geschäft mithalf. Der dicke Conin, ihr Mann, kam nie aus dem Nebenzimmer hervor, wo er mit der Fabrikation sich abgab, während sie immerfort ab und zu ging, die Kundschaft bediente und die Ausgänge besorgte. Rundlich, blond, rosenwangig, ein wahres Lockenlämmchen mit hellem Seidenhaar, war sie sehr liebenswürdig, sehr einschmeichelnd und allzeit fröhlich gestimmt. Sie liebte ihren Gatten, sagte man, was sie indes nicht abhielt, mitunter gegen einen Kunden aus der Börsenwelt zärtlich zu sein, wenn er ihr zusagte, bloß des Vergnügens halber, nur ein einziges Mal in einem befreundeten Hause der Nachbarschaft, so ging die Sage. Jedenfalls mußten die Glücklichen dankbar und verschwiegen sein, denn sie blieb umschwärmt und gefeiert, ohne das geringste böse Gerücht über sie. Das Papiergeschäft blühte glücklich weiter und war eine förmliche Goldgrube.

Beim Vorübergehen sah Saccard, wie Frau Conin durchs Ladenfenster Gustave zulächelte. Welch nettes Lämmchen! Er empfand ein wonniges Rieseln. Schließlich ging er hinauf zu Busch.

Seit fünfzehn Jahren hatte Busch ganz oben im fünften Stock eine enge Wohnung von zwei Zimmern mit Küche inne. Aus Nancy gebürtig, von deutschen Eltern stammend, war er aus seiner Vaterstadt hierhergezogen. Obwohl er nach und nach seinen Geschäftskreis zu einer ungewöhnlichen Mannigfaltigkeit erweitert hatte, hatte Busch noch nie das Bedürfnis nach größeren Räumlichkeiten empfunden, sondern vielmehr seinem Bruder Sigismund das Zimmer auf die Straße überlassen. Er begnügte sich mit dem Zimmerchen nach dem Hof, in welchem Papiere, Aktenbündel und allerlei Pakete sich dermaßen aufstapelten, daß dem Schreibtisch gegenüber gerade für einen einzigen Stuhl Platz übrigblieb. Wohl eines seiner bedeutendsten Geschäfte war der Schacher mit entwerteten Papieren; hierfür war er der geschäftliche Mittelpunkt, der Vermittler zwischen der kleinen Börse der »Feuchten Füße« und den Bankrotteuren, die in ihrer Bilanz Löcher auszustopfen haben. Deshalb verfolgte er eifrig die Kurse, kaufte manchmal direkt ein und vermehrte vor allem sein Lager durch die Vorräte, die man ihm ins Haus brachte. Aber abgesehen vom Wucher und einem ausgedehnten geheimen Handel mit Goldwaren und Edelsteinen gab Busch sich besonders mit dem Ankauf von Ausständen ab. Diese füllten sein Zimmer, daß die Mauern schier aus den Fugen gingen, und dieses Geschäft jagte ihn durch die vier Ecken von Paris. Immerfort lauernd und spürend, unterhielt er heimliche Beziehungen in allen Gesellschaftskreisen. Sobald er von einem Konkurs hörte, eilte er flugs herbei, schlich um den Massenverwalter und kaufte schließlich alles, was nicht unmittelbar zu verwerten war. Stets hatte er ein Auge in den Geschäftsstuben der Notare, wartete auf Eröffnung schwieriger Erbschaften und wohnte den Versteigerungen verzweifelter Außenstände bei. Er ließ selbst Anzeigen drucken und lockte so ungeduldige Gläubiger herbei, die lieber einige Groschen sofort einnehmen, als sich der Mühe und Gefahr aussetzen wollen, ihre Schuldner gerichtlich zu verfolgen. Aus diesen vielfältigen Quellen kamen Papiere herbeigeströmt, ganze Körbe voll, so daß der Haufe dieses Lumpensammlers der Schuldenwelt fort und fort wuchs: unbezahlte Wechsel, nicht erfüllte Verträge, verfallene Schuldscheine, nicht eingehaltene Verpflichtungen. Hierauf ging es ans Sortieren, begannen die Glücksgriffe in diese übelriechenden Küchenabfälle, was eine besonders feine Spürnase erforderte. Aus diesem Ozean von verschollenen oder nicht zahlungsfähigen Gläubigern und Schuldnern mußte man eine Wahl treffen, um seine Mühe nicht zu verzetteln. Im allgemeinen nahm er den Grundsatz zur Richtschnur, daß jeder Ausstand, selbst der gefährdetste, einmal wieder gut werden kann, und hatte daher eine Reihe vorzüglich geordneter Aktenbündel, denen ein Namensverzeichnis entsprach, das er von Zeit zu Zeit zur Auffrischung des Gedächtnisses wieder durchlas. Unter den Zahlungsunfähigen aber ging er natürlich denen am eifrigsten nach, die nahe Aussichten auf Vermögenszuwachs besaßen. Seine Nachforschungen legten alle Verhältnisse bloß, drängten sich in die Familiengeheimnisse ein; er notierte sich reiche Verwandtschaften, etwaige Existenzmittel, vor allem Neuanstellungen, welche die Beschlagnahme von Gehältern gestatteten. Oft ließ er jahrelang einen Mann reif werden, um ihm beim ersten Erfolg den Hals abzuschneiden.