Nichts ist einfacher, nicht wahr? Gemeinsame Produktion in nationalen Fabriken, Bauplätzen und Werkstätten, Tausch und Zahlung in natura. Ist ein Überfluß an Erzeugnissen vorhanden, so verbringt man sie in öffentliche Lagerhäuser, aus denen sie wieder entnommen werden, um etwaigen Notfällen abzuhelfen. Es ist einfach eine zu ziehende Bilanz. Und so wird mit einem Axthieb der verfaulte Baum gefällt. Keine Konkurrenz, kein Privatkapital mehr, folglich keinerlei Geschäfte mehr, kein Handel, keine Börse. Der Gedanke an Gewinn hat gar keinen Sinn mehr, die Quellen der Spekulation, der ohne Arbeit erworbenen Renten sind versiegt.«

»Oho«, unterbrach Saccard, »das würde die Gewohnheiten vieler Leute heidenmäßig verändern! Aber die, welche heute Renten besitzen, was fangen Sie mit denen an? Zum Beispiel mit Gundermann, nehmen Sie ihm seine Milliarde?«

»Durchaus nicht, wir sind keine Räuber. Wir würden ihm seine Milliarde, seine gesamten Werte, seine Rententitel mit Genußscheinen abkaufen, die in einzelne Jahresrenten eingeteilt sind. Und nun denken Sie sich dieses ungeheure Kapital solchermaßen durch einen erstickenden Reichtum an Verbrauchsmitteln ersetzt! In weniger als hundert Jahren wären die Nachkommen Ihres Herrn Gundermann so gut wie die andern Bürger zu eigenhändiger Arbeit gezwungen, weil sich schließlich doch die Jahresrenten erschöpfen und sie ihre notgedrungenen Ersparnisse, diesen erdrückenden Überfluß an Vorräten nicht kapitalisieren könnten, selbst wenn man das Erbschaftsrecht unversehrt beibehält. Ich sage Ihnen, auf diese Weise werden mit einem Schlag nicht bloß die einzelnen Geschäfte, die Aktiengesellschaften, die Vereinigungen von Privatkapitalien hinweggefegt, sondern auch alle mittelbaren Rentenquellen, alle Kreditsysteme, Wucher, Miet- und Bodenzins ... Das einzige Wertmaß ist nur noch die Arbeit. Der Arbeitslohn fällt naturgemäß weg, da er im jetzigen Kapitalistenstaat dem genauen Ertrag der Arbeit nicht entspricht und er niemals darstellt, was eigentlich beim Arbeiter zum täglichen Unterhalte durchaus notwendig ist. Anzuerkennen ist freilich, daß die jetzige Staatsordnung allein daran schuld ist, daß auch der ehrlichste Arbeitgeber wohl oder übel dem harten Gebot der Konkurrenz folgen und seine Arbeiter ausbeuten muß, wenn er bestehen will. Unsre gesamte Gesellschaftsordnung ist umzuwerfen ... O Gundermann, der unter der Last seiner Genußscheine erstickt! O Gundermanns Erben, die nicht alles aufzehren können und an die andern abgeben und dann die Hacke oder das Handwerkszeug in die Hand nehmen müssen!«

Hier lachte Sigismund herzlich auf wie ein spielender Schulknabe. Noch immer stand er am Fenster und blickte auf die Börse, in welcher der schwarze Ameisenhaufen der Spieler wimmelte. Eine fliegende Röte stieg zu seinen Wangen herauf; seine einzige Unterhaltung war, sich so die spaßhafte Ironie der morgigen Gerechtigkeit auszudenken.

Saccards Unbehagen wuchs. Wie, wenn dieser wachende Träumer dennoch wahr sprach, wenn er die Zukunft erriet? Was er auseinandersetzte, schien ganz klar und vernünftig.

»Ach was!« murmelte er, um sich zu beruhigen, »alles dies kommt morgen noch nicht!«

»Gewiß nicht!« erwiderte der junge Mann, der wieder ernst und müde geworden war. »Wir stehen in der Zeit des Übergangs und der Agitation. Vielleicht kommt es zu revolutionären Tätlichkeiten, sie sind ja oft unvermeidlich. Aber die Übertreibungen und Aufwallungen sind nur vorübergehend ... O, ich verheimliche mir nicht die unmittelbaren großen Schwierigkeiten! Diese große erträumte Zukunft sieht unmöglich aus; man bringt es nicht fertig, den Leuten einen vernünftigen Begriff von der Gesellschaft der Zukunft beizubringen, von dieser Gesellschaft der gerechten Arbeit, deren Sitten von den unsrigen grundverschieden sein werden. Es ist wie eine andre Welt auf einem andern Planeten ... Und dann muß man wohl bekennen: die Neuordnung steht nicht fertig da, wir tasten immer noch herum. Ich, der ich nicht viel schlafen kann, ich erschöpfe meine Nächte damit. Zum Beispiel kann man uns gewiß sagen: ›Wenn die Dinge sind, wie sie jetzt sind, so hat die Logik der menschlichen Taten sie dazu gemacht. Daher welche Riesenarbeit, den Fluß zu seiner Quelle zurückzuführen und in ein andres Tal zu leiten!‹ ... Allerdings verdankt der jetzige Gesellschaftszustand sein jahrhundertelanges Blühen dem individualistischen Grundsatz, der durch Wettbewerb und persönliches Interesse des einzelnen zu einer stets erneuten Produktionsfähigkeit angetrieben wird. Wird nun jemals der Kollektivismus zu gleicher Fruchtbarkeit gelangen? Ferner, durch welche Mittel könnte er die Produktionsfähigkeit des Arbeiters beschleunigen, wenn einmal der Gedanke an Gewinn zerstört ist? Hier liegt für mich der Zweifel, die Angst, die schwache Stelle, für welche wir unverdrossen kämpfen müssen, wenn wir haben wollen, daß der Sieg des Sozialismus einstens sich hier entscheidet. Aber siegen müssen wir, weil wir die Gerechtigkeit sind! ... Hier, sehen Sie dieses Denkmal vor Ihren Augen, sehen Sie es?«

»Die Börse?« sagte Saccard.