Mit den Jahren hatte sogar sein dunkles und hohles Gliederpuppengesicht mit der spitzen Nase und den kleinen, leuchtenden Augen sich gleichsam dem übrigen angepaßt und das Anziehende dieser ausdauernden, so geschmeidigen und so tatenfrohen Jugendlichkeit angenommen. Die Haare waren noch dicht, ohne ein weißes Fädchen.

Unwillkürlich gedachte er nun seiner Ankunft in Paris am Tage nach dem Staatsstreich, jenes Winterabends, an dem er auf dem Pariser Pflaster angelangt war, mit leeren Taschen, hungrig, rasend von unbefriedigten Gelüsten. O, jener erste Gang durch die Straßen, als er, noch ehe er seinen Koffer ausgepackt hatte, das Bedürfnis empfand, mit seinen abgetretenen Stiefeln und seinem schmierigen Rock durch die Stadt zu eilen, die er erobern wollte!

Mitunter war er seit jenem Abend sehr hoch gestiegen. Ein Strom von Millionen war ihm durch die Hände geflossen, und dennoch war der Reichtum nie sein Sklave gewesen, sein eigner Besitz, über den man frei verfügt, den man eingeschlossen hält, lebendig und greifbar: stets hatten Lug und Trug seine Kasse bewohnt, die aus unsichtbaren Löchern sich ihres Goldes zu entleeren schien. Und nun war er wieder auf dem Pflaster wie in jener fernen Zeit des Anfangs, noch ebenso jung und ebenso hungrig, immer noch unbefriedigt und von dem gleichen Bedürfnisse nach Genüssen und Eroberung gequält. An allem hatte er genascht und war nicht satt geworden; er hatte – so meinte er – weder Gelegenheit noch Zeit gehabt, in Menschen und Dingen sich genügend festzubeißen. In dieser Stunde empfand er das Elend, wieder auf dem Pflaster zu sein, aber er war weniger als ein Anfänger, den trügerische Hoffnung aufrechterhalten hätte. Ein fieberheißes Verlangen ergriff ihn, abermals von vorn anzufangen, um alles Verlorene zurückzuerobern, ein Verlangen, höher zu steigen, als er je gestiegen, und endlich der eroberten Stadt den Fuß auf den Nacken zu setzen. Nichts mehr vom trügerischen Reichtum an der Fassade, er sehnte sich nach dem gediegenen Gebäude des Reichtums, dem wahren Königtum des Geldes, das auf vollen Säcken thront.

Mosers Stimme, die von neuem sich grell und schrill erhob, zog einen Augenblick Saccard aus seinen Gedanken:

»Der Feldzug nach Mexiko kostet vierzehn Millionen monatlich, Thiers hat's bewiesen ... Man muß wahrhaftig blind sein, wenn man nicht merkt, daß die Kammermehrheit erschüttert ist; auf der Linken sitzen jetzt dreißig und mehr; der Kaiser selbst sieht ein, daß die absolute Macht unmöglich wird, denn er wirft sich zum Förderer der Freiheit auf.«

Pillerault sagte nichts mehr und lachte nur höhnisch und geringschätzig vor sich hin.

»Ja, ich weiß schon«, fuhr jener fort, »Sie halten den Markt für solide, die Geschäfte gehen. Aber warten Sie nur das Ende ab ... Man hat in Paris zu viel niedergerissen und wieder aufgebaut, hören Sie! Die großen Arbeiten haben die kleinen Kapitalien erschöpft, und die großen Kredithäuser, die Ihnen so blühend vorkommen, – warten Sie, bis nur eines auffliegt, und Sie werden sehen, wie alle hintereinander umfallen ... Abgesehen davon regt es sich auch im Volk. Dieser internationale Arbeiterbund, den man kürzlich gegründet hat, um die Lage der Handarbeiter zu bessern, macht mir große Angst. Es herrscht in Frankreich eine Protestbestrebung, eine revolutionäre Bewegung, die jeden Tag entschiedener wird ... Ich sage Ihnen, es sitzt ein Wurm in der Frucht. Alles muß kaputt gehen!«

Jetzt erhob sich lärmender Widerspruch. Diesen verteufelten Moser plagte sein Leberleiden, fürwahr. Er ließ aber beim Sprechen den Nebentisch nicht aus den Augen, an dem Mazaud und Amadieu mitten im Lärm immer noch leise sprachen. Nach und nach geriet der ganze Saal in Besorgnis wegen dieses langen Flüsterns; was hatten die einander zu sagen, daß sie so tuschelten? Sicherlich erteilte Amadieu Ordern und bereitete einen Coup vor. Seit drei Tagen gingen böse Gerüchte um über die Arbeiten in Suez. Moser blinzelte den andern zu und sprach ebenfalls leise:

»Wissen Sie schon? Die Engländer wollen da drüben die Fortsetzung der Arbeiten hindern. Es könnte schon zum Krieg kommen.«

Diesmal wurde Pillerault wankend, gerade durch die Ungeheuerlichkeit der Nachricht. Unglaublich klang es, und sofort flog das Wort von Tisch zu Tisch und verstärkte sich zur Gewißheit: England habe sein Ultimatum gesandt, worin sofortiges Einstellen der Arbeiten verlangt würde. Offenbar redete Amadieu die ganze Zeit nur davon mit Mazaud, und offenbar gab er ihm Order, all seine Suez zu verkaufen. Das Summen einer Panik ward in der mit Fettgerüchen beladenen Luft nunmehr laut, inmitten des wachsenden Tellergeklappers. Im gleichen Augenblick stieg die Erregung auf den höchsten Gipfel, beim plötzlichen Eintritt eines Gehilfen des Maklers, des kleinen Flory mit seinen zarten, von einem dichten braunen Bart umrahmten Gesicht. Dieser übergab eiligst seinem Prinzipal das Bündel mit Auftragzetteln, die er in der Hand hielt, und beugte sich flüsternd zu ihm herab.

»Gut!« antwortete Mazaud kurz und ordnete die Zettel in seinem Taschenbuch.

Dann zog er die Uhr.

»Schon zwölf! Sagen Sie Berthier, er solle auf mich warten. Auch Sie werden zur Stelle sein. Holen Sie jetzt die Telegramme.«

Nach Florys Weggang nahm der Makler sein Gespräch mit Amadieu wieder auf und zog aus der Tasche neue Zettel, die er neben seinen Teller auf das Tischtuch legte.