In jeder Minute beugte sich ein vorübergehender Gast beim Verlassen des Lokals zu ihm herab und raunte ihm ein Wort zu, das er flugs zwischen zwei Bissen auf einen Zettel notierte. Die falsche Nachricht – man wußte nicht, woher sie kam – schwoll an wie eine Gewitterwolke.
»Nicht wahr, Sie verkaufen?« fragte Moser jetzt Salmon.
Das stumme Lächeln des letzteren war so rätselhaft verschmitzt, daß Moser in ängstlichem Zweifel über dieses englische Ultimatum blieb; er wußte nicht einmal mehr, daß er es erfunden hatte.
»Ich kaufe alles, was kommt!« schloß Pillerault mit seiner waghalsigen Eitelkeit des planlosen Spielers.
Im engen Saale war Saccard der Spielrausch heiß zum Kopf gestiegen, während das Ende der Frühstückszeit die allgemeine Aufregung noch erhöhte. Er entschloß sich, seine Spargeln zu essen, aufs neue erzürnt gegen Huret, auf dessen Kommen er nicht mehr zählte. Er, sonst so rasch in seinen Entschlüssen, war seit Wochen unschlüssig und von Ungewißheit bestürmt. Wohl fühlte er die gebieterische Notwendigkeit, ein ganz neuer Mensch zu werden, und hatte an ein ganz neues Leben in der höheren Verwaltung oder in der Politik gedacht. Weshalb konnte er nicht wie sein Bruder über den Gesetzgebenden Körper hinweg ins Ministerium gelangen? Gegen das Spekulieren hatte er die immerwährende Unbeständigkeit einzuwenden, die großen Summen, die ebenso rasch verloren wie gewonnen wurden. Noch nie hatte er auf einer wirklichen Million ohne Schulden geschlafen, und in dieser Stunde der Gewissenserforschung sagte er sich, er sei vielleicht allzu leidenschaftlich für den Kampf ums Geld, der so große Kaltblütigkeit erfordert. Daraus war wohl zu erklären, wie er nach einem so ungewöhnlichen Leben voll Luxus und voll Geldnot leer und abgebrannt aus dem zehnjährigen großartigen Schacher mit dem Baugelände des neuen Paris hervorging, in dem so viele andre und Schwerfälligere ungeheure Vermögen aufgelesen hatten. Ja, vielleicht hatte er sich über seine wirklichen Fähigkeiten getäuscht, vielleicht würde er mit einem Satze in dem politischen Handgemenge zum Siege gelangen, mit seiner Rührigkeit und seiner glühenden Zuversicht. Alles hing nun ab von der Antwort seines Bruders! Wenn dieser ihn zurückwies, ihn in den Schlund der Börse zurückschleuderte – nun, um so schlimmer dann für ihn und die andern. Dann wollte er plötzlich den großen Coup wagen, von dem er noch mit niemand gesprochen, das großartige Geschäft, von dem er seit Wochen träumte und vor dem er selbst erschrak, so gewaltig war es und geeignet, die Welt in Aufruhr zu bringen, wenn es gelang oder wenn es fehlschlug.
Pillerault hatte inzwischen die Stimme erhoben:
»Mazaud, ist's fertig mit Schlossers Exekution?«
»Ja«, erwiderte der Makler, »heute kommt der Anschlagszettel ... Was kann man da wollen? Ärgerlich ist's immerhin, aber ich hatte höchst beunruhigende Auskunft über ihn erhalten und ihn daher zuerst diskontiert ... Man muß von Zeit zu Zeit mit dem Kehrbesen dreinfahren!«
»Man versichert«, sagte Moser, »daß Ihre Kollegen Jacoby und Delarocque mit runden Summen hereingefallen sind.«
Der Makler machte eine unbestimmte Gebärde.
»Ach was, laßt brennen, was nicht zu retten ist! ... Dieser Schlosser gehört wohl zu einer Bande und wird nun ohne weiteres die Berliner oder die Wiener Börse abgrasen.«
Saccards Augen waren zu Sabatani hinübergeschweift; ein Zufall hatte ihm dessen geheime Verbindung mit Schlosser enthüllt. Beide spielten das bekannte Spiel, der eine Hausse, der andre Baisse auf einem Papier, der verlierende teilte einfach den Gewinn des andern und verschwand. Aber der junge Mann zahlte ruhig sein feines Frühstück, kam dann mit seiner einschmeichelnden Anmut eines halbitalienischen Orientalen zu Mazaud heran und drückte ihm die Hand, denn er war sein Kunde. Er beugte sich herab und gab ihm eine Order, die dieser auf einen Zettel notierte.
»Er verkauft seine Suez«, flüsterte Moser, und einem Drange gehorchend, von Zweifeln gequält, fragte er laut:
»Nun, was halten Sie vom Suez?«
Eine Stille entstand in dem Stimmengewirr, alle Köpfe an den Nachbartischen wandten sich um. Diese Frage faßte die wachsende Angst aller zusammen. Amadieu blieb unerforschlich, da er nichts zu sagen wußte; er hatte einfach Mazaud eingeladen, um ihn einem Neffen zu empfehlen. Der Makler indessen, den die einlaufenden Verkaufsordern allgemach wunderten, schüttelte einfach den Kopf in seiner Gewohnheit amtlicher Verschwiegenheit.
»Suez ist sehr gut«, erklärte mit seiner singenden Stimme Sabatani, der vor dem Verlassen des Lokals einen Umweg machte, um höflich Saccards Hand zu drücken.
Saccard hielt einen Augenblick die Empfindung dieses Händedrucks fest, dieser so geschmeidigen, so schlaffen, fast weiblichen Hand. In seiner Ungewißheit über den einzuschlagenden Weg, über sein neu aufzubauendes Leben nannte er alle Anwesenden Gauner. O, wenn man ihn dazu zwänge, wie wollte er sie in die Enge treiben, wie wollte er sie scheren, diesen ängstlichen Moser, diesen Renommisten Pillerault, den hohlen Kürbiskopf Salmon und diesen Dummkopf Amadieu, dessen Genie nur aus dem Erfolg bestand! Das Tellergeklapper und Gläsergeklirr war lauter geworden, die Stimmen wurden heiser, die Türflügel klappten lauter bei der Hast, die nunmehr alle antrieb, bei dem Spiele zu sein, wenn der Krach mit dem Suez losging. Und durch das Fenster sah man inmitten des von Droschken durchfurchten, von Fußgängern gefüllten Börsenplatzes die sonnenbeschienenen Stufen der Börse wie mit Mücken bedeckt, da jetzt der Schwarm menschlicher Insekten fort und fort stieg, die Flut tadellos schwarzgekleideter Männer, die nach und nach die Kolonnade füllten. Zugleich tauchten hinter den Gittern einige Frauenzimmer auf, die unter den Bäumen umherschlenderten.
Plötzlich, in dem Augenblick, wo er den bestellten Käse anschneiden wollte, vernahm Saccard eine laute Stimme. Er blickte auf.
»Verzeihung, mein Bester, es war mir unmöglich, früher zu kommen!«
Endlich war Huret da, ein Normanne aus dem Calvados, mit dem plumpen, breiten Gesicht eines verschmitzten Bauern, der sich als Tor aufspielt. Sofort ließ er sich irgend etwas geben, die Tagesplatte mit einem Gemüse.
»Nun?« fragte trocken Saccard, der noch an sich hielt.
Der andre aber hatte keine Eile; er sah den Frager verschmitzt und vorsichtig an, begann zu essen, streckte das Gesicht vor und sagte mit leiserer Stimme:
»Nun, ich habe den gewaltigen Mann gesprochen ... Ja, bei ihm zu Hause, heute früh ... o, er ist sehr nett gewesen, sehr nett für Sie.«
Dann hielt er inne, trank ein großes Glas Wein aus, steckte sich wieder eine Kartoffel in den Mund.
»Und dann?«
»Und dann, mein Bester, steht die Sache so: er will für Sie alles tun, was er kann, er will Ihnen eine ganz hübsche Stellung ausfindig machen, aber nicht in Frankreich ... so zum Beispiel als Gouverneur in irgendeiner unsrer Kolonien, in einer guten; dort wären Sie Herr und Meister, ein wahrer Fürst im kleinen.«
Saccard war aschfahl geworden.
»Hören Sie mal, das ist wohl Spaß! Sie treiben Ulk mit mir! ... Warum nicht gar sofort Deportation? ...
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