So, er will mich los sein? Er soll sich nur zusammennehmen, daß ich ihm nicht schließlich im Ernst lästig falle!«
Huret hatte den Mund voll und war versöhnlich gestimmt.
»Sachte, sachte! Man will nur Ihr Wohl; lassen Sie uns nur machen!«
»Ich soll mich beiseite drücken lassen, nicht wahr? ... Hören Sie! Soeben sagte man hier, das Kaiserreich würde bald keinen Fehler mehr zu begehen haben. Ja, der Krieg mit Italien, Mexiko, die Haltung gegen Preußen aufs Wort, das ist wahr! ... Man wird so viel Dummheiten und Torheiten begehen, daß ganz Frankreich sich erheben wird, um euch hinauszuschmeißen.«
Jetzt blickte der Herr Abgeordnete, des Ministers getreue Kreatur, ängstlich und blaß um sich.
»Nun, erlauben Sie, erlauben Sie! So weit kann ich Ihnen nicht recht geben ... Rougon ist ein ehrenwerter Mann; keine Gefahr, solange er da ist ... Nein, sagen Sie nichts weiter, Sie verkennen ihn, das ist gewiß.«
Heftig zischte Saccard zwischen den Zähnen hervor: »Meinetwegen verehren Sie ihn, macht eure Hexenküche zusammen ... Ja oder nein, will er mir in Paris weiterhelfen?«
»In Paris niemals!«
Ohne ein Wort weiter zu sagen, erhob sich Saccard und rief dem Kellner, um zu zahlen, während Huret, der diese Zornanfälle kannte, ruhig große Stücke Brot hinunterschlang und ihn aus Furcht vor Skandal fortgehen ließ.
In diesem Augenblick kam in den Saal eine heftige Erregung. Gundermann war soeben eingetreten, der Finanzkönig, der Meister der Börse und der Welt, ein sechzigjähriger Mann, dessen ungeheurer Kahlkopf mit der dicken Nase und den runden, vorstehenden Augen großartige Hartnäckigkeit und Arbeitsmüdigkeit ausdrückten. Nie ging er zur Börse, er schickte nicht einmal einen beglaubigten Vertreter hin, auch speiste er nie an einem öffentlichen Ort. Allein er zeigte sich von Zeit zu Zeit, wie heute, im Restaurant Champeaux und setzte sich an einen Tisch, um sich bloß ein Glas Vichywasser auf einem Teller bringen zu lassen. Seit zwanzig Jahren magenleidend, hielt er strenge Milchdiät.
Sofort war das ganze Personal auf den Beinen, und alle anwesenden Gäste klappten zusammen. Wie vernichtet bewunderte Moser diesen Mann, der die Geheimnisse wußte, der nach Belieben Hausse oder Baisse machte, wie Gott den Donner macht. Pillerault selbst grüßte ihn, ihm imponierte nur die unwiderstehliche Gewalt der Milliarde.
Jetzt war's halb eins. Mazaud ging hurtig von Amadieu weg und verbeugte sich bis auf den Boden vor dem Bankier, von dem er mitunter die Ehre hatte eine Order zu bekommen. Viele Gäste, die eben im Begriff waren, eilig aufzubrechen, blieben stehen und umgaben den Börsengott inmitten der Unordnung der beschmutzten Tischtücher mit einem Hofstaat ehrfurchtsvoll gekrümmter Rückgrate. Mit scheuer Ehrfurcht betrachteten sie ihn, während er mit zitternder Hand das Glas ergriff und an seine farblosen Lippen führte.
Ehemals, bei seinen Spekulationen mit den Bauplätzen der Ebene Monceaux, hatte Saccard mit Gundermann Zwistigkeiten gehabt. Beide konnten einander nicht verstehen – der eine ein leidenschaftlicher Genußmensch, der andre ein nüchterner und kalter Logiker. Schon wollte der erstere weggehen, in seinem Zornanfall durch den Eintritt des Triumphators noch erbittert, als der andre ihn herbeirief.
»Sagen Sie mal, lieber Freund, ist's wahr, Sie geben die Geschäfte auf? ... Meiner Treu, Sie haben recht, es ist besser.«
Das war für Saccard ein Peitschenhieb ins Antlitz; er richtete seine kleine Gestalt auf und erwiderte mit spitziger Stimme, scharf wie ein Schwert:
»Ich gründe ein Kredithaus mit einem Kapital von fünfundzwanzig Millionen und gedenke Sie demnächst aufzusuchen.«
Und er ging hinaus aus dem heißen Gewühl des Saales, in welchem jetzt alles sich drängte, um den Beginn der Börse nicht zu versäumen. O, könnte er doch endlich Erfolg haben, diesen Menschen, die ihm den Rücken wandten, wieder den Fuß auf den Nacken setzen und an Macht mit diesem Geldkönig wetteifern, ja vielleicht ihn dereinst zu Boden werfen! Noch war er nicht entschlossen, sein großes Geschäft zu lancieren; er wunderte sich nun über das Wort, welches der Drang, etwas zu antworten, ihm entpreßt hatte. Aber konnte er anderswo sein Glück versuchen zu einer Zeit, da sein Bruder ihn im Stiche ließ, da Menschen und Dinge ihn verwundeten, um ihn ins Handgemenge zurückzuschleudern, wie einen blutenden Stier, der in die Arena zurückgeführt wird?
Eine Weile blieb er bebend am Rand des Gehwegs stehen. Jetzt war die tätige Stunde, wo das gesamte Leben von Paris auf diesem Platz im Zentrum zusammenzuströmen scheint, zwischen der Rue Montmartre und der Rue Richelieu, den zwei strotzenden Verkehrsadern, welche die Menschenmengen fortspülen. Von den vier Kreuzwegen an den vier Ecken des Platzes her strömten Wagen in ununterbrochenen Fluten und durchfurchten das Pflaster inmitten des Strudels der Fußgänger. Ohne Unterlaß wurden die zwei Droschkenreihen an der Haltestelle längs des Gitters durchbrochen und wieder geschlossen, während in der Rue Vivienne die Viktorias der Makler in langem Zuge sich drängten, von den Kutschern überragt, welche mit den Zügeln in der Hand bereitstanden, beim ersten Wink auf die Pferde einzuhauen.
Auf Freitreppe und Säulengang wimmelte es jetzt schwarz von Gehröcken, und aus der Kulisse, die unter der Uhr bereits in voller Tätigkeit war, stieg das Getöse von Angebot und Nachfrage auf, jenes dumpfe Rauschen der Börsenflut, von dem das Dröhnen der Großstadt siegreich übertönt wird. Vorübergehende schauten herüber, in begehrlicher Furcht vor dem, was hier vorging, vor dem Geheimwesen der Finanzoperationen, in das selten ein französischer Geist eindringt, vor jenen unerklärlichen, unter wilden Gebärden und Rufen plötzlich aufgebauten und zusammenkrachenden Reichtümern. Saccard, an der Gosse stehend, betäubt von den fernen Stimmen, vom hastenden Gewühl beiseite geschoben, träumte wiederum von dem Königtum des Geldes in diesem fiebernden Stadtviertel, in dessen Mitte von ein bis drei Uhr der Herzschlag der Börse gewaltig pulsiert.
Seit seinem Sturz hatte er nicht wieder gewagt die Börse zu betreten, und auch heute hielt ihn ein Gefühl krankhafter Eitelkeit, die Gewißheit, als Besiegter empfangen zu werden, davon ab, die Stufen hinanzusteigen. Wie die aus dem Schlafgemach der Geliebten verstoßenen Liebhaber dieselbe zu hassen glauben und doch verstärkte Sehnsucht empfinden, so kam er vom Schicksal getrieben hierher, umschritt die Kolonnade unter leeren Vorwänden, trat in den Garten ein und erging sich wie ein Lustwandler unter dem Schatten der Kastanienbäume. In dieser staubigen Anlage ohne Rasen und ohne Blumen, auf deren Bänken zwischen Bedürfnisanstalten und Zeitungskiosken ein bunter Mischmasch niederer Spekulanten und säugender Arbeiterfrauen sich herumtrieb, wußte er den Anschein eines harmlosen Spaziergängers anzunehmen; er blickte aber lauernd zur Börse hinüber mit dem wuterfüllten Gedanken, daß er das Gebäude belagerte, daß er es mit einem engen Ring umschloß, um eines Tages als Sieger wieder einzuziehen.
Durch die Ecke rechts kam er heran, unter den Bäumen gegenüber der Rue de la Banque, und sogleich geriet er mitten in die kleine Börse der ausgeschiedenen Werte, unter die sogenannten »Feuchten Füße«. So nennt man nämlich mit ironischer Verachtung jene Börsentrödler, die im Freien, in dem Straßenkote der Regentage mit den Papieren untergegangener Gesellschaften spekulieren. Da stand in lärmender Gruppe eine unreinliche Judengesellschaft mit fettglänzenden Gesichtern oder abgemagerten Raubvogelprofilen beisammen, eine ungewöhnliche Versammlung auffallender Nasen, wie über einer Beute dicht aneinander gedrängt, sich unter lautem Rufen ereifernd und nahe daran, einander aufzufressen.
Saccard wollte vorbeigehen, als er etwas abseits einen dicken Mann sah, der in der Sonne einen Rubin besichtigte, indem er ihn zärtlich zwischen seinen großen, schmutzigen Händen ans Tageslicht hielt.
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