»Ei, Busch! ... Da fällt mir ein, daß ich zu Ihnen herauf wollte.«

Busch, der eine Geschäftsagentur in der Rue Feydeau, an der Ecke der Rue Vivienne, innehatte und zu wiederholten Malen Saccard unter schwierigen Umständen von großem Nutzen gewesen war, blieb immer noch in Verzückung vor dem herrlichen Wasser des Edelsteins, sein breites, flaches Gesicht nach oben gekehrt, seine dicken grauen Augen vom grellen Licht geblendet. Man sah seine zu einem Strick gewundene weiße Halsbinde unter dem Gehrock hervorscheinen, der einstmals prächtig, jetzt aber im höchsten Grade schäbig und mit Flecken gesprenkelt, bis zu den bleichen Haaren hinaufreichte, die in dünnen, struppigen Strähnen vom fahlen Schädel herabfielen. Von der Sonne gerötet, von Regengüssen verwaschen, hatte sein Hut kein bestimmbares Alter mehr.

Endlich stieg Busch wieder zum Diesseits herab.

»Ah, Herr Saccard! Sie kommen ein wenig hier vorbei?«

»Ja, es ist wegen eines russischen Briefes von einem russischen Bankier in Konstantinopel. Da habe ich an Ihren Bruder gedacht wegen der Übersetzung.«

Busch, der immer noch mit unbewußter Zärtlichkeit den Rubin in seiner Rechten hin und her rollte, streckte die Linke vor und sagte, es solle noch am gleichen Abend die Übersetzung ihm zugehen. Aber Saccard erklärte, es handle sich bloß um ein paar Zeilen.

»Ich gehe selbst hinauf. Ihr Bruder wird mir das gleich vorlesen.«

Da wurde er durch die Ankunft einer ungeheuer dicken Frau unterbrochen, der bei den Stammgästen der Börse wohlbekannten Frau Méchain, einer von jenen hartnäckigen armseligen Spielerinnen, deren fette Hände in allerhand verdächtigen Geschäften herumwühlen. Ihr rotgedunsenes Vollmondsgesicht mit den gekniffenen blauen Augen, in welchem das kleine Näschen verschwand, mit dem kleinen Mund, aus welchem ein dünnes Fistelstimmchen ertönte, schien aus dem alten, malvenfarbigen Hut, der mit knallroten Bändern auf der Seite gebunden war, hervorzuquellen; ihre riesige Brust und ihr wassersüchtiger Bauch spannten das kotzerfressene, gelblich schimmernde Grünpopelinekleid bis zum Bersten. Im Arm hielt sie eine ungeheuer große, reisesackähnliche, altmodische Schwarzledertasche, die sie niemals losließ. An jenem Tage war die Tasche hochgeschwollen und bis zum Platzen gefüllt, so daß ihr Gewicht die Méchain nach rechts herunterzog wie einen schiefgewachsenen Baum.

»Kommen Sie jetzt erst?« rief Busch, der wohl auf sie wartete.

»Ja, und ich habe die Papiere aus Vendôme erhalten; ich bringe sie gleich mit.«

»Gut, los! Zu mir! ... Heute ist hier nichts zu holen.«

Saccard hatte einen flackernden Blick auf die geräumige Ledertasche geworfen. Er wußte, daß die entwerteten Papiere unausbleiblich dahinein gerieten, die Aktien bankrotter Gesellschaften, mit denen die »Feuchten Füße« immer noch zu spekulieren pflegen, Aktien zu fünfhundert Franken, um welche diese sich für zwanzig Sous, für zehn Sous streiten, in der unbestimmten Hoffnung auf ein unwahrscheinliches Steigen dieser Papiere, oder als eine praktische Gaunerware, die man mit Gewinn an Bankrotteure abgibt, die ihre Passiva zu verdecken wünschen. In den mörderischen Schlachten der Finanz war die Méchain der Rabe hinter den marschierenden Heerscharen. Keine Gesellschaft, kein großes Bankhaus ging aus dem Leim, ohne daß sie mit ihrer Tasche auftauchte; in Erwartung der Leichname schnüffelte sie in der Luft umher, selbst an den glücklichen Tagen erfolgreicher Emissionen. Denn sie wußte schon, daß der Krach unausbleiblich war, daß der Tag des Gemetzels kommen würde, an dem es in Kot und Blut Tote auszurauben, Werte umsonst aufzulesen gibt. Und Saccard, der sein großes Projekt einer Bankgründung im Kopfe wälzte, bekam einen leichten Schauer; es wandelte ihn eine Vorahnung an beim Anblick dieser Tasche, dieses Schindangers der entwerteten Papiere, der alles zur Börse hinausgefegte schmutzige Papier in sich aufnahm.

Als Busch die alte Frau mitnehmen wollte, hielt ihn Saccard zurück.

»Ich kann also hinauf? Ich treffe Ihren Bruder sicher?«

Die Augen des Juden blickten sanfter und drückten eine sorgenvolle Überraschung aus. »Mein Bruder? Ja, gewiß! Wo sollte er denn sonst sein?«

»Ganz recht! ... Bis nachher!«

Saccard ließ beide weiterlaufen und setzte seinen Weg nach der Rue Notre-Dame-des-Victoires langsam längs der Bäume fort.

Diese Seite des Börsenplatzes ist eine der begangensten, mit Geschäftshäusern und Pariser Hausindustrien dicht besetzt, deren vergoldete Firmenschilder in der Sonne flammen. An den Altanen klapperten die Jalousien, und die ganze Familie Provinzbewohner schaute mit offenem Munde zum Fenster eines Hôtel garni heraus. Unwillkürlich hatte er empor zu diesen Leuten geblickt, über deren Verblüfftheit er lächeln mußte; dieser Anblick stärkte ihn durch den Gedanken, daß es draußen in den Departements immer noch Aktionäre geben würde. Hinter seinem Rücken tobte der Börsenlärm weiter, wie das immerwährende Rauschen der fernen Meeresflut, und es verfolgte ihn wie eine stete Drohung, ihn zu verschlingen.

Da zwang ihn eine neue Begegnung zum Stehenbleiben.

»Wie, Jordan, Sie wollen zur Börse?« rief er und drückte einem großen, dunkelhaarigen jungen Manne mit kleinem Schnurrbärtchen und entschlossener, eigenwilliger Miene die Hand.

Jordan, Sohn eines Marseiller Bankiers, der sich nach heillosem Spekulieren erschossen hatte, irrte seit zehn Jahren auf dem Pariser Pflaster umher, auf Schriftstellerei erpicht, in wackerem Kampf gegen das tiefste Elend. Ein in Plassans seßhafter Vetter, der dort die Familie Saccard kannte, hatte ihn an diesen empfohlen zu jener Zeit, da er in seinem Hotel am Park Monceaux ganz Paris empfing.

»O, zur Börse? Niemals!« entgegnete der junge Mann mit heftig abwehrender Bewegung, als wollte er die tragische Erinnerung an seinen Vater verscheuchen. Dann lächelte er wieder.

»Sie wissen schon, ich habe mich verheiratet ... Jawohl, mit einer Jugendfreundin. Man hatte uns zu den Zeiten verlobt, da ich reich war, und sie hat sich in den Kopf gesetzt, unter allen Umständen den armen Teufel zu nehmen, der ich inzwischen geworden bin.«

»Ganz recht, ich habe den Verlobungsbrief erhalten«, sagte Saccard, »und, denken Sie, ich habe ehedem mit Ihrem Schwiegervater, Herrn Maugendre, Beziehungen gehabt, als er noch in La Villette seine Zelttuchfabrik hatte. Er muß da ein schönes Vermögen verdient haben.«

Dieses Gespräch fand neben einer Bank statt.

Jordan unterbrach dasselbe, um einen kurzen, dicken Herrn von militärischem Aussehen vorzustellen, der auf der Bank saß und mit dem er bei der Begegnung mit Saccard sich unterhalten hatte.

»Herr Hauptmann Chave, ein Onkel meiner Frau! ... Frau Maugendre, meine Schwiegermutter, ist eine geborene Chave aus Marseille.«

Der Hauptmann hatte sich erhoben, und Saccard grüßte. Er kannte vom Sehen dieses apoplektische Gesicht mit dem durch den Uniformkragen steif gewordenen Hals. Es war ein Typus jener allergeringsten Spieler gegen bar, die man von ein bis drei Uhr bestimmt hier trifft. Der Hauptmann trieb ein wahres Scherenschleiferspiel mit einem fast sichern täglichen Gewinn von fünfzehn bis zwanzig Franken, die an demselben Börsentag noch flüssig zu machen sind.

Jordan hatte mit seinem gutmütigen Lachen hinzugefügt, um seine Anwesenheit zu erklären:

»Ein schneidiger Börsenmann, mein Onkel! Hier und da drücke ich ihm so im Vorbeigehen die Hand.«

»Ei«, erwiderte der Hauptmann, »man muß wohl spielen, da die Regierung mit dem Ruhegehalt mich verhungern läßt!«

Saccard nahm Interesse an dem jungen Mann und an seiner Tapferkeit im Kampfe ums Dasein.

Er fragte ihn, ob es mit der Schriftstellerei voranginge.