Lachend wehrte sich die Kleine ein bißchen. Und vor Ergriffenheit hatte sie die Augen voller Tränen.
Rings um die Liebenden schlief die Landschaft im unendlichen Frieden der Winterkälte. Jetzt waren sie auf der Mitte des Abhangs angekommen. Links von ihnen lag ein ziemlich hoher Hügel, auf dessen Gipfel der Mond die Ruinen einer Windmühle mit silbernem Licht übergoß. Nur das Gehäuse, auf einer Seite ganz verfallen, war noch übriggeblieben. Das war das Ziel, das die beiden jungen Leute ihrem Spaziergang gesetzt hatten. Seit sie die Vorstadt hinter sich gelassen hatten, waren sie der Straße gefolgt, ohne auch nur einen einzigen Blick auf die Felder zu werfen, die sie durchwanderten. Nachdem Silvère Miette auf die Wangen geküßt hatte, hob er den Kopf. Jetzt sah er die Mühle.
»Wie schnell wir gegangen sind!« rief er. »Da ist die Mühle. Es muß bald halb zehn sein, wir müssen umkehren.«
Miette verzog schmollend den Mund.
»Laß uns noch ein wenig gehen«, bat sie, »nur ein paar Schritte, bis zu dem kleinen Seitenweg … Wirklich, nur bis dahin.«
Silvère lächelte und legte wieder den Arm um sie. Dann gingen sie weiter hügelabwärts. Sie fürchteten die Blicke Neugieriger nicht mehr; seit den letzten Häusern waren sie keiner Menschenseele mehr begegnet. Dennoch blieben sie noch in die große Pelisse gewickelt. Diese Pelisse, dieses gemeinsame Kleidungsstück, war wie ein natürliches Nest ihrer Liebe. Während so vieler glücklicher Abende hatte der Mantel sie geborgen. Wären sie frei nebeneinander hergegangen, so hätten sie sich in der weiten Landschaft ganz klein, ganz verloren gefühlt. Es beruhigte sie, machte sie in ihren eigenen Augen größer, wenn sie nur ein einziges Wesen bildeten. Aus den Falten der Pelisse heraus betrachteten sie die Felder, die sich zu beiden Seiten der Straße ausdehnten, ohne den schweren Druck zu empfinden, mit dem die weiten unempfindlichen Horizonte auf der menschlichen Zärtlichkeit lasten. Es war ihnen, als hätten sie ihr eigenes Haus mitgebracht, und sie genossen die Landschaft wie von einem Fenster aus. Sie liebten diese stille Einsamkeit, diese breiten Flächen schlafenden Lichts, dieses Stückchen Natur, verschwommen unter dem winterlichen, nächtlichen Leichentuch, und das ganze Tal, das sie zwar bezauberte, aber nicht mächtig genug war, sich zwischen ihre beiden eng aneinandergeschmiegten Herzen zu drängen.
Übrigens hatte jedes zusammenhängende Gespräch zwischen ihnen aufgehört, sie sprachen nicht mehr von den andern, sie sprachen sogar nicht mehr von sich selbst. Sie lebten nur dem Augenblick, wechselten wohl einmal einen Händedruck, stießen beim Anblick eines Landschaftsausschnittes einen Ruf der Bewunderung aus, ließen auch einmal ein paar Worte fallen, ohne daß der andere wirklich zuhörte, waren wie benommen durch die Wärme ihrer Körper. Silvère vergaß seine Begeisterung für die Republik, Miette dachte nicht mehr daran, daß ihr Liebster sie in einer Stunde für lange, vielleicht für immer verlassen mußte. Wie an gewöhnlichen Tagen, an denen kein Abschied den Frieden ihres Beisammenseins störte, versanken sie in der Seligkeit ihrer Liebkosungen.
Sie gingen immer noch weiter. Bald kamen sie an den kleinen Seitenweg, von dem Miette gesprochen hatte, einen schmalen Steig, der sich zwischen den Fluren hinzieht und zu einem Dorf am Ufer der Viorne führt.
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