Am folgenden Tag ließ der junge Mann sie eine Quittung unterschreiben, mit der sie anerkannte, daß sie fünfzigtausend Francs als Erlös für das Anwesen erhalten habe. Das war ein Meisterstück – ein Schurkenstreich. Als sich seine Mutter dann wunderte, daß sie ein solches Schriftstück unterschrieben und dabei nicht einen Centime von den fünfzigtausend Francs zu sehen bekommen hatte, begnügte er sich damit, ihr zu sagen, es handle sich um eine bloße Formsache, die keinerlei Folgen nach sich ziehe. Während er das Papier in die Tasche steckte, dachte er: Jetzt können die Wolfsjungen die Abrechnung von mir verlangen. Dann werde ich ihnen sagen, die Alte habe alles durchgebracht. Sie werden niemals wagen, mir den Prozeß zu machen! – Acht Tage später war die Scheidemauer verschwunden, der Pflug hatte die Gemüsebeete umgeackert; wie der junge Rougon es gewünscht hatte, wurde das Fouquesche Anwesen zur Legende. Einige Monate später ließ der Eigentümer des JasMeiffren sogar das alte, halbzerfallene Wohnhaus der Gemüsegärtner abreißen.
Als Pierre die fünfzigtausend Francs in Händen hatte, heiratete er Félicité Puech unmittelbar nach Ablauf der Aufgebotsfrist. Félicité war eine kleine, dunkle Frau, wie man sie oft in der Provence antrifft. Sie sah aus wie eine jener braunen, dürren, scharf zirpenden Zikaden, die sich beim jähen Auffliegen den Kopf an den Mandelbäumen stoßen. Sie war mager, flachbrüstig, hatte eckige Schultern, das Gesicht eines Steinmarders mit merkwürdig scharfen und ausgeprägten Zügen. Ihr Alter war schwer festzustellen; man hätte sie ebenso für fünfzehn wie für dreißig Jahre halten können, obwohl sie in Wirklichkeit neunzehn zählte, vier Jahre weniger als ihr Mann. Eine katzenhafte Schlauheit lag in ihren schwarzen, engstehenden Augen, die an Bohrlöcher denken ließen. Die Stirn war niedrig und gewölbt; die Nase war an der Wurzel leicht eingedrückt und hatte, wie um besser die Gerüche aufzufangen, stark ausgebuchtete, feine, dünne, zitternde Flügel; die Lippen bildeten einen schmalen, roten Strich, das vorspringende Kinn war durch merkwürdige Vertiefungen mit den Wangen verbunden. Dieses ganze Gesicht einer durchtriebenen Zwergin war die lebendige Maske der Intrige, des unternehmenden, neidischen Ehrgeizes. Bei all ihrer Häßlichkeit besaß Félicité einen persönlichen Reiz, der sie verführerisch machte. Es hieß von ihr, sie könne nach eigenem Belieben hübsch oder häßlich sein. Das hing vielleicht davon ab, wie sie ihr herrliches Haar aufsteckte; noch mehr aber hing es von dem triumphierenden Lächeln ab, das ihren goldbraunen Teint überstrahlte, sobald sie über jemanden zu triumphieren meinte. Unter einem schlechten Stern geboren und ihrer Ansicht nach vom Schicksal benachteiligt, gab sie sich meist damit zufrieden, nur ein häßliches Frauenzimmer zu sein. Andererseits gab sie den Kampf nicht auf; sie hatte sich vorgenommen, eines Tages die ganze Stadt durch unerhörtes Glück und außerordentlichen Prunk vor Neid zum Bersten zu bringen. Und wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, ihr Leben auf einer größeren Bühne abspielen zu lassen, wo sich ihr durchdringender Verstand frei hätte entfalten können, so würde sie sicher ihren Traum bald verwirklicht haben. Ihr Verstand war dem anderer Mädchen ihres Standes und ihrer Bildung weit überlegen. Böse Zungen behaupteten, ihre Mutter, die einige Jahre nach ihrer Geburt gestorben war, sei in der ersten Zeit ihrer Ehe sehr eng mit dem Marquis de Carnavant befreundet gewesen, einem jungen Adligen aus dem SaintMarcViertel. In der Tat hatte Félicité die Hände und Füße einer Marquise, wie sie dem arbeitenden Stand, aus dem sie herstammte, nicht zuzukommen schienen.
Die Altstadt wunderte sich einen ganzen Monat lang darüber, daß sie Pierre Rougon heiratete, diesen halben Bauern, diesen Mann aus der Vorstadt, dessen Familie nicht gerade im Geruch der Heiligkeit stand. Sie ließ die Leute reden und nahm mit eigentümlichem Lächeln die zurückhaltenden Glückwünsche ihrer Freundinnen entgegen. Ihre Rechnung war gemacht: sie wählte Rougon zum Gatten, wie man einen Komplicen wählt. Ihr Vater sah, als er den jungen Menschen in seine Familie aufnahm, einzig den Zuwachs von fünfzigtausend Francs, der ihn vor dem Bankrott rettete. Félicité aber halte schärfere Augen. Sie schaute in die ferne Zukunft, und sie fühlte, daß sie einen gesunden Mann, sogar einen etwas bäurischen, brauchte, hinter dem sie sich verstecken und dessen Arme und Beine sie nach Belieben in Bewegung setzen konnte.
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