«Ich will die Sache selber in die Hand nehmen. Es ist Zeit, dass der brave Oberst erscheint und seine Freunde begrüßt; sonst kommt uns noch der Verdacht, dass er zu viel von seinem Kanarienwein gekostet hat im größten Bemühen, zur Feier des Tages das beste Fass zu öffnen! Da er nun aber so verspätet ist, gebe ich ihm persönlich ein Zeichen!»

Also stampfte er in seinen schweren Reitstiefeln, dass man es noch im hintersten der sieben Giebel hören konnte, zu der vom Diener bezeichneten Tür und klopfte so schwungvoll und laut dagegen, dass die neuen Türpaneele widerhallten. Lächelnd wandte er sich zu den Zuschauern um und wartete auf eine Antwort. Als jedoch keine kam, klopfte er wieder, mit demselben unbefriedigenden Ergebnis. Und weil der Vizegouverneur ein etwas aufbrausendes Temperament besaß, hob er nun seinen schweren Schwertknauf und schlug und hämmerte damit derart gegen die Tür, dass der Lärm, wie ringsum geflüstert wurde, Tote hätte auferwecken mögen. Die Wirkung auf Oberst Pyncheon blieb trotzdem aus. Als das Geräusch erstarb, herrschte im ganzen Haus tiefe, bedrückte Stille, obwohl ein, zwei heimliche Gläschen Wein oder Schnaps die Zunge mancher Gäste doch schon gelöst hatten.

«Wahrhaftig sonderbar! – Sehr sonderbar!», rief der Vizegouverneur, dessen Lächeln sich in ein Stirnrunzeln verwandelt hatte. «Aber da unser Gastgeber so wenig auf Förmlichkeiten gibt, folge ich seinem guten Beispiel und erlaube mir, ihn zu stören!»

Er rüttelte an der Tür, die seiner Hand nachgab und von einem plötzlich Windstoß, der wie mit einem lauten Seufzer vom äußersten Portal durch alle Gänge und Zimmer des neuen Hauses wehte, weit aufflog. Er raschelte mit den Seidenkleidern der Damen, kräuselte die langen Locken der Herrenperücken und zog an den Fenster- und Bettvorhängen der Schlafkammern, brachte alles seltsam zum Erbeben und fast mehr noch zum Schweigen. Ein Schauer der Ehrfurcht und banger Erwartung– weshalb oder wovor wusste niemand – hatte sich plötzlich auf die Gesellschaft gelegt.

Alle strömten nun aber zu der jetzt offenen Tür und schoben in ihrer brennenden Neugier den Vizegouverneur in den Raum vor ihnen. Auf den ersten Blick sahen sie nichts Außergewöhnliches: einen geschmackvoll möblierten, von Vorhängen halb verdunkelten mittelgroßen Raum mit Bücherwänden, einer großen Landkarte an der Wand und einem Porträt von Oberst Pyncheon, unter dem der Oberst persönlich saß, in einem Lehnstuhl aus Eiche, mit einer Feder in der Hand. Auf dem Tisch vor ihm lagen Briefe, Pergamente und unbeschriebene Blätter. Er schien die neugierige Menge, angeführt vom Vizegouverneur, zu betrachten, mit einem Stirnrunzeln auf dem dunklen, massigen Gesicht, als missbillige er gründlich die Unverschämtheit, mit der sie sich ihm aufdrängte.

Ein kleiner Junge – der Enkel des Obersten und das einzige Wesen, das sich je Vertraulichkeiten mit ihm herausnahm – löste sich nun von den Gästen und rannte auf die sitzende Gestalt zu; dann blieb er auf halbem Weg stehen und schrie vor Entsetzen. Zitternd wie Espenlaub schob sich die Gesellschaft näher und stellte fest, dass der starre Blick des Obersten unnatürlich verzerrt war; auf seiner Halskrause war Blut, und sein grauer Bart war getränkt davon. Es war für jede Hilfe zu spät. Der Puritaner mit dem eisernen Herzen, der gnadenlose Verfolger und raffgierige Mann mit dem starken Willen war tot! Tot in seinem neuen Haus! Es heißt – und dies sei nur erwähnt, weil es eine an sich schon düstere Szene in die noch größere Finsternis abergläubischen Entsetzens taucht –, unter den Gästen sei eine laute Stimme ertönt und habe im selben Ton wie der alte Matthew Maule, der hingerichtete Hexer, verkündet: «Gott hat ihm Blut zu trinken gegeben!»

So früh war dieser eine Gast – der einzige, der bestimmt einmal seinen Weg zu jeder menschlichen Wohnung findet –, so früh war der Tod über die Schwelle zum Haus mit den sieben Giebeln geschritten!

Oberst Pyncheons plötzlicher und rätselhafter Tod wirbelte damals viel Staub auf. Es gab viele Gerüchte, und sie hängen zum Teil noch in der Luft, wonach manches für Gewaltanwendung sprach. Es war die Rede von Fingerspuren auf seiner Kehle, einem blutigen Handabdruck auf seiner gerafften Krause, und sein Spitzbart sei zerzaust gewesen, als hätte man heftig daran gezerrt und gezogen. Auch wurde behauptet, dass das Gitterfenster neben dem Stuhl des Obersten offen stand, und nur Minuten vor dem fatalen Ereignis habe man hinter dem Haus eine männliche Gestalt gesehen, die über den Gartenzaun kletterte. Doch wäre es Torheit, viel von solchen Geschichten zu halten, die stets nach derartigen Ereignissen aufkommen und sich manchmal, wie in diesem Fall, noch ewig behaupten und wie Blätterpilze anzeigen, wo ein gestürzter und begrabener Baum einst in der Erde verrottete. Wir mögen sie ebenso wenig glauben wie die Mär von der Knochenhand, die der Vizegouverneur angeblich am Hals des Obersten sah, worauf sie bei seinem Näherkommen verschwand. Fest steht nur, dass die Ärzte sich heftig über die Todesursache stritten. Eine augenscheinliche Kapazität namens John Swinnerton hielt es, wenn wir die Fachausdrücke richtig verstanden haben, für einen Schlaganfall. Seine Kollegen äußerten alle mehr oder weniger einleuchtende Hypothesen, die sie jedoch immer in eine rätselhafte Sprache kleideten, die vielleicht nicht von Verwirrung in den Köpfen dieser gelehrten Doktoren zeugt, aber jedenfalls eine solche bei den Laien schafft, die ihren Rat haben wollen. Dann berieten die Untersuchungsrichter über dem Leichnam und verkündeten als Männer mit gesundem Menschenverstand das unangreifbare Verdikt: «Plötzlicher Tod!»

Es ist auch tatsächlich schwer vorstellbar, dass es einen ernsthaften Mordverdacht oder die geringsten Hinweise auf einen möglichen Täter gegeben hätte. Gewiss hätte man angesichts des Rangs, Reichtums und der herausragenden Stellung des Verstorbenen jeden verdächtigen Umstand peinlichst genau untersucht. Da man von einem solchen nichts weiß, dürfen wir annehmen, dass es keinen gab. Nur der mündlichen Überlieferung – die manchmal eine Wahrheit erkennt, die der Geschichte entging, öfter jedoch nur sinnloses Geschwätz ist, dem man sich früher am Kamin hingab, während es heute zu Druckerschwärze erstarrt –, ihr allein sind gegenteilige Behauptungen anzulasten. In der Beerdigungspredigt für Oberst Pyncheon, die gedruckt wurde und noch existiert, preist Pastor Higginson neben vielen anderen Vortrefflichkeiten im Erdendasein seines herausragenden Gemeindemitglieds die glückliche Fügung seiner Todesstunde. Nachdem er all seine Pflichten erfüllt, den höchsten Wohlstand erreicht, sein Geschlecht für Generationen auf ein sicheres Fundament gestellt und ihm ein schützendes Dach über dem Kopf gegeben habe – welcher letzte Schritt bleibe dem tüchtigen Mann da noch zu tun als der hinauf von der Erde zum goldenen Himmelstor! Bestimmt hätte der fromme Geistliche nichts Derartiges geäußert, hätte er im Geringsten vermutet, der Oberst sei mit gewaltsamem Würgegriff ins Jenseits befördert worden.

Der Familie des Obersten schien zum Zeitpunkt seines Todes ein so dauerhaft günstiges Schicksal bestimmt, wie es angesichts der Unwägbarkeit menschlichen Strebens nur möglich ist.