Man durfte billigerweise erwarten, dass der Zeitenlauf ihren Wohlstand eher vermehren und fördern als schwächen und gar vernichten würde. Seinem Sohn und Erben fiel nämlich nicht nur sogleich ein ausgedehntes Grundstück zu, sondern der Anspruch, mit den Indianern ausgehandelt und danach vom obersten Gericht1 bestätigt, auf riesige, noch unerforschte und unvermessene Ländereien im Osten. Dieser Besitz – so darf man ihn fast sicher nennen – umfasste den größten Teil des heutigen Waldo County im Staate Maine und war somit größer als manches europäische Herzog- oder gar Fürstentum. Wenn der unwegsame Wald, der diese fürstliche Wildnis bedeckte, dereinst goldenen Äckern wich – und das war unvermeidlich, wenn auch vielleicht erst nach Generationen –, würde er den Pyncheons unermesslichen Reichtum bringen. Hätte der Oberst nur ein paar Wochen länger gelebt, ist es wahrscheinlich, dass sein großer politischer Einfluss und seine weitreichenden Beziehungen im In- und Ausland alles Nötige bewirkt hätten, um den Anspruch zu sichern. Doch dies war wohl – bei allem überaus beredten Lob des braven Mr. Higginson – die eine Sache, die Oberst Pyncheon, so vorausschauend und weise er sonst war, versäumt hatte. Was das verheißene Land betraf, starb er unzweifelhaft zu früh. Sein Sohn besaß weder die bedeutende Stellung des Vaters noch das Talent und die Charakterstärke, sie je zu erreichen, sodass er auf dem politischen Parkett nichts ausrichtete. Zudem war nicht einmal die Rechtmäßigkeit des Anspruchs nach dem Tod des Obersten so unbestritten, wie man zu seinen Lebzeiten verkündet hatte. Es fehlte bei den Unterlagen plötzlich ein Dokument, das nirgends mehr aufzufinden war.
Dabei strengten sich die Pyncheons nicht nur damals, sondern über fast hundert Jahre hinweg immer wieder an, zu ihrem Recht zu kommen, wie sie es hartnäckig nannten. Inzwischen wurde das Land an Leute, die mehr galten, überschrieben oder gerodet und von Siedlern in Besitz genommen. Diese hätten, wäre ihnen der Rechtstitel der Pyncheons bekannt gewesen, bei der Vorstellung nur gelacht, man könne mit modrigen Pergamenten und den verblassten Unterschriften längst verstorbener und vergessener Gouverneure und Gesetzgeber Anspruch auf Land erheben, das sie oder ihre Väter der Wildnis mit ihrer eigenen harten Arbeit abgetrotzt hatten. So wurde aus dem Phantom dieses Anspruchs nichts Greifbareres als der über Generationen gehätschelte Wahn aller Pyncheons, einer bedeutenden Familie anzugehören. Noch ihr ärmster Abkömmling fühlte sich darum, als hätte er einen Adelstitel geerbt, und schloss nicht aus, dereinst noch das standesgemäße fürstliche Vermögen zu erwerben. Den würdigeren Vertretern des Geschlechts nahm diese Eigenart in schönster Weise die Erdenschwere, ohne sie wirklich wertvoller Charaktereigenschaften zu berauben. Bei den weniger edlen Nachkommen verstärkte sie den Hang zur Trägheit und Abhängigkeit und verleitete die einer trügerischen Hoffnung Verfallenen dazu, jede eigene Anstrengung aufzugeben und zu warten, bis ihre Träume wahr würden. Viele Jahre nachdem ihr Anspruch aus dem allgemeinen Gedächtnis entschwunden war, studierten die Pyncheons immer noch die alte Landkarte des Obersten, die man gezeichnet hatte, als Waldo County noch eine unberührte Wildnis war. Wo der alte Landvermesser Wälder, Seen und Flüsse vermerkt hatte, trugen sie die Rodungen, Dörfer und Städte ein und errechneten den stetig zunehmenden Wert des Landes, als bestünde noch Aussicht, dass es einmal ihr Reich würde.
In fast jeder Generation fügte es sich aber, dass ein Spross der Familie annähernd mit demselben unzimperlichen, wachen Verstand und der Tatkraft begabt war, die den Stammvater ausgezeichnet hatten. Ja, man konnte seinen Charakter in der ganzen Reihe so deutlich ausmachen, als wäre dem Obersten, etwas verdünnt, eine Art zeitweiliger Unsterblichkeit auf Erden gewährt worden. Zwei- oder dreimal war in Jahren, als es um die Familie schlecht bestellt war, dieser Vertreter altväterischer Eigenschaften erschienen, worauf die traditionsbewussten Schwätzer der Stadt tuschelten: «Da kommt der alte Pyncheon wieder! Jetzt wird das Schindeldach der sieben Giebel neu gedeckt!» Väter und Söhne, alle klammerten sich mit der besonderen Hartnäckigkeit der Heimatgefühle an den Stammsitz. Aus vielerlei Gründen und verschiedenen Eindrücken, die aber oft zu flüchtig sind, als dass sie beschrieben werden könnten, neigt der Autor der Ansicht zu, dass viele, wenn nicht die meisten, aufeinanderfolgenden Besitzer des Anwesens von Zweifeln über ihr moralisches Recht darauf geplagt wurden. Ihr juristisches Recht stand außer Frage, doch es ist zu befürchten, dass der alte Matthew Maule aus seiner Zeit in eine ferne Zukunft ausschritt und sein Fuß schwer auf dem Gewissen aller Pyncheons lastete. Ist es so, müssen wir uns der ernsten Frage stellen, ob nicht jeder Erbe des Eigentums – im Bewusstsein eines Unrechts, das er doch nicht behob – wie einst sein Ahne von Neuem große Schuld auf sich lud und dafür die ganze ursprüngliche Verantwortung zu tragen hatte. Wenn es so wäre, käme es dann der Wahrheit nicht viel näher, statt von Glück von großem Unglück als dem Erbe der Pyncheons zu reden?
Es wurde schon angedeutet, dass wir nicht vorhaben, die Geschichte der Pyncheons in ihrem Verhältnis zum Haus mit den sieben Giebeln lückenlos darzustellen oder gleichsam auf einem Zauberbild zu zeigen, wie Zerfall und Altersschwäche das ehrwürdige Haus selbst angriffen. Zu dessen Innenleben ist festzuhalten, dass ein großer, trüber Spiegel in einem der Räume hing, dem man nachsagte, in seinen Tiefen all die Schemen zu enthalten, die einst in ihm erschienen – den alten Obersten selbst und seine vielen Nachkommen, einige in altmodischen Säuglingskleidern, andere als blühende Schönheiten, in ihren besten Jahren oder mit den Sorgenfalten ergrauten Alters. Und wären wir in das Geheimnis des Spiegels eingeweiht, würden wir uns gerne davorsetzen und seine Enthüllungen zu Papier bringen. Es gab aber bloß eine Geschichte, die sich schwerlich überzeugend begründen lässt. Danach sollten Matthew Maules Nachkommen irgendwie mit dem Geheimnis des Spiegels verbunden und offenbar durch hypnotische Fähigkeiten dazu in der Lage sein, dessen Grund mit den verstorbenen Pyncheons zu bevölkern: nicht so, wie sie sich der Welt gezeigt hatten oder in ihren besseren und glücklicheren Stunden, sondern im Begriff, eine Sünde erneut zu begehen, oder in ihrer schmerzlichsten Lebenskrise. Jedenfalls beschäftigte sich die Volksseele lange mit der Sache zwischen dem alten Puritaner Pyncheon und dem Hexer Maule, und dessen vom Schafott geschleuderter Fluch blieb im Gedächtnis haften, mit dem sehr bedeutsamen Zusatz, dass er nun als Erbe der Pyncheons galt.
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