Wenn ein Familienmitglied auch nur japste, flüsterte in der Runde sicher einer halb zum Spaß und halb im Ernst: «Er muss Maules Blut trinken!» Der plötzliche Tod eines Pyncheon vor etwa hundert Jahren, unter ganz ähnlichen Umständen wie eben vom Ableben des Obersten berichtet, verstärkte die gängige Auffassung noch. Auch galt es als unschönes und unheilvolles Zeichen, dass Oberst Pyncheons Porträt – nach seinem Letzten Willen, hieß es – an der Wand des Zimmers hängen blieb, wo er starb. Die harten, unbarmherzigen Züge schienen wie das Sinnbild einer bösen Macht mit ihrer Gegenwart den flüchtigen Sonnenschein so zu überschatten, dass keine guten Gedanken oder Absichten hier je aufkommen und gedeihen konnten. Ein nachdenklicher Kopf wird es keineswegs abergläubisch nennen, wenn wir bildlich gesprochen behaupten, dass der Geist eines toten Ahnen – vielleicht als Teil seiner eigenen Strafe – oft dazu verdammt ist, zum bösen Geist seiner Familie zu werden.
Immerhin wurden die Pyncheons während fast zwei Jahrhunderten von weniger Schicksalsschlägen betroffen als die meisten anderen Familien Neuenglands in derselben Zeit. Obwohl sie sehr eigenständige Charakterzüge besaßen, nahmen sie doch das allgemeine Wesen der kleinen Gemeinschaft an, in der sie lebten; einer Stadt, die für die Genügsamkeit, Zurückhaltung, Ordnungsliebe und Häuslichkeit ebenso wie die eher beschränkten Interessen ihrer Bewohner bekannt war, wo jedoch auch seltsamere Einzelgänger und merkwürdigere Vorkommnisse anzutreffen waren als an fast jedem anderen Ort. Während der Revolution schlug sich der damalige Pyncheon auf die Seite der Royalisten und musste fliehen, ging aber in sich und tauchte gerade rechtzeitig wieder auf, um zu verhindern, dass das Haus mit den sieben Giebeln beschlagnahmt wurde. Danach war in den letzten siebzig Jahren das herausragende Ereignis in den Annalen der Pyncheons gleichzeitig das schlimmste Unheil, das sie je traf, und zwar handelte es sich um nichts Geringeres als den gewaltsamen Tod – denn darauf wurde erkannt – eines Familienmitglieds durch das Verbrechen eines Verwandten. Gewisse Begleitumstände dieser fatalen Begebenheit ließen zwingend auf einen Neffen des Verstorbenen als Täter schließen. Der junge Mann wurde angeklagt und schuldig gesprochen. Aber sei es, weil das Urteil nur aufgrund von Indizien zustande kam oder die Richter doch Zweifel hegten oder auch – was in einer Republik mehr zählt als in einer Monarchie – wegen des hohen Ansehens und des politischen Einflusses der Familie des Täters, jedenfalls wurde das Urteil abgeschwächt und die Todesstrafe in lebenslängliche Haft umgewandelt. Diese traurige Angelegenheit hatte sich etwa dreißig Jahre vor der Zeit zugetragen, in der unsere Erzählung einsetzt. Und nun gab es seit Neustem Gerüchte (denen kaum jemand Glauben schenkte und für die sich nur wenige lebhaft interessierten), wonach dieser seit Langem lebendig Begrabene aus unbekanntem Grund aus seiner Gruft gerufen werden sollte.
Es drängt sich auf, etwas zum Opfer dieses schon fast vergessenen Mords zu sagen. Das war ein alter Junggeselle, der zusätzlich zum Haus und dem aus dem einstigen Grundbesitz der Pyncheons verbliebenen Land großen Reichtum besaß. Er war ein melancholischer Sonderling mit einem Hang zum Stöbern in alten Dokumenten und einem geneigten Ohr für alte Geschichten, und so wurde ihm nachgesagt, er sei zum Schluss gekommen, der Hexer Matthew Maule sei schändlich um sein Heim und gar um sein Leben gebracht worden. Angesichts dieses Sachverhalts und der Tatsache, dass er, der alte Junggeselle, nun dieses geraubte Gut besaß – das bis ins Innerste, wie von einer empfindlichen Nase noch zu riechen, mit dunklem Blut befleckt war –, fragte er sich, ob er nicht selbst so spät noch an Maules Nachkommenschaft Wiedergutmachung üben sollte. Für einen Mann wie den zurückgezogenen, rückwärtsgewandten alten Junggesellen schienen auch eineinhalb Jahrhunderte nicht lange genug, als dass sie von der Pflicht enthoben hätten, das Unrecht auszuräumen. Die ihm am nächsten standen, waren überzeugt, dass er tatsächlich das Unerhörte getan und das Haus mit den sieben Giebeln dem Nachkommen Matthew Maules überlassen hätte, wenn seine Verwandten nicht Verdacht geschöpft und einen unsäglichen Aufruhr veranstaltet hätten. Ihr Aufstand bewirkte sein Einlenken, aber man befürchtete, dass er nach seinem Tod durch seinen Letzten Willen noch erreichen könnte, wovon man ihn zu Lebzeiten mit Mühe abgehalten hatte. Doch bei allen Ärgernissen oder was es sonst an Gründen geben mag, tun Menschen nichts seltener als Vermögen außerhalb der Erblinie zu vermachen. Mag sein, dass sie andere Leute viel mehr schätzen als ihre Verwandten, die sie vielleicht gar verabscheuen oder regelrecht hassen, doch im Auge des Todes erwachen die starken Blutsbande, und der Erblasser kann nicht anders, als mit seinem Besitz nach altem Brauch zu verfahren, der schon so lange besteht, dass er fast naturgegeben scheint. Alle Pyncheons waren diesem machtvollen Zwang wie einer Krankheit unterworfen. Dagegen vermochten die Skrupel des alten Herrn nichts, und so ging sein Anwesen mitsamt den meisten übrigen Besitztümern an den nächsten gesetzlichen Erben.
Dabei handelte es sich um einen Neffen und zugleich den Vetter des elenden jungen Mannes, der wegen Mordes an seinem Onkel verurteilt worden war. Der neue Erbe galt bis zu diesem Zeitpunkt als recht liederlicher Bursche, besserte sich aber umgehend und stieg zu einem höchst ehrenwerten Mitglied der Gesellschaft auf. Er bewies sogar mehr von den typischen Fähigkeiten der Pyncheons und brachte es zu einer bedeutenderen Stellung als je ein Familienmitglied seit dem puritanischen Stammvater. Er studierte als junger Mann das Recht und erwarb mit seinem natürlichen Hang zur Ämterlaufbahn vor vielen Jahren ein Richteramt an einem niederen Gericht, das ihm den lebenslänglichen, sehr erstrebenswerten und beeindruckenden Titel eines Richters eintrug. Später betätigte er sich in der Politik, war während zwei Amtsperioden Kongressabgeordneter und spielte zudem eine wichtige Rolle in beiden Kammern des staatlichen Parlaments. Richter Pyncheon machte unzweifelhaft seinem Geschlecht Ehre. Er hatte sich ein paar Meilen außerhalb seiner Heimatstadt einen Landsitz errichtet und übte sich dort in der spärlichen Zeit, in der er der Öffentlichkeit entbehrlich war, in jeder Wohltätigkeit und Tugend – wie eine Zeitung am Vorabend einer Wahl schrieb–, die sich für einen Christen, verdienten Mitbürger, Gartenfreund und Gentleman ziemte.
Von den Pyncheons gab es nur noch wenige, die sich im Glanz des richterlichen Wohlstands sonnen konnten. Fortgepflanzt hatte ihr Geschlecht sich nämlich nicht wunschgemäß; es schien im Gegenteil auszusterben. Soweit bekannt war, lebten von der Familie nur noch erstens der Richter selbst und ein einziger überlebender Sohn, der in Europa auf Reisen war, dann der seit dreißig Jahren Gefangene, von dem schon die Rede war, und dessen Schwester, die kaum das Haus mit den sieben Giebeln verließ, wo sie nach dem Willen des alten Junggesellen ein lebenslängliches Wohnrecht hatte.
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