Marx war indessen fähig, die Lebenserscheinungen im Lichte der konkreten Analyse zu sehen, als Produkt der Verkettung der verschiedenen historischen Faktoren. Die Newton’schen Gesetze werden durch die Tatsache, dass die Geschwindigkeit des Falls der Körper variiert gemäß den verschiedenen Bedingungen, oder dass die Bahn der Planeten diesen Variationen unterworfen ist, nicht entkräftet. Um das, was man die „Zählebigkeit“ der Mittelklasse nennt, zu verstehen, ist es gut, nicht zu übersehen, dass die zwei Tendenzen, – der Verfall der Mittelklassen und die Umwandlung dieser ruinierten Klassen in Proletarier, – sich weder gleichmäßig, noch in den selben Grenzen entwickeln. Aus dem wachsenden Übergewicht der Maschinen über die Arbeitskraft ergibt sich, wie weit der Verfall der Mittelklassen vorangeschritten ist, wie weit der Prozess ihrer Proletarisierung vor sich geht; in der Tat kann dieser in einem gewissen Moment vollkommen aufhören und selbst zurückgehen.

In derselben Weise, wie das Wirken der physiologischen Gesetze in einem gesunden oder in einem verfallenden Organismus verschiedene Ergebnisse hervorbringt, bestätigen sich die ökonomischen Gesetze der marxistischen Ökonomie unterschiedlich in einem sich entwickelnden oder sich auflösenden Kapitalismus. Dieser Unterschied erscheint mit einer besonderen Klarheit in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Stadt und Land. Die Landbevölkerung der Vereinigten Staaten, welche im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in einem viel langsameren Rhythmus anwächst, hat sich bis zum Jahre 1910 zahlenmäßig beständig vermehrt, dem Jahre wo sie 32 Millionen überschritt. Während der folgenden 20 Jahre fiel diese Zahl ungeachtet des rapiden Wachstums der Gesamtbevölkerung auf dem Lande auf 30,4 Millionen, das heißt, sie verminderte sich um 1,6 Millionen. Aber im Jahre 1935 stieg sie von neuem auf 32,8 Millionen, vermehrte sich also um 2,4 Millionen im Verhältnis zu 1930. Diese Umkehrung der Tendenz widerlegt, obgleich sie auf den ersten Blick überrascht, in keiner Weise weder die Tendenz der Stadtbevölkerung, sich auf Kosten der Landbevölkerung zu vermehren, noch die Tendenz der Mittelklassen, sich zu atomisieren, – aber gleichzeitig zeigt sie sehr treffend die Auflösung des kapitalistischen Systems in seiner Gesamtheit. Das Anwachsen der Landbevölkerung während der Periode der höchsten Krise von 1930 bis 1935 erklärt sich einfach durch die Tatsache, dass ungefähr zwei Millionen Städter, oder genauer, zwei Millionen ausgehungerte Arbeitslose auf das Land, auf kleine, von Farmern verlassene Grundstücke oder auf die Farmen ihrer Eltern und Freunde flüchteten, um ihre von der Gesellschaft zurückgewiesene Arbeitskraft durch produktive Arbeit in der Naturalwirtschaft zu verwenden, um an Stelle einer ganz elenden Existenz eine halb-elende zu führen.

In diesem Falle handelt es sich also nicht um die Stabilität der kleinen Farmer, Handwerker und Händler, sondern vielmehr um das schreckliche Elend ihrer Lage. Weit entfernt eine Garantie des Kommenden zu sein, ist die Mittelklasse eine unglückliche und tragische Spur der Vergangenheit. Außerstande, sie vollkommen verschwinden zu machen, drückt sie der Kapitalismus bis zum letzten Grad der Degradation und höchsten Not herab. Der Farmer sieht sich nicht allein des Verkaufes seines Stückchens Erde und des Profits seines investierten Kapitals beraubt, sondern auch eines guten Teiles seines Lohns. Auf dieselbe Art haben die kleinen Leute der Stadt nach und nach ihre Reserven aufgeknabbert und schlagen in eine Existenz um, die nicht viel besser ist als der Tod. Die Verarmung der Mittelklasse ist nicht der einzige Grund ihrer Proletarisierung. Es ist daher schwer, in dieser Tatsache ein Argument gegen Marx zu finden, außer man beschönigt den Kapitalismus.

Die industrielle Krise

Das Ende des letzten Jahrhunderts und der Beginn des gegenwärtigen waren durch einen derartig gigantischen Fortschritt des Kapitalismus gekennzeichnet. dass die zyklischen Krisen nicht mehr zu sein schienen als „zufällige“ Unannehmlichkeiten. Während der Jahre des nahezu allgemeinen kapitalistischen Optimismus versicherten uns die Kritiker Marx’s, dass die nationale und internationale Entwicklung der Trusts, Syndikate und Kartelle auf dem Markt eine geplante Kontrolle einleite und verkündeten den endgültigen Sieg über die Krisen. Nach Sombart sind die Krisen schon vor dem Krieg, durch den Mechanismus des Kapitalismus selbst „vertilgt“ worden, so dass das „Problem der Krisen uns heute nahezu gleichgültig lässt“. Jetzt, kaum zehn Jahre später, klingen diese Worte wie ein Scherz, weil sich gerade in unseren Tagen die Prophezeiung von Marx in ihrer ganzen tragischen Kraft verwirklicht. Es ist merkwürdig, dass sich die kapitalistische Presse anstrengt, das Monopol zu leugnen, aber zum selben Monopol Zuflucht nimmt, um die kapitalistische Anarchie zu leugnen. Wenn 60 Familien das ökonomische Leben der Vereinigten Staaten kontrollieren, bemerkt ironisch die New York Times, so erhärtet das, dass der amerikanische Kapitalismus, weit entfernt anarchisch und vom Fehlen eines Planes zu sein, – mit großer Sorgfalt organisiert ist. Diesem Argument fehlt der Sinn. Der Kapitalismus war bis zum Ende unfähig gewesen, eine einzige seiner Tendenzen voll zu entwickeln. Selbst die Konzentration des Kapitals konnte nicht die Mittelklassen, das Monopol nicht die Konkurrenz vernichten, sie konnten nichts als wie sie verdrängen, einengen und hinunterdrücken. Wie dem immer auch sei, dies ist der Plan, jeder der 60 Familien, deren verschiedene Varianten dieser Pläne sich nicht im mindesten kümmern um die Koordinierung der verschiedenen Zweige der Ökonomie, sondern vielmehr um das Anwachsen der Profite ihrer monopolistischen Clique auf Kosten der anderen Cliquen und der ganzen Nation. Der Zusammenstoß aller dieser Pläne vertieft im Endergebnis nur die Anarchie in der nationalen Wirtschaft. Die Krise brach 1929 in den Vereinigten Staaten aus, ein Jahr nachdem Sombart die vollkommene Gleichgültigkeit seiner „Wissenschaft“ zum Problem der Krise selbst proklamiert hatte. Wie nie zuvor war die Wirtschaft der Vereinigten Staaten vom Gipfel einer noch nicht da gewesenen Prosperität in den Abgrund schrecklicher Abzehrung gestürzt. Niemand aus der Zeit Marxens hätte ein derartiges Ausmaß dieser Zuckungen ersinnen können.