Mein Kind! Mein Einziges! Hilf, Gott im
Himmel!
Der Graf vom Strahl (wendet sich). Dein Tuch her, Häscher! (Er
verbindet sich die Augen.)
Theobald. O verflucht sei, Mordschaunder Basiliskengeist! Mußt ich
Auch diese Probe deiner Kunst noch sehn?
Graf Otto (vom Richtstuhl herabsteigend). Was ist geschehn, ihr
Herrn?
Wenzel. Sie sank zu Boden.
(Sie betrachten sie.)
Der Graf vom Strahl (zu den Häschern). Führt mich hinweg!
Theobald. Der Hölle zu, du Satan! Laß ihre schlangenhaargen
Pförtner dich An ihrem Eingang, Zauberer, ergreifen, Und dich
zehntausend Klafter tiefer noch, Als ihre wildsten Flammen lodern,
schleudern!
Graf Otto. Schweig Alter, schweig!
Theobald (weint). Mein Kind! Mein Käthchen!
Käthchen. Ach!
Wenzel (freudig). Sie schlägt die Augen auf!
Hans. Sie wird sich fassen.
Graf Otto. Bringt in des Pförtners Wohnung sie! Hinweg!
(Alle ab.)
Zweiter Akt
Szene: Wald vor der Höhle des heimlichen Gerichts.
Erster Auftritt
Der Graf vom Strahl (tritt auf, mit verbundenen Augen, geführt von
zwei Häschern, die ihm die Augen aufbinden, und alsdann in die Höhle
zurückkehren--Er wirft sich auf den Boden nieder und weint). Nun
will ich hier, wie ein Schäfer liegen und klagen. Die Sonne scheint
noch rötlich durch die Stämme, auf welchen die Wipfel des Waldes ruhn;
und wenn ich, nach einer kurzen Viertelstunde, sobald sie hinter den
Hügel gesunken ist, aufsitze, und mich im Blachfelde, wo der Weg eben
ist, ein wenig daran halte, so komme ich noch nach Schloß
Wetterstrahl, ehe die Lichter darin erloschen sind. Ich will mir
einbilden, meine Pferde dort unten, wo die Quelle rieselt, wären
Schafe und Ziegen, die an dem Felsen kletterten, und an Gräsern und
bittern Gesträuchen rissen; ein leichtes weißes linnenes Zeug
bedeckte mich, mit roten Bändern zusammengebunden, und um mich her
flatterte eine Schar muntrer Winde, um die Seufzer, die meiner, von
Gram sehr gepreßten, Brust entquillen, gradaus zu der guten Götter
Ohr empor zu tragen. Wirklich und wahrhaftig! Ich will meine
Muttersprache durchblättern, und das ganze, reiche Kapitel, das diese
Überschrift führt: Empfindung, dergestalt plündern, daß kein
Reimschmied mehr, auf eine neue Art, soll sagen können: ich bin
betrübt. Alles, was die Wehmut Rührendes hat, will ich aufbieten,
Lust und in den Tod gehende Betrübnis sollen sich abwechseln, und
meine Stimme, wie einen schönen Tänzer, durch alle Beugungen hindurch
führen, die die Seele bezaubern; und wenn die Bäume nicht in der Tat
bewegt werden, und ihren milden Tau, als ob es geregnet hätte,
herabträufeln lassen, so sind sie von Holz, und alles, was uns die
Dichter von ihnen sagen, ein bloßes liebliches Märchen. O du--wie
nenn ich dich? Käthchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen?
Käthchen, Mädchen, Käthchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen?
Warum kann ich dich nicht aufheben, und in das duftende Himmelbett
tragen, das mir die Mutter, daheim im Prunkgemach, aufgerichtet hat?
Käthchen, Käthchen, Käthchen! Du, deren junge Seele, als sie heut
nackt vor mir stand, von wollüstiger Schönheit gänzlich triefte, wie
die mit Ölen gesalbte Braut eines Perserkönigs, wenn sie, auf alle
Teppiche niederregnend, in sein Gemach geführt wird! Käthchen,
Mädchen, Käthchen! Warum kann ich es nicht? Du Schönere, als ich
singen kann, ich will eine eigene Kunst erfinden, und dich weinen.
Alle Phiolen der Empfindung, himmlische und irdische, will ich
eröffnen, und eine solche Mischung von Tränen, einen Erguß so
eigentümlicher Art, so heilig zugleich und üppig, zusammenschütten,
daß jeder Mensch gleich, an dessen Hals ich sie weine, sagen soll:
sie fließen dem Käthchen von Heilbronn!--Ihr grauen, bärtigen Alten,
was wollt ihr? Warum verlaßt ihr eure goldnen Rahmen, ihr Bilder
meiner geharnischten Väter, die meinen Rüstsaal bevölkern, und tretet,
in unruhiger Versammlung, hier um mich herum, eure ehrwürdigen
Locken schüttelnd? Nein, nein, nein! Zum Weibe, wenn ich sie gleich
liebe, begehr ich sie nicht; eurem stolzen Reigen will ich mich
anschließen: das war beschloßne Sache, noch ehe ihr kamt. Dich aber,
Winfried, der ihn führt, du Erster meines Namens, Göttlicher mit der
Scheitel des Zeus, dich frag ich, ob die Mutter meines Geschlechts
war, wie diese: von jeder frommen Tugend strahlender, makelloser an
Leib und Seele, mit jedem Liebreiz geschmückter, als sie? O Winfried!
Grauer Alter! Ich küsse dir die Hand, und danke dir, daß ich bin;
doch hättest du sie an die stählerne Brust gedrückt, du hättest ein
Geschlecht von Königen erzeugt, und Wetter vom Strahl hieße jedes
Gebot auf Erden! Ich weiß, daß ich mich fassen und diese Wunde
vernarben werde: denn welche Wunde vernarbte nicht der Mensch? Doch
wenn ich jemals ein Weib finde, Käthchen, dir gleich: so will ich die
Länder durchreisen, und die Sprachen der Welt lernen, und Gott
preisen in jeder Zunge, die geredet wird.--Gottschalk!
Zweiter Auftritt
Gottschalk. Der Graf vom Strahl.
Gottschalk (draußen). Heda! Herr Graf vom Strahl!
Der Graf vom Strahl. Was gibts?
Gottschalk. Was zum Henker! Ein Bote ist angekommen von Eurer
Mutter.
Der Graf vom Strahl. Ein Bote?
Gottschalk. Gestreckten Laufs, keuchend, mit verhängtem Zügel; mein
Seel, wenn Euer Schloß ein eiserner Bogen und er ein Pfeil gewesen
wäre, er hätte nicht rascher herangeschossen werden können.
Der Graf vom Strahl. Was hat er mir zu sagen?
Gottschalk. He! Ritter Franz!
Dritter Auftritt
Ritter Flammberg tritt auf. Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl. Flammberg!--Was führt dich so eilig zu mir her?
Flammberg.
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