Indessen, mein Sohn, für dieses alles ist Balsam gewachsen in Gilead.«

»Ich verstehe Eure Worte nicht, frommer Vater,« sagte Halbert, ergriffen von dem feierlichen Tone, den der Greis angeschlagen hatte.

»Du hast Deinen Feind erschlagen, mein Sohn,« fuhr der Greis in seiner Rede fort, »das ist eine grausame, schlimme Tat. Du hast ihn vielleicht erschlagen in seiner Sünde, und das macht Deine Missetat noch schlimmer. Handle jetzt nach meinem Rate und befleißige Dich mit Eifer, statt der Seele, die Du vielleicht dem Reiche des Bösen zugeführt hast, eine andre Seele aus der Macht des Bösen zu erretten.«

»Jetzt verstehe ich den Sinn Eurer Rede, Vater,« erwiderte Halbert, »ich könnte, so meint Ihr, meine unbesonnene Handlung dadurch wieder gut machen, daß ich der Seele meines Widersachers einen Dienst erwiese? Aber wie soll das geschehen können? Um Messen lesen zu lassen, dazu habe ich kein Geld; gern aber wollte ich barfuß nach dem heiligen Lande pilgern, um seine Seele aus dem Fegfeuer zu erlösen, wenn nur ...«

»Mein Sohn,« fiel ihm der Greis ins Wort, »der Sünder, um dessen Errettung Du Dich bemühen sollst, befindet sich nicht unter den Toten, sondern wandelt unter den Lebenden. Nicht mahnen will ich Dich, für die Seele Deines Widersachers zu beten, denn ihm wurde von einem milden und gerechten Richter bereits sein letztes Urteil gesprochen, und könntest Du Gold prägen aus diesem Felsen, es möchte der abgeschiedenen Seele nichts frommen. Denn wohin der Baum fällt, dort bleibt er liegen. Doch die Gerte, in der noch Kraft und Saft ist, läßt sich biegen nach dem Punkte, wohin man sie wenden will.«

»Bist Du ein Priester, Vater?« fragte der Jüngling, »oder in wessen Auftrage redest Du von so hohen Dingen?«

»Im Auftrage meines Gottes und Herrn, des Allmächtigen über Himmel und Erde!« erwiderte der Wanderer, »unter dessen Banner ich kämpfe und streite.«

Halberts Wissen in religiösen Dingen gründete sich einzig und allein auf den Katechismus des Erzbischofs von Sankt Andreas und auf ein Büchelchen, das »Der Zehnpfennigsglaube« hieß und gleich dem andern durch die Klosterbrüder der Abtei zu Sankt Marien unter dem Volke verbreitet wurde. Aber so gering sein Wissen in dieser Hinsicht zufolgedessen war, so beschlich ihn jetzt der Argwohn, daß er sich in Gemeinschaft eines Evangelischen oder Ketzers befände, die damals in Schottland umherzogen und die alte Religion in ihren Grundfesten zu erschüttern suchten. Erzogen in frommem Abscheu vor diesen schrecklichen Sektierern, trug der Jüngling in seinem Herzen tief eingewurzelt die Ueberzeugung eines treuen und unterwürfigen Kirchenvasallen.

»Wärest Du fähig, alter Vater, die Worte mit Deiner Hand zu verfechten,« sprach Halbert, »die Deine Zunge gegen unsre heilige Mutterkirche ausgestoßen hat, so wollten wir hier auf diesem Moor erproben, welche von unsern Glaubenslehren den besten Kämpfer für sich habe.«

»Ei, bist Du ein rechter Söldner Roms,« erwiderte der Greis, »dann darfst Du Deinem Vorsatze nicht entsagen, denn Du hast den Vorteil der Jahre und Stärke auf Deiner Seite. Höre mich an, mein Sohn! Ich habe Dir gezeigt, wie Du Dich mit dem Himmel versöhnst, und Du hast meinen Vorschlag von Dir gewiesen. Nun will ich Dir weiter zeigen, wie Du Dich mit den Mächten dieser Welt aussöhnst. Trenne dieses hinfällige Haupt von dem hinfälligen Leibe, der es trägt, und bringe es dem hoffärtigen Abte Bonifacius, und sofern Du ihm beichtest, Du habest Sir Piercie Shafton erschlagen, dann lege ihm dieses Haupt vor die Füße und sage ihm, es sei Heinrich Wardens Haupt, dann wird er Dir nicht allein Absolution erteilen, sondern Dich unter die Kandidaten für den nächsten Heiligenspruch aufnehmen.«

Halbert Glendinning schreckte zurück.

»Was?« rief er, »Ihr wäret Heinrich Warden? der Ketzer, der so berühmt ist unter seinesgleichen, daß sogar oft der Name des großen Knox vor ihm verbleicht?« Und nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Der wäret Ihr, und getrautet Euch, den Fuß zu setzen in das Gebiet des Sankt Marien-Klosters?«

»Jawohl, ich bin Heinrich Warden,« antwortete der Greis, »doch bin ich nicht würdig, neben Knox genannt zu werden, wenn ich mich auch freudig jeder Gefahr unterziehe, zu der mich der Dienst meines Herrn beruft.«

»Dann höre jetzt Du mich!« sagte Halbert; »Dich zu töten, gebricht es mir an Mut. Dich in Gefangenschaft zu führen, brächte gleichfalls Blut über mein Haupt. Dich in dieser Wildnis ohne Führer zu lassen, wäre nicht viel anders. Ich werde Dich also, wie ich es Dir versprach, nach dem Schlosse von Avenel begleiten. Aber nur unter der Bedingung, daß Du, so lange wir unterwegs sind, kein Wort über die heilige Kirche redest, als deren unwürdiges und unwissendes, aber eifriges Mitglied ich mich bekenne. Wenn Du im Schlosse bist, dann mußt Du Dir selbst helfen. Es steht ein hoher Preis auf Deinem Kopfe, und Julian Avenel, das laß nicht außer acht, ist ein großer Verehrer unsrer schottischen Goldstücke.«

»Willst Du damit sagen, er könnte um schnöden Goldes wegen das Blut seines Gastes vergießen?«

»Nein, sofern Du zu ihm kommst als Fremder, der von ihm geladen wurde und auf seine Treue baut, wird Julian, ein so schlimmer Herr er auch ist, es nicht wagen, die Gesetze der Gastfreundschaft zu brechen, die uns in Schottland, so schlaff auch alle andern Bande sein mögen, aneinander ketten, die für heilig im höchsten Sinne dieses Wortes gehalten werden. Seine eignen Verwandten würden es für ein unverbrüchliches Gesetz ansehen, sein Blut zu vergießen, um den Schandfleck zu tilgen, den der Bruch der Gastfreundschaft auf ihren Stamm und ihren Namen brächte. Kommst Du hingegen zu ihm, ohne daß Du Anspruch auf Gastrecht hast, dann sei versichert, daß Du bei einem Julian von Avenel alles riskieren wirst!«

»Ich stehe in der Hand meines Gottes,« erwiderte der Prediger, denn ein solcher war Heinrich Warden, »bloß auf sein Geheiß pilgre ich durch diese Wildnis und setze mich allen Gefahren solcher Pilgerschaft aus, und so lange ich im Dienste meines Herrn und Meisters noch wirken kann, so lange soll nichts mich schrecken. Kann ich aber, gleich dem verdorrten Feigenbaume, keine Frucht mehr tragen, was mag dann liegen daran, wann und von wem die Axt an die Wurzel gelegt wird?«

»Solcher Mut und solche Hingabe,« rief Halbert, »wären einer bessern Sache würdig.«

»Das ist nicht wohl möglich,« versetzte Warden, »denn eine bessere Sache denn meine gibt es hienieden nicht.«

Die beiden Wanderer setzten schweigend ihren Weg fort, und Halbert Glendinning suchte sich mit äußerster Behutsamkeit einen Weg durch die Wirrnis der gefährlichsten und unbegangensten Moräste zu bahnen, die den heiligen Klosterbann von dem Landbesitze des Schlosses Avenel trennten.

Hin und wieder mußte er inne halten und seinem Begleiter über den schwankenden Boden des Moors hinweghelfen.

»Mut, Alter!« sagte Halbert, als sein Gefährte allmählich ans Ende seiner Kraft gelangt war. »Bald stehen wir auf festem Grunde.«

Die Verheißung sollte sich auch schnell erfüllen, denn bald hatten sie nun das Ende des Sumpfes gewonnen und schlugen den Pfad längs dem Abhange ein, über frischen Rasen hinweg, der, von weitem gesehen, die braune Heide wie ein schmales grünes Band durchzog, während man in der Nähe diesen Unterschied der Färbung bei weitem nicht so deutlich bemerkte. Der Greis hatte einen verhältnismäßig leichten Gang und sprach, da er keine Neigung verspürte, von neuem den Eifer des mannhaften Jünglings für die katholische Religion zu wecken, über gleichgültige Dinge. Er war weitgereist und vertraut mit Sprache und Sitten andrer Völker, und so war es wohl begreiflich, daß Halbert Glendinning, der um seiner Tat willen damit rechnen mußte, das Ausland aufzusuchen, ihm mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte, als er auf diese Dinge zu sprechen kam. Nach und nach wurde er von dem Greise durch die so anregende Unterhaltung gefesselt; die Furcht, die er vor ihm als einem Ketzer gehegt hatte, schwand, und mehr als einmal hatte er ihn wieder mit dem trauten Worte »Vater« angeredet, ehe ihnen die Türme der Burg von Avenel in Sicht kamen.

Die alte Feste lag auf einem kleinen Felseneiland mitten in einem Bergsee, die man in der dortigen Gegend mit dem Namen »Tarn« zu nennen liebt. Der See mochte etwa eine Meile im Umfange haben und war von ziemlich hohen Hügeln eingeschlossen, die bis auf die wenigen Stellen, wo alte Bäume und Buschholz die Schluchten, die sie von einander schieden, bedeckten, kahl und nackt waren und zufolge ihrer Granitfärbung eine fast täuschende Aehnlichkeit mit der braunen Heide aufwiesen. Die Umgebung war weniger romantisch und großartig als vielmehr wild und grausig, jedoch nicht ohne Reiz. Zur Sommerszeit, wenn die Sonne ihre glühenden Strahlen auf den See sandte, erschien sein Wasser tiefblau, und wenn zur Winterszeit auf den Hügeln um den See herum blendender Schnee lag, dann schimmerte die Wasserfläche wie ein trüber, zerbrochner Spiegel um die Mauern der grauen Burg auf dem schwarzen felsigen Eiland.

Sie bedeckte mit ihren Baulichkeiten und mit den Außen-und Seitenmauern jede aufragende Felsspitze und jeden vorspringenden Felshang, so daß es den Eindruck erweckte, als sei sie gänzlich von Wasser umschlossen, gleich einem Wildschwanhorste, und bloß ein schmaler Damm, der das Eiland mit dem Uferlande des Sees in Verbindung setzte, störte diesen Eindruck. Die Insel nahm sich auch übrigens weit größer aus, als sie in Wirklichkeit war, und von den Gebäuden, die auf ihr standen, war manches bereits baufällig und unwohnlich geworden. Zu jener Zeit, als das Haus Avenel noch in seinem vollen Glanze dagestanden, hatte eine beträchtliche Anzahl von Dienstmannen darin gehaust; zurzeit standen sie aber öde und leer, und Julian dürfte wohl, wenn er nicht dem Felseneiland um seiner persönlichen Sicherheit willen den Vorzug gegeben hätte, sich in manch anderm Asyl lieber aufgehalten haben als in diesem einsamen, von allem Verkehr mit Menschen so streng abgeschlossenen Burgwesen. Aber die mancherlei Fehden, die Julian ausfocht, seine Verwicklung in fast alle dunklen Unternehmungen, die in solchem wilden Grenzgebiet an der Tagesordnung waren, auch allerhand persönliche Abenteuer andrer Art, die er liebte, machten es gewissermaßen zum Gesetz für ihn, daß er einem so sichern Aufenthalt, wie ihn die alte Burg bot, vor jedem andern Domizil den Vorzug gab, zumal seitdem er sich mit beiden am Ruder befindlichen Parteien eingelassen hatte, und bald mit der einen, bald mit der andern in engere Beziehungen trat, je nachdem es seinen Zwecken am besten diente.

Als sich jetzt die alte Burg den Blicken der beiden Wanderer zeigte, blieb der Greis, auf seinen Pilgerstab gestützt, stehen und ließ die Blicke über die Landschaft schweifen.