Wie bereits gesagt, war die Burg stellenweis bereits verfallen, und sogar auf die Entfernung hin, in welcher sich die Wanderer noch befanden, fielen die schadhaften Stellen an den Außenflächen der Mauern ins Auge. Eine dunkle Rauchsäule stieg aus den Essen auf, die sich in langen Dunststreifen über den klaren Aether zog, zum Zeichen dafür, daß die alte Burg nicht unbewohnt war. Aber sie wies doch erhebliche Unterschiede gegen die andern herrschaftlichen Behausungen auf, selbst der geringern Barone im Lande. So zeigten weder die Getreidefelder noch die eingehegten Weideplätze von der Seeseite her jene sorgsame Bewirtschaftung, welche man in Schottland vorwiegend antrifft. Auch die kleinen mit Ahornpfählen eingezäunten Hütten suchte man hier vergebens, die den Hörigen zur Wohnung dienen; auch keine Kirche sah man im Tal, und auf den Hügeln weideten so wenig die sonst überall vorhandenen Schafherden, wie in den Gründen Hornvieh; kurz, nichts war vorhanden, was auf irgend welche Uebung friedlicher Gewerbe schließen ließ. Augenscheinlich galten die Bewohner, so weit welche vorhanden waren, lediglich als Besatzungsmannschaft für die Burg, die in dem Schutzbereich derselben hauste und ihre Nahrung sich in andern als friedlichen Erwerbszweigen suchen mußte.

»Man könnte sich zu der Meinung versucht fühlen,« meinte der Greis, als er sich dem Anschein nach an der alten Burg sattgesehen hatte, »die der König von einer andern Burg seines Landes gewann, als er ihr einen Besuch machte oder einen Feldzug gegen sie führte, daß ihr Erbauer ein Erzspitzbube gewesen sein müsse.«

»Was jedoch hier nicht zuträfe,« erwiderte Halbert, »denn die Burg ist von den ersten Lords von Avenel erbaut worden, die im ganzen Land zu Friedenszeiten ebenso beliebt wie in Kriegszeiten gefürchtet waren. Der Mann, der sich auf räuberische Weise jetzt in den Besitz ihres Erbteils gesetzt hat, hat keine größere Ähnlichkeit mit ihnen, als die räuberische Eule mit dem Falken hat, wenn sie auch auf den gleichen Felsen horsten.«

»Also ist Julian Avenel bei seinen Nachbarn nicht gut angeschrieben?« fragte der Greis.

»So schlecht angeschrieben ist er,« erwiderte Halbert, »daß ich mit Ausnahme der Wamsmänner und Reisigen, mit denen er gemeinsame Sache zu machen pflegt, kaum noch jemand kenne, der sich mit ihm abgeben möchte. Zu wiederholten Malen schon ist er in England wie in Schottland geächtet worden, seine Güter sind für verfallen erklärt und über ihn selbst die Acht verhängt, ja auf seinen Kopf sogar ein Preis gesetzt worden. Aber in Zeiten, wie den unsrigen, findet ein Mann von solcher Verwegenheit, wie Julian Avenel, immer ein paar gute Freunde, die ihn mit Freuden gegen die Strafe des Gesetzes in Schutz nehmen, vorausgesetzt daß er im stillen zu Gegenleistungen sich bereit finden läßt.«

»Du schilderst ihn mir als einen recht gefährlichen Menschen,« meinte Heinrich Warden.

»Das könnt Ihr leicht selbst erfahren,« antwortete der Jüngling, »sofern Ihr nicht ordentlich auf Eurer Hut seid. Indessen kann es ja doch auch sein, daß er sich unsrer Kirchengemeinschaft entfremdet hat und auf dem Pfade der Ketzerei wandelt.«

»Was Du in Deiner Verblendung so nennst,« belehrte ihn der Reformator, »ist einzig und allein der richtige Weg zum wahren Glauben. Gebe der Himmel, der Mann wäre von keinem andern schlechten Geiste beseelt als diesem! Mir persönlich ist der Baron von Avenel völlig unbekannt. Er gehört weder zu unsrer Vereinigung noch zu unserm Rat. Und doch habe ich Schreiben an ihn von Personen, die er, wenn nicht fürchten, so doch achten muß, und im Vertrauen darauf begebe ich mich zu ihm in seine Behausung ... Kommt, wir wollen weiter gehen. Die kurze Pause, die wir uns gegönnt haben, hat mich hinreichend gestärkt.«

»Laßt Euch wenigstens noch folgendes raten, frommer Vater,« sagte Halbert, »Ihr dürft wohl glauben, daß das, was ich Euch sage, sich auf den Brauch gründet, der in diesem Lande und bei seinen Bewohnern herrscht. Könnt Ihr es aber wagen, den Fuß in die Burg zu setzen, dann versucht wenigstens, sichres Geleit von ihm zu erreichen, und laßt nicht eher ab, als bis ers Euch zuschwört beim schwarzen Kreuze. Achtet auch darauf, ob er mit Euch zusammen an der gleichen Tafel ißt und ob er Euch zutrinkt. Unterläßt er es, Euch diese Zeichen des Willkomms zu bieten, dann will er Euch auch nicht wohl, und Ihr tut gut, auf Eurer Hut zu sein.«

»Leider habe ich zurzeit keine bessre irdische Zukunft als diese drohenden Türme, aber im Vertrauen auf jenen andern Beistand, der nicht von dieser Erde ist, setze ich den Fuß hinein. Du aber, mein wackrer Jüngling, mußt denn auch Du Dich den Gefahren dieser Höhle aussetzen?«

»Ich bin nicht in Gefahr,« erwiderte Halbert Glendinning, »denn ich bin gut bekannt mit einem Reisigen Julians, mit Christie von Clinthill. Und was mich persönlich am besten schützt, ist der Umstand, daß ich nichts an mir habe, was Bosheit wecken und Raubgier locken könnte.«

Vom See her wurden in diesem Augenblick Hufschläge laut, und als sie sich umdrehten, erblickten sie einen Reiter, dessen Stahlhelm und Lanzenspitze im Schein der untergehenden Sonne glitzerten. Er kam rasch auf sie zugeritten, und Halbert erkannte auf der Stelle Christie von Clinthill in ihm. Er unterrichtete geschwind seinen Kameraden, daß es Julians Reisiger sei, der auf sie zukäme.

»Ei, ei, mein Bürschchen,« rief Christie dem jungen Glendinning zu, »hast Du Dich nun doch noch besonnen und kommst, Dienst bei meinem edlen Herrn zu nehmen? Als wir letzt zusammen sprachen, warst Du ja noch recht widerhaarig! Aber sollst an mir einen treuen Kameraden finden, und noch vorm Sankt Barnabas-Tage alle Schleichwege zwischen Millburn Plain und Netherby so genau kennen, als wärst Du mit dem Wams auf dem Leibe und mit der Lanze in der Faust auf die Welt gekommen. ... Was bringst Du uns denn aber für einen alten schwarzen Knaben mit ins Haus? Zu der Brüderschaft vom Liebfrauenkloster gehört er doch nicht, denn ich sehe ja das Brandmal dieser schwarzen Biester nicht an ihm.«

»Es ist ein Pilger, der mit dem Ritter von Avenel etwas zu erledigen hat, geschäftlicher Natur, also brauchst Du Dich nicht so zu haben! Und was mich selbst angeht, so will ich nach Edinburg hinunter, um mich mal bei Hofe umzusehen. Wenn ich wieder heimkomme, will ich zusehen, was sich zu Deinem Vorschlag sagen läßt. Für heute nacht jedoch will ich von Deiner häufigen Einladung, Dich mal auf der Burg zu besuchen, Gebrauch machen und um Unterkunft für den Greis und mich bitten.«

»Du bist willkommen, junger Kamerad,« sagte hierauf Christie, »aber für Pilger oder Leute, die wie Pilger aussehen, haben wir auf der Burg kein Gelaß.«

»Mit Verlaub, mein Lieber,« nahm Heinrich Warden das Wort, »ich habe von einem vertrauten Freunde Empfehlungsschreiben an Euren Herrn, und darf wohl annehmen, daß er sich demselben durch ernstere Dinge gefällig erweisen möchte, als daß er mir auf kurze Zeit Schutz und Unterstand gewährt. Ich bin kein Pilger, im Gegenteil den Wallfahrten mit ihren abergläubischen Bräuchen streng abhold.«

Mit diesen Worten reichte er dem Reisigen die Papiere, der sie wohl nahm, aber den Kopf schüttelte und sagte:

»Damit muß sich mein Herr selbst befassen. Er wird sie wohl lesen können. Für mich sind Schwert und Lanze Buch und Psalter und sind es schon seit meinem zwölften Jahre. Aber in die Burg hinauf führen will ich Euch, der Baron von Avenel mag Euch selbst bescheiden, ob er Euch aufnehmen will oder Euch lieber den Laufpaß gibt.«

Inzwischen hatte der kleine Trupp den Damm erreicht, der die Verbindung zwischen dem Felseneiland und dem Ufer des festen Landes herstellte.