Er trabte Christie voraus und meldete den Burgwächtern seine Ankunft durch einen schrillen Pfiff. Die vordere Zugbrücke wurde niedergelassen, der Reiter trabte hinüber und verschwand auf der andern Seite unter der finstern Pforte. Glendinning und sein Kamerad folgten ihm langsam zu Fuße, denn der Weg über den holprigen Damm war beschwerlich, aber auch sie kamen bald unter den düstern Torweg, über welchem sich, in tiefrote Quadern gehauen, das alte Wappen des Geschlechtes der Avenel zeigte. Dasselbe stellte eine weibliche Gestalt vor in dichter Vermummung durch eine Art Schleier oder Umhang oder beides, die das Wappenfeld vollständig einnahm. Warum das Geschlecht derer von Avenel zu solch seltsamem Wappenbilde gekommen war, entzog sich der Betrachtung ebenso, wie was dasselbe bedeuten sollte; aber die Rede ging allgemein, daß die Wappenfigur die weiße Frau darstellte, jenes geheimnisvolle Wesen, dem in allen Wandlungen, die das alte Geschlecht betroffen hatte, eine weissagende, zum Teil sogar tätige Rolle beigemessen wurde. Halbert dachte beim Anblick dieser wunderlichen Wappenfigur an die mancherlei Umstände, die sein Schicksal und das der Mary von Avenel mit dieser Erscheinung in Beziehung gesetzt hatten, und es fiel ihm ein, daß er diese Figur schon auf dem bei der Plünderung des Schlosses nach Walter von Avenels Tode geretteten und von seiner Witwe mit nach Glendearg gebrachten Siegelringe dieses letzten direkten Sprossen des berühmten schottischen Geschlechts gesehen hatte.
»Warum seufzest Du so schwer, mein Sohn?« fragte der Greis, der den Eindruck, den die Figur auf das Gemüt des Jünglings gemacht hatte, wohl bemerkte, aber den Grund dazu mißverstand; »wenn Du Dich fürchtest, den Fuß hinein zu setzen, so können wir ja noch immer umdrehen.«
»Das müßt Ihr nun schon bleiben lassen,« meinte Christie von Clinthill, der eben aus einer Seitentür unterhalb des Gewölbes wieder zum Vorschein kam, »denn guckt Euch doch um! entweder müßt Ihr wie ein paar Wildenten durch das Wasser paddeln oder wie ein paar Regenvögel durch die Luft streichen, denn was andres bleibt Euch, wenn Ihr zurück wolltet, wohl nicht übrig.«
Als sie sich umdrehten, sahen sie, daß die Zugbrücke schon wieder aufgezogen war und mit ihren Planken die im Untergang begriffne Sonne halb verdeckte, wodurch natürlich die Finsternis, die in dem Gewölbe herrschte, noch erheblich vermehrt wurde. Christie lachte höhnisch, dann forderte er sie auf, ihm zu folgen, und als Halbert ihm in die Nähe kam, flüsterte er ihm zu:
»Antworte nur dreist und flink auf jede Frage des Barons, ohne zu stocken und ohne nach schönen Worten zu suchen. Vor allen Dingen zeige keine Bange, denn kein Teufel ist so schwarz, wie ihn die Leute malen.«
Mit dieser Mahnung geleitete er sie in die große steinerne Halle, an deren einem Ende ein mächtiges Holzfeuer brannte. Der Sitte gemäß wurde die Mitte des Raumes von einem großen eichnen Tische eingenommen, auf welchem das Abendbrot für den Baron und seine vornehme Hausdienerschaft gedeckt war. Etwa ein halbes Dutzend Mannen, große, herkulisch gebaute Figuren mit wild blitzenden Augen, schritten im hintern Teil der Halle auf und ab, mit so schweren Tritten, daß die ganze Halle dröhnte. Stahlwämser oder Koller von Büffelhaut machten den vornehmsten Teil ihrer Kleidung aus, während ihre Kopfbedeckung aus Stahlhauben oder breitkrempigen Hüten mit wallenden spanischen Federn bestand.
Der Baron von Avenel war selbst eine jener schlanken, muskulös gebauten, an den alten Kriegsgott Mars erinnernden Figuren, wie sie Salvator Rosa mit Vorliebe gemalt hat. Er trug einen Mantel, der einmal mit äußerst feiner Stickerei besetzt gewesen sein mochte, aber derb strapaziert worden und durch den Einfluß von Wind und Wetter stark verschossen war. Unter einem Koller von Büffelhaut blitzte stellenweis das helle Panzerhemd vor, das er statt der schärfer in die Augen fallenden Rüstung zum Schutz gegen hinterlistige Anfälle auf dem Leibe trug. In einem ledernen Gurt steckte an der Seite ein breites schweres Schwert, an der andern jener kostbare Dolch, der einst dem Ritter Piercie Shafton gehört hatte, dessen Zierat jedoch stark ruiniert war, entweder weil unvorsichtige damit umgegangen worden war oder weil man nie daran gedacht hatte, ihn zu putzen oder zu erneuern.
Trotz der groben Tracht, die er trug, verriet das Benehmen und die Haltung des Ritters doch weit mehr Noblesse als Benehmen und Haltung der Mannen, die seine Umgebung bildeten. Er mochte etwas über fünfzig Jahre alt sein, denn sein ehedem schwarzes Haar war stark mit Grau vermischt, aber das Feuer seiner Augen war durch das Alter noch nicht getrübt, sein reger Geist noch nicht geschwächt worden. Er war ehedem ein schöner Mann gewesen, denn Schönheit war dem Hause Avenel eigentümlich, aber Wind und Wetter hatten seinen Zügen einen Ausdruck von Rauheit und Derbheit gegeben.
Er ging in einigem Abstande von seinen Untergebenen im Hintergrunde der Halle auf und ab, dem Anschein nach in tiefes Sinnen versunken, blieb von Zeit zu Zeit stehen, um einen auf seiner Hand sitzenden Falken zu streicheln oder zu füttern, und der Vogel, für diese Liebkosungen seines Herrn offenbar nicht unempfindlich, schlug hin und wieder mit dem Schnabel nach der Hand seines Herrn oder plusterte sich auf. Dann spielte um die Lippen des Barons ein Lächeln, gleich darauf aber versank er wieder in dasselbe mürrische Nachdenken wie zuvor, und schien ein auffälliges Etwas, an dem wenige so oft wie er vorbei gegangen wären, ohne den Blick darauf zu werfen, gar nicht zu sehen.
Dieses Etwas war eine Frau von wunderbarer Schönheit in einer weniger reichen als geschmackvollen Kleidung, die auf einem niedrigen Schemel dicht neben dem mächtigen Kamine saß. Nach dem güldnen Geschmeide zu schließen, das ihren Hals und ihre Arme zierte, sowie weiter nach dem schmucken grünen Gewand, das bis auf den Boden hinunter fiel, und dem mit Silberfiligran gestickten Gürtel, an dem als Zierat ein Schlüsselbund an silberner Kette hing, endlich dem seidnen »Couvreche«, der um ihren Kopf geschlungen war, die Fülle ihres dunklen Haares nur zum Teil bedeckend, hätte man meinen müssen, die Hausfrau des Barons zu erblicken. Vor allem aber hätte darauf ein andrer Umstand deuten müssen, der in irgend einer alten Ballade höchst sinnig angedeutet wird durch die Worte, daß für die jetzige Figur der Frau, beziehungsweise den damaligen Zustand derselben, der Gürtel zu prall, das Kleid zu kurz geworden sei. Aber der niedrige Sitz, der ihr zugewiesen war, sowie der Ausdruck einer tiefen Schwermut, der sich nur dann zu einem schmerzlichen Lächeln wandelte, wenn sie gewahr wurde, daß Julian von Avenel einen flüchtigen Blick auf sie warf, nicht minder der Blick des sinnigen Auges, das ihren Gram zu verhüllen suchte, und die hervorquillende Träne, sobald sie sich unbemerkt meinte, dies alles wiederum schien bei der Frau nicht auf die Eigenschaft einer Gattin zu deuten, sie hätte denn gerade zu denen gehören müssen, die der Mann verschmäht, und die betrübten Herzens es lieben, sich auf sich selbst zu beschränken.
Julians Verhalten hätte zu solchem Vermuten berechtigen können, denn er erwies ihr, während er in der Halle auf und nieder schritt, nicht die geringste jener Aufmerksamkeiten, die ein Mann, sei es aus Zuneigung oder Galanterie, fast jeder Frau erweist. Er schien weder von ihrer noch von der Anwesenheit der andern Personen etwas zu wissen, sondern bloß der Falke auf seiner Faust schien für ihn Bedeutung und Interesse zu haben. Auf den Falken schien auch die schöne Frau ihr Augenmerk zu lenken, vielleicht weil sie dachte, auf diese Weise am ehesten einen Anlaß zu einem Gespräch mit dem Baron zu gewinnen, oder weil sie meinte, in den Worten, die er zu dem Vogel sprach, etwas herauszuhören, was ihr für dies oder jenes ein gewisses Verständnis eröffnen könne. Die beiden fremden Männer hatten Zeit genug, dies alles wahrzunehmen, denn kaum waren sie mit dem Reiter, der sie führte, in die Halle eingetreten, als dieser sie bedeutete, an der Tür stehen zu bleiben, während er selbst sich in der Mitte der Halle aufstellte, beflissen, eine Haltung einzunehmen, die dem Baron, sobald es ihm einfiele, sich einmal umzudrehen, sofort ins Auge fallen müsse. Die Aufmerksamkeit seines Herrn und Gebieters auf andre Weise zu wecken, schien er nicht für geraten zu erachten; überhaupt fiel es sofort auf, in welcher sonderbaren Weise sich das Benehmen dieses dreisten und groben Menschen in Gegenwart des Ritters änderte; er war der unterwürfigste, kriechendste Wicht geworden, den man sich denken konnte, und erinnerte stark an einen rebellischen Köter, der den Schwanz einzieht und sich ängstlich in einen Winkel verkriecht, wenn er die Peitsche seines strengen Herrn wittert, oder wenn er vor einem stärkern Kameraden retirieren muß.
So neu für Halbert Glendinning die ganze Situation und Szenerie auch war, so fühlte er sich doch mit allen Fasern seines empfindsamen Gemüts von dem schönen Frauenbild angezogen, das sich seinen Augen hier bot. Er sah recht gut, wie ängstlich sie acht gab auf die Worte, die der Ritter an seinen Falken richtete, und wie sich ihr Blick zu ihm stahl, um bei dem leisesten Anzeichen, daß er es gewahre, sich wieder von ihm abzuwenden. Der Ritter plauderte und scherzte noch eine ganze Zeitlang mit seinem Falken, bis schließlich die wilde Natur desselben sich geltend machte und er, als ihn der Ritter mit einem Stück Fleisch neckte, auf denselben einzustürmen versuchte.
»Narr du!« lachte der Ritter, »vergißt wohl, daß du die Riemen an den Klauen hast? ... nimm dich in acht, du Biest, und bessre dich, sonst dreh ich dir mal nächster Tage den Hals um! Da, nimm den Happen und friß! das ist bei euch Kanaillen doch die Hauptsache. Damit kann man eure ganze Sippe kirre kriegen. ... Holla, Jenkin! schaff das Luder in seinen Käfig, ich habs satt mit ihm.
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