Das Blutunterlaufene hat sich bereits gesetzt, die Weiße der Haut tritt wieder zum Vorscheine. Noch zwei Tage, dann sind die Züge zu erkennen.“

„Oh, ich sehe es schon jetzt“, meinte der Köhler unvorsichtig.

„Was?“

„Daß er der Hauptmann nicht ist!“

„Ah! Kennen Sie denn den Hauptmann?“

Erst jetzt bemerkte der Köhler, daß er sich ganz unnötig in Gefahr begeben hatte. Seine Frau war resoluter als er. Während er nicht wußte, was er sagen sollte, antwortete sie schnell:

„Kennen? Nein, Herr Doktor. Aber wir vermuten, daß wir ihn gesehen haben.“

„Wo denn?“

„Hier im Wald. Es trieb sich einige Tage lang ein Mensch in der Nähe des Hauses herum, der uns ziemlich verdächtig vorkam. Wir haben dann gedacht, daß es der Hauptmann ist.“

„Ach so! Hat der Kranke gesprochen?“

„Ja, aber undeutlich.“

„Wollen einmal sehen, wo er Schmerzen hat.“ Der Arzt betastete den ganzen Körper, ohne daß der Patient sich bewegte; als aber der erstere die Hirnschale berührte, fuhr der letztere mit den Armen empor und rief:

„Fort! Mörder – Forstschreiber!“

„Ah“, nickte der Arzt. „Sollte sich der Hauptmann ihm gegenüber für einen Forstschreiber ausgegeben haben? Wissen Sie vielleicht, ob der Kranke hört?“

„Nein.“

„Sie haben noch nicht auf ihn gesprochen?“

„Einige Male, aber er antwortete nicht. Er schläft fortwährend.“

„Das ist kein Schlaf, sondern Betäubung. Wollen einmal sehen, ob er antwortet.“

Er fragte den Kranken verschiedenes, ohne aber Antwort zu erhalten. Jetzt legte er ihm die Hand, aber nur leise, auf die Hirnschale, und sofort bewegte sich der Kranke.

„Wie heißen Sie?“ rief er ihm jetzt ins Ohr.

Der Verunglückte horchte und antwortete dann:

„We – we – eber.“

Er brachte es nur stammelnd hervor.

„Woher sind Sie?“

„A – a – me – rika.“

„Wohin wollen Sie?“

„La – langen – stadt.“

„Zu wem?“

„O – o – oheim.“

Dann aber brach er in ein schmerzliches Wimmern aus.

„Ich darf nicht weiter in ihn dringen“, sagte der Arzt. „Der Hinterkopf ist geschwollen; vielleicht ist ein Schädelbruch vorhanden. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß die Geschwulst sich setzt. Nun aber wissen wir wenigstens, wie er heißt.“

„Er ist mein Neffe“, sagte Weber.

„Wie, Ihr Neffe?“

„Ja; er hat zu mir gewollt und ist unterwegs von dem Hauptmann vom Felsen gestürzt worden. Dieser ist dann zu mir gekommen, um bei mir versteckt zu sein.“

„Ah, so sind Sie jener Weber aus Langenstadt?“

„Ja.“

„Dann weiß ich den Patienten in guten Händen. Sie werden alles tun, um ihn am Leben zu erhalten.“

„Natürlich! Ich werde Tag und Nacht nicht von seinem Lager weichen. Bitte nur, mir zu sagen, was ich tun soll.“

„Kalte Umschläge, weiter nichts.“

„Das kann ich allein besorgen, und so werden Sie wohl nichts dagegen haben, daß mein Gevatter hier mit seiner Frau nach der Residenz fährt?“

„Besser wäre es freilich, sie bleiben da. Man weiß nicht, was passieren kann. Der Zustand des Kranken ist nicht ungefährlich.“

„Der Gevatter muß aber fort.“

„Muß? Warum?“

„Er ist ins Gericht verlangt worden.“

„Ah, um wegen des Kranken hier vernommen zu werden?“

„Nein. Der Herr Staatsanwalt hat ihn bereits verhört. Aber es sind zwei Briefe gekommen. Vielleicht hätten Sie die Güte, sie einmal durchzulesen.“

„Zeigen Sie her!“

Der Arzt las die Briefe durch und fragte dann den Köhler lächelnd:

„Sie wissen nicht, was Sie sollen?“

„Nein. Ich habe überhaupt mit solchen Leuten nicht gern zu tun.“

„So haben Sie wohl gar Angst?“

„Ziemlich, Herr Doktor.“

„Das ist nicht nötig.“

„Meinen Sie?“

„Ja. Ich ahne, um was es sich handelt, fühle mich aber nicht berechtigt, darüber zu sprechen. Nur das will ich Ihnen sagen, daß Sie nichts Unangenehmes erfahren werden.“

„Gott sei Dank! Na, Alte, so hole die beiden Staatsanzüge aus der Kammer herunter.“

„Sie wollen also heute noch fort?“

„Ja. Es ist besser, wir erfahren, ob wir geköpft oder gehängt werden sollen!“

„Jedenfalls keins von beiden“, meinte der Arzt, indem er nach seiner Uhr sah. „Sie könnten mit dem Zug fahren, welcher in dritthalber Stunde von der nächsten Station abgeht.“

„Das ist unmöglich. Wir brauchen zum Ankleiden wenigstens eine halbe Stunde, und zu Fuß ist die Station dann nicht mehr rechtzeitig zu erreichen.“

„So müssen Sie fahren!“

„Oho! Mit wem denn?“

„Mit mir.“

„Sapperment! Sie wollten uns mitnehmen?“

„Ja. Ich setze mich auf den Bock und kutschiere Sie.“

„Das können wir gar nicht annehmen!“

„Warum denn nicht?“

„Sie, ein feiner, studierter Herr und wir – ojemine!“

„Dummes Zeug! Leute, die zum Fürsten von Befour bestellt worden sind, kann ich recht gut kutschieren, ohne daß ich mir den Respekt vergebe. Also, wollen Sie?“

„Warum denn nicht, wenn Sie uns die Ehre antun wollen! Aber Sie müßten eben eine halbe Stunde warten.“

„Das werde ich.