Beeilen Sie sich nur nach Möglichkeit!“
Die beiden alten Leute verschwanden. Der Arzt instruierte den Holzschnitzer Weber, wie der den Patienten zu behandeln habe. Unterdessen erhob sich über ihnen ein Lärm, als ob die Stubendecke eingetreten werden solle.
„Die da oben scheinen sich freilich zu beeilen“, lächelte der Arzt.
„O gewiß“, antwortete Weber. „Sie werden Ihr blaues Wunder sehen, Herr Doktor!“
„Wieso?“
„Sie legen ihren Hochzeitsstaat an, der fünfzig Jahre lang in der Truhe gelegen hat, ein einziges Mal ausgenommen, als sie vor achtzehn Jahren bei mir Gevatter standen.“
„Da bin ich freilich neugierig.“
„Passen Sie besonders auf den Zylinderhut auf! Er war damals schon unaussprechlich: hoch wie eine Feueresse und rauh wie ein Pudelfell. Die beiden werden Furore machen in der Hauptstadt!“
Endlich kam es zur Treppe herab und zur Türe herein. Die beiden alten Gesichter glänzten vor Wonne. Der Köhler trat sofort zum Spiegel – denn droben gab es keinen –, zupfte sich sein Vorhemdchen zurecht und sagte in dem selbstbewußtesten Ton, der ihm möglich war:
„Man ist doch gleich ein ganz anderer Mensch, wenn man einmal die guten Sachen antut.“
Sie aber schob ihn kräftig zur Seite und schmunzelte:
„Geh auf die Seite! Wer wird so eitel sein!“
„Aber du darfst wohl in den Spiegel gucken, he?“
„Ich muß nach den Haubenschleifen sehen. Das hast du ja nicht nötig!“
Während sie sich vor dem Spiegel nach rechts und links drehte, trat der Arzt zu dem Handkorb und blickte hinein.
„Sapperment!“ sagte er. „Was haben Sie denn da eingepackt?“
„Brot und Käse und Backäpfel.“
„Wozu denn?“
„Zur Fourage.“
„Was? Diesen harten Käse wollen Sie essen?“
„Herr, es ist der feinste Reibekäse!“
„Wie alt denn?“
„Na, er liegt schon einige Jahre droben auf dem Balken. Je älter, desto besser.“
„Gott, sind Sie um Ihre Zähne zu beneiden! Aber diese Äpfel? Sind das nicht Holzäpfel?“
„Ja. Die haben mir Mühe gemacht damals.“
„Wann war denn dieses damals?“
„Vor ungefähr zwanzig Jahren.“
„Dann schmeckt das Zeug doch wie Galläpfel!“
„Ja, es wickelt einem die Zunge ein bißchen zusammen; aber das schadet nichts; das ist gesund. Sauer macht lustig!“
„Gott erhalte Ihnen Ihren Magen! Aber wo denken Sie denn, diese Nahrungsmittel zu verkaufen?“
„Na, in der Hauptstadt!“
„Das kann ich mir denken! Aber bei wem? Im Hotel?“
„Hotel? O nein. Wir wohnen bei Verwandten. Und weil wir denen doch nicht alles wegessen wollen, so haben wir uns selbst etwas mitgenommen.“
Über das Gesicht des Arztes zuckte es eigentümlich.
„Schade!“ sagte er. „Jammerschade!“
„Was denn? Was ist jammerschade?“
„Mit diesem Käse könnten Sie Ehre einlegen.“
„Bei wem denn?“
„Beim Fürsten von Befour.“
„Was Sie sagen! Ist's wahr?“
„Ja. Er ist als der größte Freund von sehr altem, hartem Reibekäse weit und breit bekannt. Wer weiß, ob er schon einmal so alten gesehen hat wie diesen hier!“
„Meinen Sie? Du, Alter, denkst du, daß wir da den Käse dem Fürsten anbieten wollen?“
„Natürlich! Wir setzen uns da einen Stein ins Brett!“
„Und was für einen“, meinte der Arzt. „Aber eins müssen Sie mir hoch und teuer versprechen.“
„Was denn?“
„Daß Sie mich nicht verraten wollen.“
„Ah! Warum denn nicht?“
„Weil er es mir im Vertrauen mitgeteilt hat, daß er solchen alten Stänker am liebsten ißt. Ich als Arzt will mir doch nicht nachsagen lassen, daß ich solche Sachen ausplaudere.“
„Das ist richtig. Aber wenn er uns nun fragt, woher wir es wissen? Was sagen wir dann?“
„Sie brauchen doch bloß zu sagen, daß es im ganzen Land bekannt ist. Das genügt.“
„Gut, ganz wie Sie wollen.“
„Sie werden, wie gesagt, Ehre bei ihm einlegen. Und was die Backäpfel betrifft – na, es wird aber zuviel.“
„Was denn zuviel?“
„Ich möchte Sie nicht um Ihre Sachen bringen.“
„Was das betrifft, so sind wir gar nicht so geizig.“
„Das wäre sehr gut. Zudem könnten Sie sich auch diesen vornehmen Herrn zum Freund machen. Es trifft sich aber auch gerade so gut und schön.“
„Bitte, genieren Sie sich nicht, Herr Doktor! Herunter mit dem, was Sie auf dem Herzen haben!“
„Nun, gerade weil Sie auch zu dem Herrn Oberlandesgerichtsrat von Eichendörffer müssen, wollte ich Ihnen einen kleinen Wink geben, der Ihnen von großem Nutzen sein kann.“
„Winken Sie; winken Sie nur!“
„Nämlich der Herr von Eichendörffer hat ein eigentümliches Leiden, eine unheilbare Krankheit!“
„Der arme Teufel!“
„Er leidet nämlich an einer unterirdischen Hasenscharte.“
„Davon habe ich noch nie etwas gehört, nämlich von einer unterirdischen Hasenscharte.“
„Eine unterirdische Hasenscharte, oder, wie wir Ärzte uns ausdrücken, ein verborgener Wolfsrachen liegt nämlich so unter der Haut, daß man gar nichts davon sehen kann.“
„Ach so!“
„Um so schlimmer ist aber das Leiden.“
„Kann es denn nicht geheilt werden?“
„Nein. Man kann doch etwas Unterirdisches nicht operieren. Wer eine solche Hasenscharte hat, der kann nicht gut sprechen. Er muß also immer etwas Zusammenziehendes essen, damit die Scharte sich schließt. Da gibt es nun nichts Besseres und Kostbareres als recht uralte, abgebackene Holzäpfel. Verstanden?“
„Sapperment!“ entfuhr es der Köhlerfrau.
„Dieser Herr nun kauft heimlich alle solche Äpfel zusammen. Aber weil er täglich wenigstens zwei Pfund gebraucht, so sind fast gar keine mehr zu bekommen.“
„Na, Holzäpfel gibt's doch genug?“
„Aber keine wilden und so alten.“
„Hier im Gebirge aber doch!“
„Sie müssen bedenken, daß Herr von Eichendörffer sein Leiden geheimhält.
1 comment