Er selbst pflegt sich dann einen Commis voyageur Gottes
zu nennen. Sein Oberer, der Dechant Peyramale, verabscheut dergleichen witzige
Aperçus.) Marie Thérèse Vauzous bereitet die Kinder unter Pomians Leitung zur
Erstkommunion vor, die im Frühjahr stattfindet.
Vor der
Lehrerin steht ein Mädchen. Es ist ziemlich klein für sein Alter. Das runde
Gesicht ist sehr kindlich, während der schmächtige Körper bereits die Frühreife
der südländischen Rasse erkennen läßt. Das Mädchen ist in einen bäuerlichen
Kittel gekleidet. An den Füßen trägt es Pantinen. Aber alle Kinder, und nicht
nur die Kinder, tragen hier Holzschuhe, bis auf die wenigen, die aus den
sogenannten besseren Kreisen stammen. Die braunen Augen des Mädchens halten dem
Blick der Klosterfrau ruhig stand. Ihr eigener Blick ist frei, abwesend und
beinahe apathisch. Etwas in diesem Blick macht Sœur Marie Thérèse unruhig:
»Und weißt
du wirklich nichts über die Heilige Dreifaltigkeit, liebes Kind?«
Das Mädchen
wendet den Blick noch immer nicht von der Lehrerin und antwortet unbefangen mit
einer hellen Stimme: »Nein, ma Sœur, ich weiß nichts darüber...«
»Und du
hast niemals etwas davon gehört?«
Das Mädchen
denkt lange nach, ehe es sagt:
»Möglich,
daß ich was davon gehört hab...«
Die Nonne
klappt ihr Buch zu. Ein wirkliches Leiden tritt auf ihre Züge:
»Jetzt weiß
ich nicht, mein Kind, soll ich dich für dreist halten, für gleichgültig oder
nur für dumm...«
Ohne den
Kopf zu senken, entgegnet Bernadette, als ob sie das nichts anginge:
»Ich bin
dumm, ma Sœur... In Bartrès haben sie gesagt, daß ich keinen Kopf zum Lernen hab...«
»Also, wie
ich’s gefürchtet hab«, seufzt die Lehrerin. »Du bist frech, Bernadette
Soubirous...«
Die Vauzous
geht auf und ab vor den Bänken. Sie muß, eingedenk ihrer Pflicht als geistliche
Person, einen heftigen Unwillen niederkämpfen. Währenddessen beginnen die
achtzig oder neunzig Mädchen der Klasse unruhig zu rutschen und immer lauter zu
plappern.
»Ruhe«,
befiehlt die Lehrerin. »Unter was für ein Volk bin ich geraten? Ihr seid
Heiden, ärger und unwissender als Heiden...« Eines der Mädchen meldet sich, mit
der Hand fuchtelnd:
»Bist du
nicht auch eine Soubirous?« fragt die Nonne, die erst vor einigen Wochen die
Klasse übernommen hat und noch nicht alle Gesichter mit den dazu gehörenden
Namen in Einklang bringen kann.
»Jawohl, ma
Sœur. Ich bin die Marie Soubirous... Ich wollte nur sagen, daß Bernadette, daß
meine Schwester immer krank ist...«
»Du bist
eigentlich danach nicht gefragt worden, Marie Soubirous«, rügt die Lehrerin,
der dieser schwesterliche Beistand als eine Art Aufruhr erscheint. Mit christlicher
Milde allein kann man eine Horde von neunzig Proletariermädchen nicht in Zucht
halten. Die Vauzous versteht es aber sehr gut, sich Respekt zu verschaffen.
»Krank ist
deine Schwester?« fragt sie. »Was für eine Krankheit?«
»Athma
heißt es, oder so...«
»Du meinst
wohl Asthma...«
»Jawohl, ma
Sœur, Asthma! Der Doktor Dozous hat das gesagt. Sie kann nicht atmen, oft...«
Marie ahmt
drastisch einen Anfall von Schweratmigkeit nach. Es ist ein Gaudium für die
Klasse. Die Lehrerin schneidet mit einer Handbewegung das übertriebene
Gelächter ab:
»Asthma
hindert niemanden am Lernen und an der Frömmigkeit.«
Sœur Marie
Thérèse runzelt die Augenbrauen und überblickt die Klasse:
»Kann mir
eine von euch Antwort geben auf meine Frage?«
In der
ersten Bank fährt ein Mädel hoch. Es hat schwarze Wuschelhaare, begehrliche
Augen und einen aufgeschürzten Mund.
»Nun,
Jeanne Abadie«, nickt die Lehrerin. Es ist der Name, den sie am öftesten nennt.
Jeanne Abadie läßt flink ihr Licht leuchten:
»Die
Heilige Dreifaltigkeit, das ist einfach der Herrgott...«
Das
durchgearbeitete Gesicht der Nonne verzieht sich zu einem Lächeln:
»Nun, so
einfach ist es nicht, meine Liebe... Aber du hast wenigstens eine blasse
Ahnung...«
In diesem
Augenblick erhebt sich die ganze Klasse, um dem Abbé Pomian die Ehrenbezeigung
zu leisten, der in den Schulraum getreten ist. Der junge Geistliche, einer der
drei Kapläne des Dechanten Peyramale, macht seinem Namen Pomian Ehre. Er hat
pralle rote Apfelbäckchen und scherzhaft schmunzelnde Augen.
»Ein
kleiner Prozeß, ma Sœur?« fragt er beim Anblick der armen Sünderin, die noch
immer vor den Bänken steht.
»Ich muß
leider Klage führen über Bernadette Soubirous, Herr Abbé«, sagt die Lehrerin.
»Sie ist nicht nur sehr unwissend, sondern gibt auch kecke Antworten.«
Bernadette
macht eine Bewegung mit dem Kopf, als wolle sie etwas richtigstellen. Abbé
Pomians stark behaarte Hand dreht ihr das Gesicht zum Licht:
»Wie alt
bist du, Bernadette?«
»Vierzehn
Jahre schon vorüber«, antwortet die helle Stimme des Mädchens.
»Sie ist
die Älteste in der Klasse und die Unreifste«, flüstert die Vauzous dem Kaplan
zu.
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