Die Augen starr aufs Feuer gerichtet, das seine Nahrung blitzschnell verzehrt, murmelt er:

»Wenn man nur eine Schaufel hätte hier...«

Kaum hört der dienstwillige Leyrisse das Wort Schaufel, als er schon aufspringt, durch das Bachwasser läuft, als wär es keins, und aus der Grotte zwei Spaten herüberbringt. Arbeiter, die gegen die Hochfluten des Gave eine Mauer aufführen, mögen sie dort gelassen haben. Inzwischen hat das Feuer jene greulichen Reste fleischlicher Qualen zu Asche gebrannt. Es kostet die beiden Männer nicht viel Mühe, den Aschenhaufen und was sonst vom verkohlten Zunder übrigbleibt, in den Gave zu schaufeln, der auch diese Gabe mit seinem cholerischen Temperament zum Flusse Adour und durch ihn in den Ozean führt.

Es ist noch lange nicht elf Uhr, als François Soubirous, diesmal nicht mehr mit leerem Magen und hoffnungsloser Seele, vor Cazenave steht.

»Ihr Befehl ist ausgeführt, mon capitaine!«

Nach längerem Handel und mehreren, immer strammer wiederholten »mon capitaine« hält er schließlich fünfundzwanzig Sous in Händen. An der Ecke der Rue des Petites Fossées ist Soubirous noch immer bereit, den vollen Betrag an Louise abzuführen. Doch schon vor dem Estaminet Vater Babous tritt ihn der Versucher an, dem er, der Mühen des heutigen Vormittags eingedenk, nur einen erschöpften Widerstand entgegensetzt. Zwanzig Sous, ein rundes Silberstück, war der ausgesetzte Preis für seine Arbeit. Die fünf großen Kupferstücke sind ein Überpreis. Wo steht es geschrieben, daß ein guter Familienvater, der sich für die Seinen in der Winterkälte plagt wie selten einer, diese elenden fünf Sous, dieses Sündengeld nicht für sich selbst verwenden dürfe? Vater Babou begehrt für einen Achtelliter seines Selbstgebrannten Kräuterteufels nicht mehr als zwei Sous. Soubirous findet das äußerst preiswert. Er hält sich aber bei Vater Babou nicht länger auf, als man braucht, um einen einzigen Kräuterteufel zu leeren.

Im Cachot schlägt ihm ein angenehmer Dunst entgegen. Kein »Milloc« heute, kein Maisbrei, dem Himmel sei Dank! Maman bereitet eine Zwiebelsuppe. Diese Weiber sind nicht kleinzukriegen, denkt er. Sie schaffen immer wieder etwas her. Weiß Gott, vielleicht hilft ihnen der Rosenkranz, den sie stets in der Schürzentasche tragen. Soubirous macht sich zuerst längere Zeit in der Stube gleichgültig zu schaffen, ehe er seinem Weibe die Silbermünze überreicht, gelassen, als wäre das nur ein geringer Vorschuß auf die Louisdors, die er morgen zu erwarten habe.

»Du bist ein tüchtiger Bursche, Soubirous«, sagt sie nicht ohne anerkennendes Mitleid, und auch er ist überzeugt davon, daß er heut mit dem Leben ganz gut fertig geworden ist. Dann stellt sie einen Teller Zwiebelsuppe vor ihn auf den Tisch. Er löffelt, wie es seine Art ist, mit nachdenklicher Strenge. Sie sieht ihm zu und seufzt.

»Wo sind die Kinder?« fragt er, nachdem er sein Mahl beendet hat.

»Die Mädchen müssen gleich aus der Schule kommen, und Justin und Jean Marie spielen unten...«

»Die Kleinen sollten nicht auf der Straße spielen«, bemerkt der ehemalige Müller mit standesbewußtem Tadel. Da sich Louise in keine Diskussionen über diesen Ehrenpunkt einläßt, erhebt sich Soubirous, gähnt, stöhnt, reckt und streckt sich:

»Ich bin tüchtig durchgefroren nach alledem, am besten, man geht zu Bett. Man hat sich’s verdient...«

Die Soubirous schlägt die Bettdecke zurück. Er tritt aus den Pantinen, wirft sich hin und zieht die Decke bis an die Nase. Wenn man auch bettelarm ist und ungerecht behandelt vom Schicksal, manchmal tut einem das Leben doch köstlich wohl, insbesondere nach getaner Pflicht. Soubirous fühlt Sättigung, steigende Wärme und eine ausgesprochene Zufriedenheit mit sich selbst, die ihn in einen raschen Schlaf hinübergeleitet.

Bernadette weiß nichts von der Heiligen Dreifaltigkeit

 

 

Hinterm Lehrertisch sitzt Sœur Marie Thérèse Vauzous, eine der Klosterfrauen von Nevers, die an das Hospital und die ihm angeschlossene Mädchenschule in Lourdes abgeordnet sind. Sœur Marie Thérèse ist noch jung, und sie könnte für schön gelten, wenn ihr Mund nicht allzu schmal und ihre hellblauen Augen nicht allzu eingesunken wären. Die Blässe des feingeformten Gesichtes wirkt unter dem schneeweißen Haubenvorstoß krankhaft gelblich. Die langgefiederten Hände deuten auf ausgezeichnete Herkunft. Wenn man aber näher hinsieht, so sind diese adligen Hände rot und aufgesprungen. Was die erbarmungslosen Zeichen der Strenge und Abtötung anbetrifft, so bietet die Nonne Vauzous zweifellos das Bild einer mittelalterlichen Heiligen dar. Der Katechet von Lourdes, Abbé Pomian, der ein feiner Spötter ist, sagt von ihr: »Die gute Sœur Marie Thérèse ist weniger eine Braut als eine Amazone Christi.« Er kennt die Klassenlehrerin Vauzous ziemlich genau, da sie ihm als Gehilfin beim Religionsunterricht der Mädchen zugeteilt ist. (Die seelsorgliche Pflicht führt den Kaplan Pomian viel in den Dörfern und Märkten des Kantons umher, so daß er oft tagelang von Lourdes abwesend ist.