Deshalb hat Monsieur Lacadé, Maire von Lourdes, vor einigen
Jahren angeordnet, daß der Cachot aufgelassen werde und daß man die Vagabunden
und Übeltäter im Torgebäude des Baous-Tores unterbringe, wegen der besseren
Gesundheitsverhältnisse, ausdrücklich. Für die Familie Soubirous sind die
Gesundheitsverhältnisse im Cachot gut genug. Man merkt’s, denkt der ehemalige
Müller, die Bernadette hat wieder die halbe Nacht gefaucht und gepfiffen. Da
beginnt er sich selbst so jämmerlich leid zu tun, daß er fest entschlossen ist,
zurück ins Bett zu kriechen und weiterzuschlafen.
Es kommt
nicht zu dieser feigen Waffenstreckung, denn inzwischen hat Mutter Soubirous
sich erhoben. Sie ist eine Frau von fünf- oder sechsunddreißig, die aussieht
wie fünfzig. Sofort macht sie sich übers Feuer, scheucht die Funken aus der
Asche, häuft qualmendes Stroh, Späne und ein paar trockene Äste darauf und
hängt schließlich den kupfernen Wasserkessel über die neue Flamme. Soubirous
betrachtet großartig und düster diese wortlose Tätigkeit seines Weibes. Auch er
sagt nichts. Ein Tag fängt wieder an, mit seinen Lasten und Enttäuschungen. Ein
Tag, wie er gestern war und wie er morgen sein wird. Jetzt läuten die
blechernen Glocken der Pfarrkirche. Man entgeht dem Tag nicht.
François
Soubirous hat nur eine, einzige Sehnsucht: einen brennenden Schnaps in seinen
öden Magen zu bekommen. Die Flasche mit dem Kräuterteufel aber hält Mutter
Soubirous unter Verschluß. Er bringt’s nicht über sich, den leidenschaftlichen
Wunsch auszusprechen, denn der Kräuterteufel ist ein Streitpunkt zwischen den
Eheleuten. Eine Weile zögert er noch, dann tritt er in die Pantinen:
»Ich geh
jetzt, Louise«, brummt er gedämpft.
»Hast du
etwas Bestimmtes vor, Soubirous?« fragt sie.
»Man hat
mir Verschiedenes angetragen«, meint er dunkel. Es ist täglich dasselbe
Zwiegespräch. Seine Würde erlaubt es Soubirous nicht, sich selbst und dem Weibe
die ganze klägliche Wahrheit einzugestehn. Die Frau macht einen hoffnungsvollen
Schritt vom Herde weg:
»Bei Lafite
vielleicht? Im Sägewerk?«
»Ah,
Lafite!« spottet er. »Wer denkt an Lafite? Aber ich werde mit Maisongrosse
sprechen und mit Cazenave, dem Postmeister, weißt du...«
»Maisongrosse,
Cazenave...« Sie wiederholt enttäuscht diese Namen und arbeitet wieder. Er
setzt die Baskenmütze auf. Seine Bewegungen sind langsam und unsicher.
Plötzlich dreht sich die Frau um:
»Ich hab
darüber nachgedacht, Soubirous. Wir sollten Bernadette weggeben von hier«,
flüstert sie.
»Was heißt
das, weggeben von hier?«
Soubirous
hat gerade den schweren Riegel an der Tür zurückgeschoben. Es ist eine
Gefängnistür. Jedesmal, wenn er sie öffnet, fällt ihm die schlimmste Zeit
seines Lebens ein, jene vier Wochen im Vorjahr, die er als ein Unschuldiger in
Untersuchungshaft verbringen mußte. Seine Hand fällt herab. Er hört das
Gewisper der Frau:
»Zu ihrer
Tante Bernarde, mein’ ich. Oder noch besser aufs Dorf nach Bartrès. Die Laguès
würde sie sicher wieder aufnehmen. Und sie hat draußen gute Luft und
Ziegenmilch und Honig aufs Weizenbrot, und sie ist doch so gern auf dem Dorf,
und das bißchen Arbeit schadet ihr nichts...«
François
Soubirous fühlt wieder die Bitterkeit in sich aufsteigen. Obgleich er Louisens
gute Gründe einsieht, begehrt er auf.
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