Er hat eine Schwäche für große Worte und Gebärden. Vermutlich stammt ein Teil der Soubirous aus dem Spanierland.

»Ich bin also wirklich ein Bettler«, knirscht er. »Meine Kinder verhungern. Ich muß sie zu fremden Leuten...«

»Du sollst vernünftig sein, Soubirous«, unterbricht ihn die Frau, da er zu laut gesprochen hat. Sie sieht ihn an, wie er dasteht, mit gesenktem Kopf, verzweifelt, würdevoll und willenssschwach. Da nimmt sie die Flasche aus dem Schrank und schenkt ihm ein Gläschen ein.

»Kein schlechter Einfall von dir«, sagt er täppisch und stürzt das Brennende hinunter. Seine Seele schreit nach einem zweiten Glas. Er beherrscht sich aber und geht. Im Bette, wo die beiden Schwestern schlafen, liegt Bernadette, die ältere, da, mit offenen, stillen, dunklen Augen.

Massabielle, ein verrufener Ort

 

 

Die Rue des Petites Fossées ist eine der schmalen Gassen, die den Burgfelsen von Lourdes umlagern. Sie steigt winkelzügig an, ehe sie in den Stadtplatz Marcadale mündet. Es ist hell geworden. Man sieht aber dennoch nur wenige Schritte weit. Der Himmel hängt tief herab. Ein Vorhang, gewirkt aus Regen und dicken Schneeflocken, schlägt Soubirous ins Gesicht. Die Welt ist leer und stumpf. Nur die Clairons der Dragonereskadron auf dem Kastell und in der Nemours-Kaserne unterbrechen mit ihren morgendlich spritzigen Signalen die Öde. Obwohl hier unten im Gave-Tal der Schnee nicht liegenbleibt, dringt die eisige Kälte in sonderbaren Stößen bis in die Knochen. Es ist der Anhauch der Pyrenäen, die hinter den Wolken lauern, die schneidende Botschaft der gedrängten Kristallhäupter, vom Pic du Midi bis zum furchtbaren Dämon Vignemal, dort zwischen Frankreich und Spanien.

Die Hände Soubirous’ sind rot und klamm, seine unrasierten Backen naß, die Augen brennen ihm. Dennoch steht er vor dem Bäckerladen Maisongrosse lange Zeit unentschlossen, ehe er eintritt. Er weiß, es ist vergeblich. Während des vorjährigen Karnevals hat ihn Maisongrosse hie und da als Austräger beschäftigt. Im Fasching geben die Brüderschaften und Innungen ihre Feste. Da ist zum Beispiel der große Ball der Schneider und Näherinnen, welche die heilige Lucia verehren. Der Ball findet im Hotel der Postmeisterei statt, und die Firma Maisongrosse liefert das Gebäck, vom Brot angefangen bis zu den feinen Cremetorten und Krapfen. Bei dieser Gelegenheit hatte Soubirous damals die ansehnliche Summe von hundert Sous verdient und überdies seinen Kindern eine Tüte voll Bäckereien mit nach Hause gebracht.

Er faßt sich ein Herz. Er tritt in den Laden. Der mütterliche Duft des warmen Brotes umhüllt ihn, betäubt ihn. Ganz weinerlich wird ihm zumute. Der dicke Bäcker steht inmitten des Raums, die weiße Schürze um den gewaltigen Bauch, und kommandiert seine zwei Gehilfen, die schweißübergossen die schwarzen Blechplatten mit den frischen Brötchen aus dem Backofen ziehen.

»Könnt ich Ihnen heut vielleicht behilflich sein mit irgendwas, Monsieur Maisongrosse?« fragt Soubirous leichthin. Seine Hand greift dabei in einen der offenen Säcke und läßt wollüstig das Weizenmehl durch die erfahrenen Müllerfinger gleiten. Der Dicke würdigt ihn keines Blickes.