Er hat eine kropfige Stimme: »Was für einen
Tag haben wir heut, mon vieux?« knurrt er. »Donnerstag, Ihnen zu dienen, jeudi
gras...«
»Und
wieviel Tage haben wir noch bis zu Aschermittwoch?« forscht Maisongrosse
weiter, wie ein verschlagener Schulmeister.
»Sechs Tage
sind’s wohl noch, Monsieur«, zögert der Müller.
»Da habt
Ihr’s!« triumphiert der Dicke, als habe er eine Wette gewonnen. »Sechs Tage,
dann ist dieser ganze lausige Karneval zu Ende. Und die Vereine bestellen
sowieso nichts mehr bei mir, sondern bei Rouy. Mit der guten alten Zeit ist es
Wasser. Man geht zum Pâtissier und nicht zum Boulanger. Und wenn das Geschäft
schon im Fasching so aussieht, da könnt Ihr Euch ausrechnen, was die Fastenzeit
bringen wird. Noch heute werfe ich einen von diesen Nichtsnutzen da hinaus...«
François
Soubirous überlegt, ob er den Bäcker rundheraus um ein Brot bitten soll. Lange
würgt er an einem Wort. Er hat aber den Mut nicht. Nicht einmal zum Betteln
tauge ich, geht’s ihm durch den Kopf. Wie ein unzufriedener Kunde rückt er ein
wenig an seiner Mütze und verläßt den Laden.
Um zur
Postmeisterei zu gelangen, muß er nun den Platz überqueren. Cazenave steht
schon höchstpersönlich inmitten seiner Gespanne und Wagen auf dem großen Hof.
Als ehemaliger Sergeant des Trainregiments in Pau ist er ein Frühaufsteher.
Seine Dienstzeit hegt lange zurück, damals regierte noch der fette Bürgerkönig.
Cazenave hörte es nicht ungern, wenn man ihn nachträglich avancieren läßt und
als Offizier anspricht. Er trägt zu jeder Tageszeit hohe Stiefel,
blankgewichst, und eine Reitgerte, mit welcher er die Stiefelschäfte
martialisch bearbeitet. Im violett angelaufenen Gesicht trägt er den
schraubenförmig gedrehten Knebelbart des Kaisers, sorgfältig schwarz gefärbt.
Cazenave ist demgemäß überzeugter Bonapartist, worunter er eine Parteigesinnung
versteht, in der sich »La France« und »Gloire« auf »Progrès« reimen. Seitdem
man eine Bahnlinie von Toulouse über Tarbes und Pau nach Biarritz gebaut hat — der
Kaiser und zumal die Kaiserin Eugénie halten sich oft in Biarritz auf -,
gehn die Geschäfte des Posthalters zu Lourdes noch glänzender als früher. Jeder
Vergnügungsreisende und Kurgast, der die Pyrenäenbäder besuchen will, ist
gezwungen, bei Cazenave haltzumachen. Cazenave ist Herr über alle »Gelegenheiten«,
die teuer oder billig, bequem oder unbequem die Erholungsbedürftigen nach
Argelès, Cauterets, Gavarnie und Luchon bringen. Jetzt ist es freilich noch
sehr weit bis zur Saison. Mit welchen Lockmitteln man diese verlängern und den
Fremdenverkehr heben könnte, das bildet einen unerschöpflichen Diskussionsstoff
zwischen Cazenave und dem ehrgeizigen Bürgermeister von Lourdes, Monsieur
Adolphe Lacadé. — Soubirous hat in seiner Jugend vierzehn Tage beim Militär
gedient, länger hat man ihn nicht behalten. Er deutet also, so gut er kann,
soldatische Haltung an und tritt hin vor Cazenave:
»Guten
Morgen, Herr Postmeister! Wäre eine kleine Arbeit für mich da?«
Cazenave
bläst die Backen auf und stößt mißbilligend die Luft aus.
»Ah, du
bist es wieder, Soubirous? Wirst du denn nie auf gleich kommen, Sapristi? Man
muß seinen Platz ausfüllen. Keinem von uns wird etwas geschenkt...«
»Gott meint
es nicht gut mit mir, Monsieur... Ich hab kein Glück seit Jahren...«
»Unser
Glück kommt von Gott, es ist möglich. Unser Unglück kommt von uns selbst, mein
Freund...«
Die
Reitpeitsche pfeift bekräftigend zu dieser Maxime. Soubirous senkt den Blick:
»Meine
Kinder können gewiß nichts für ihr Unglück.«
Der
Postmeister ruft dem Pferdeknecht Doutreloux einen Befehl zu. Soubirous strafft
sich noch einmal:
»Vielleicht
gibt es doch etwas... mon capitaine...«
Cazenave
wird sogleich wohlwollender:
»Ich helfe
einem alten Krieger immer gern... Heut aber gibt es wirklich nichts...«
Es ist
deutlich wahrzunehmen, wie des Müllers Körper schwer wird. Er wendet sich
langsam zum Gehen.
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