Diese Schneidigkeit war allerdings mehr nur der Mantel für innere Unfreiheit, wie die Zurückhaltung überhaupt, mit welcher er mit seinen Gefähften behandelt wurde, wo er hinkam, während sie gelegentlich entdeckten, daß in ihrer Abwesenheit das breiteste Studium ihrer Personen stattfand. Wenn in diesen Gärten auch hie und da eine Pflanze blühte, die unbefangener und freundlicher dreinschaute, so war auch diese überwacht und sie hütete sich ängstlich, nicht durch die Hecke zu wachsen.

Erwin gab es daher auf, ein Meer von Putz zu befahren, in welchem so wenig persönliche Gestaltung auftauchen wollte, und um sich von den bestandenen Fährlichkeiten zu erholen, machte er längere Ausflüge. Er hielt sich bald in einer der schön gelegenen Universitätsstädte auf, um zugleich die berühmtesten Gelehrten kennen zu lernen und einige gute Studien mitzunehmen; bald machte er sich mit den Orten bekannt, wo vorzüglich die Kunst ihre Pflege fand, und schulte Sinn und Gemüt an dem festlichen Wesen der Künstler. Auf allen diesen Fahrten sah er sich in eine veredelte bürgerliche Welt versetzt, welche, die besseren Güter des Lebens wahrend, sich dieses Lebens mit ungeheucheltem Ernst erfreute. Hier wurden die Kenntnisse und Fähigkeiten mit Fleiß und Ehren geübt, schwärmten und glühten die Frauen wirklich für das, was sie für schön und gut hielten, pflegte jedes Mädchen seine Lieblingsneigung und baute dem Ideal sein eigenes Kapellchen; und weit entfernt, ein aufrichtiges Gespräch darüber zu hassen, wurden sie nicht müde, vom Guten und Rechten zu hören. Dazu brachte der Wechsel der Jahreszeiten mannigfache Festfreuden, die bei aller Einfachheit von altpoetischem Zauber belebt waren. Die schönen Flußtäler, Berghöhen, Waldlandschaften wurden als traute Heimat mit dankbarer Zufriedenheit genossen, wobei sich die Frauen tagelang in freier Luft und guter Laune bewegten; der Waldduft schien ihnen von den Urmüttern her noch wohl zu behagen, und selbst die Bescheidenste scheute sich nicht, einen grünen Kranz zu winden und sich aufs Haupt zu setzen.

Das gefiel dem wackern Erwin nun ungleich besser. Das nähert sich, dachte er, schon eher den Meinungen, die ich herübergebracht habe; es ist nicht möglich, daß diese frohherzigen, sinnigen Wesen inwendig schnöd und philisterhaft beschaffen seien! Auch geriet er ein- oder zweimal dicht an den Rand eines Verhältnisses, wie man gemein zu sagen pflegt. Aber o weh! nun zeigte sich auch hier eine Art von Kehrseite. Es herrschte nämlich durch einen eigenen Unstern, wo er hinkam, eine solche Öffentlichkeit und gemeinschaftliche Beaufsichtigung in diesen Dingen, daß es unmöglich war, auch nur die ersten Regungen und Blicke ohne allgemeines Mitwissen auszutauschen, geschweige denn zu einem Bekenntnisse zu gelangen, welches zuerst das süße Geheimnis eines Pärchens gewesen wäre freien schien nur in großer Gesellschaften zu lieben und zu freien und durch die Menge der Zuschauer dazu aufgemuntert zu werden. Sobald ein junger Mann mehrmals mit dem gleichen Mädchen gesprochen, wurde das Verhältnis festgestellt und zur öffentlichen Verlebung gewaltsam in Beschlag genommen. Diese Art war aber für Erwin wie ein Gift. Was nach seinem Gefühle das geheime Übereinkommen zweier Herzen sein mußte, das sollte gleich im Beginn der allgemeinen Teilnahme zu Verfügung gestellt und das Hausrecht des Herzens, der früheste Goldblick des Liebesfrühlings dahingegeben sein. So wurde er schon vor dem ersten Kapitel seiner Romane zurückgeschreckt und trug nichts davon als den Verdruß von einigen Klatschereien. Das beweist freilich, daß er eine ordentliche Leidenschaft nicht erfahren hatte; sonst hätte er sich durch solche Schwächen, die dem braven Bürgertum hier und da ankleben, nicht vertreiben lassen. Nichtsdestominder empfand er Verdruß und setzte sich, alles aus dem Sinne schlagend, im ausschließlichen Umgange mit Männern fest, die sich aufeinander angewiesen sahen.

Um diese Zeit, es mögen etwa zwölf Jahre her sein, sah ich Erwin Altenauer in meiner damaligen Heimatstadt, wenn man den Sitz einer Hochschule so nennen darf, wo der Vater als Lehrer hinberufen worden ist, sich ein Haus gekauft und die Tochter des Ortsbankiers geheiratet hat. Ich selbst war kaum zwanzig Jahre alt, obgleich schon seit zwei Jahren Student, so daß ich die Gesellschaft des Deutschamerikaners im Hause meiner Eltern und anderwärts zuweilen genoß. Es war ein nicht kleiner fester Mann mit einem blonden Kopf und trug nur neue Hüte, aber stets so, als ob es alte Hüte wären. Nur ein paar Sommermonate wollte er in unserer Stadt zubringen, um namentlich eine gewisse Partie älterer Geschichte anzuhören, die ein berühmter Historiker vortrug, und unter dessen Aufsicht die Urkunden zu studieren.

In einem stattlichen Hause, das indessen nur zwei Familien bewohnten, hatte er bei der einen derselben einige Zimmer gemietet, in denen er nicht ermangelte von Zeit zu Zeit seine Bekannten in der Weise der Junggesellen zu bewirten; sonst aber verbrachte er die Abende gern im fröhlichen Umgange mit gereifteren jungen Leuten verschiedener Nationalität, wie sie, mit Bürgerssöhnen aus gutem Hause vermischt, in solchen Orten sich zusammenzutun pflegen und von der Mützen tragenden Jugend leicht zu unterscheiden sind, wiewohl sie nicht verschmähen, bei derselben zuweilen vorzusprechen.

In jenem Hause, das noch mit weitläufigen Treppen und Gängen versehen war, fiel ihm seit einiger Zeit bei Ausgang und Rückkehr eine Dienstmagd auf von so herrlichem Wuchs und Gang, daß das ärmliche, obgleich saubere Kleid das Gewand eines Königskindes aus alter Fabelzeit zu sein schien. Ob sie das Wassergefäß auf dem Haupte oder den gefüllten Holzkorb vor sich her trug, immer waren Glieder und Bewegung von der gleichen geschmeidigen Kraft und gelassenen Schönheit; alles aber war beherrscht und harmonisch zusammengehalten durch ein Gesicht, dessen ruhige Regelmäßigkeit von einem Zug leiser unbewußter Schwermut veredelt wurde, einem Zug so leicht und rein wie der Schatten eines durchsichtigen Kristalles. Erwin begegnete der schönen Person nicht oft; jedesmal aber, wenn sie mit bescheiden gesenktem Blick still vorüberging, blieb die Erscheinung ihm stundenlang im Sinne haften, ohne daß er jedoch besonders darauf achtete. Eines Tages indessen, als sie auf den Stufen der untern Treppe kniete und scheuerte und er eben herunterstieg, richtete sie sich auf und lehnte sich an das Geländer, um ihn vorbeizulassen; er konnte sich nicht versagen, guten Tag zu wünschen und eine kleine flüchtige Entschuldigung vorzubringen, ohne sich aufzuhalten. Aber in diesem Augenblicke schlug sie ihr Auge groß und schön auf, und ein so mildes halbes Lächeln schwebte wie verwundert um die ernsten Lippen, daß das Bild der armen Magd nicht mehr aus seinen Sinnen verschwand, so zwar, wie wenn einer etwas Gutes weiß, zu dem seine Gedanken jedesmal ruhig zurückkehren, sobald sie nicht zerstreut oder beschäftigt sind. Sonst begab oder änderte sich weiter nichts, als daß er sie gelegentlich nach ihrem Namen frug, der auf Regine lautete.

Eines schönen Sonntags, den er im Freien zugebracht, kehrte er spät in der Nacht nach seiner Wohnung heim, mit langsamen Schritten und wohlgemut die Sommerluft genießend. Da und dort schwärmten singende Studenten durch die Gassen, in welche der helle Vollmond schien; vor dem Hause aber, das er endlich erreichte, befand sich ein ganzer Trupp dieses mutwilligen Volkes und umringte eine einsame Frauensperson, die sich an die Haustüre drückte. Ich kann den Auftritt beschreiben, denn ich stand selber dabei. Es war Regine, die auf der runden Freitreppe, drei bis vier Stufen hoch, mit dem Rücken an die Türe gelehnt, dastand und lautlos auf die sehr angeheiterte Schar herabschaute. Sie hatte von ihrer Herrschaft die Erlaubnis erhalten, die Eltern in dem mehrer Stunden entfernten Heimatdorfe zu besuchen, bei der Rückkehr aber die Fahrgelegenheit verfehlt und den Weg in die Nacht hinein zu Fuß zurücklegen müssen. Allein auch die Herrschaft war auf eine Landpartie gegangen und noch nicht zurück, und da Regine keinen Hausschlüssel bei sich führte und überhaupt niemand im Gebäude auf die Glocke zu hören schien, die sie schon mehrmals gezogen, so fand sie sich ausgeschlossen und mußte die Ankunft anderer Hausbewohner abwarten. So fiel sie ihrer Gestalt wegen den jungen Taugenichtsen auf, die nicht säumten, sie zu umringen und mit mehr oder weniger feinen Artigkeiten zu belagern.