Eben sprach Prinz Bernhard und erzählte, daß sie im Januar wieder ein Kindchen erwarten. Hier ist man erstaunt über meine Anhänglichkeit ans holländische Königshaus.
Vor ein paar Tagen haben wir darüber gesprochen, daß ich noch viel lernen müßte, und die Folge ist, daß ich mich nun doppelt dahinterklemme. Ich habe keine Lust, später noch mal von vorn anzufangen. Es kam auch zur Sprache, daß ich in der letzten Zeit nichts Ordentliches gelesen habe. Mutter liest gerade »Heeren, Vrouwen, Knechten«. Das soll ich nun wieder nicht lesen, dazu muß ich erst so gebildet sein wie meine kluge, begabte Schwester. Wir haben auch über Philosophie, Psychologie und Physiologie gesprochen (diese schwierigen Ausdrücke habe ich erst mal nachgeschlagen), wovon ich noch so gut wie nichts weiß. Hoffentlich bin ich im nächsten Jahr schon ein gutes Stück weiter! Mit Schrecken habe ich plötzlich festgestellt, daß ich für den Winter nur ein Kleid mit langen Ärmeln und drei Westen habe. Vater hat erlaubt, daß ich mir einen Pullover von weißer Schafwolle stricke. Die Wolle ist zwar nicht mehr schön, aber die Wärme ist die Hauptsache. Wir haben eine ganze Menge Kleidung bei anderen Leuten, aber die kann man erst nach dem Krieg zurückholen, wenn dann noch was da ist.
Gerade als ich das letztemal etwas von Frau v. Daan schrieb, kam sie ins Zimmer. Ich klappte natürlich sofort das Buch zu.
»Na, Anne, darf ich mal hineinsehen?«
»Nein, Frau van Daan!«
»Nur die letzte Seite?«
»Nein, auch nicht!«
Ich bekam einen Todesschrecken. Auf dieser Seite eben war sie ziemlich schlecht weggekommen.
Anne
Freitag, 25. September 1942
Liebe Kitty!
Gestern war ich wieder oben bei v. Daans »zu Besuch«,
um ein bißchen zu schwatzen. Mitunter ist es da sehr nett. Wir aßen dann »Motten-Keks« (die Keksdose stand im Kleiderschrank, der gut eingemottet ist!) und tranken Limonade dazu.
Wir sprachen über Peter. Ich erzählte, daß er mir manchmal zu dicht auf die Pelle rückt und mir das nicht gefällt, da ich Jungens, die »handgreiflich« werden, nicht leiden kann. Wie Eltern so sind, fragten sie, ob ich nicht doch mit Peter näher Freundschaft schließen wollte, da er mich sicher sehr gern hat. Ich dachte »Oje!« und sagte »O nee!«. Peter ist scheu und verlegen wie alle Jungens, die sich noch nicht viel mit Mädchen abgegeben haben.
Die »Tauch-Kommission« im Hinterhaus ist wirklich sehr erfinderisch. Hör nur, was die Herren sich jetzt wieder ausgedacht haben! Sie wollen gern, daß Herr van Dijk, ein guter Bekannter von uns und Hauptvertreter der »Travis« der übrigens auch viele Sachen von uns aufbewahrt - eine Nachricht über uns bekommt. So haben sie an einen Drogisten in Zeeuwsch-Vlaanderen einen Brief geschrieben mit einer Anfrage und einen Briefumschlag eingelegt, den dieser Kunde zur Antwort benutzen solle. Die Adresse darauf - also unsere Geschäftsadresse - hat Vater mit der Hand geschrieben. Wenn dieser Brief zurückkommt, wird die Antwort des Drogisten herausgeholt, ein von Vater geschriebener Brief hineingelegt, und so wird van Dijk ein Lebenszeichen von Vater sehen. Sie haben gerade Zeeland gewählt, weil es dicht an der belgischen Grenze liegt und der Brief leicht hinübergeschmuggelt sein kann.
Anne
Sonntag, 27. September 1942
Liebe Kitty!
Krach mit Mutter gehabt zum so und so vielten Male in der letzten Zeit! Wir verstehen uns oft nicht, und auch mit Margot bin ich nicht mehr so intim. In unserer Familie werden niemals solche Szenen vorkommen wie oben, aber ich finde den Zustand gar nicht schön. Ich habe eine ganz andere Natur als Mutter und Margot.
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