»Der hat nicht weit weg eingeschlagen… Es war Zeit, hier ist man besser aufgehoben als auf der Straße, was?« Und er ging zur Tür zurück, die er geräuschvoll schloß, den Schlüssel zweimal umdrehend, während sie mit verstörter Miene zuschaute, was er da tat. »So, nun sind wir zu Hause.«

Übrigens war das das Ende des Gewitters, es waren nur noch ferne Donnerschläge zu vernehmen, bald hörte die Sintflut auf.

Ihn beschlich jetzt ein Unbehagen, und er musterte sie mit einem scheelen Blick. Sie war anscheinend nicht übel, und todsicher jung, höchstens zwanzig Jahre. Das machte ihn vollends mißtrauisch, obwohl ihn ein unbewußter Zweifel, ein unbestimmtes Gefühl überkam, daß sie vielleicht doch nicht in allem log. Auf jeden Fall, mochte sie noch so durchtrieben sein, sie täuschte sich, wenn sie glaubte, sie habe ihn. Er übertrieb sein mürrisches Gebaren noch, er sagte mit grober Stimme:

»Na, gehen wir schlafen, da werden wir trocken.« Vor Angst stand sie auf. Auch sie musterte ihn, ohne ihm ins Gesicht zu sehen, und dieser hagere Bursche mit den knorrigen Gliedern, mit dem mächtigen bärtigen Kopf machte ihr noch mehr angst, als sei er einem Räubermärchen entstiegen, mit seinem schwarzen Filzhut und seinem alten kastanienbraunen Überzieher, auf den schon so viele Regenfälle niedergegangen, daß er ganz grünlich geworden war. Sie murmelte:

»Danke, ich fühle mich wohl so, ich schlafe angezogen.«

»Wieso angezogen, mit diesen pitschnassen Kleidern! – Stellen Sie sich doch nicht so an, ziehen Sie sich sofort aus.« Und er riß die Stühle um, schob einen halbzerfetzten Wandschirm beiseite.

Dahinter erblickte sie einen Waschtisch und ein ganz kleines eisernes Bett, von dem er die Fußdecke wegnahm.

»Nein, nein, mein Herr, machen Sie sich keine Umstände, ich schwöre Ihnen, daß ich dabei bleibe.«

Auf einmal wurde er zornig, fuchtelte herum und schlug mit den Fäusten um sich.

»Lassen Sie mich endlich in Ruhe! Wenn ich Ihnen mein Bett zur Verfügung stelle, was haben Sie da noch zu jammern? – Und tun Sie bloß nicht schüchtern, das ist zwecklos. Ich, ich schlafe auf dem Diwan.« Mit drohender Miene war er auf sie zugetreten.

Von Furcht gepackt, weil sie glaubte, er wolle sie schlagen, setzte sie zitternd ihren Hut ab. Es tropfte aus ihren Röcken auf den Fußboden.

Er schimpfte weiter. Jedoch schienen ihm einige Bedenken zu kommen, und wie ein Zugeständnis entfuhr es ihm:

»Damit Sie Bescheid wissen, wenn Sie sich vor mir ekeln, kann ich ja die Bettücher wechseln.« Schon riß er die Bettücher heraus, er schmiß sie auf den Diwan am anderen Ende des Ateliers. Dann zog er eine Garnitur aus dem Schrank, und mit der Geschicklichkeit eines Junggesellen, der an diese Verrichtung gewöhnt ist, machte er selber das Bett. Mit sorgfältiger Hand stopfte er die Ränder der Decke an der Wandseite unter die Auflegematratze, klopfte das Kopfkissen zurecht und schlug die Bettücher auf. »So, nun können Sie heia machen!«

Und da sie nichts Sagte, immer noch reglos dastand und mit ihren verstörten Fingern über ihr Mieder fuhr, ohne sich überwinden zu können, es aufzuknöpfen, schob er den Wandschirm hinter ihr wieder zu. Mein Gott! Was für ein Getue.

Rasch legte er sich selber hin: kaum waren die Bettücher auf dem Diwan ausgebreitet, seine Kleidungsstücke an einen alten Kleiderständer gehängt, da hatte er sich auch schon auf dem Rücken ausgestreckt. Aber als er die Kerze ausblasen wollte, fiel ihm ein, daß die Fremde dann nicht mehr deutlich sehen könnte, und so wartete er. Zuerst hatte er nicht einmal gehört, daß sie sich bewegte: zweifellos war sie stocksteif auf derselben Stelle dicht an der eisernen Bettstelle stehen geblieben. Denn jetzt vernahm er ein leises Stoffgeräusch, langsame und fast lautlose Bewegungen, als habe sie sie zehnmal geübt und als lausche auch sie in der Unruhe dieses Lichtes, das nicht erlosch. Nach langen Minuten knarrte schwach die Sprungfedermatratze; große Stille trat ein.

»Liegen Sie bequem, Mademoiselle?« fragte Claude mit sehr viel sanfterer Stimme.

Sie antwortete mit einem kaum vernehmbaren, vor Erregung noch zitternden Hauchen:

»Ja, mein Herr, sehr bequem.«

»Also dann gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Er blies das Licht aus, noch tieferes Schweigen sank herab. Trotz seiner Müdigkeit öffneten sich seine Lider bald wieder, schlaflos starrten seine Augen in die Luft, auf das Oberlicht. Der Himmel war sehr klar geworden, Claude sah in der glühenden Julinacht die Sterne funkeln; und trotz des Gewitters blieb die Wärme so stark, daß ihm brennendheiß war, obwohl seine nackten Arme auf der Bettdecke lagen.