(Zu Frau Boll:) Merkwürdig, wie geläufig mir die Unterhaltung mit dieser Hexe wird, hast du eine Erklärung dafür?

Grete (von hinten); Boll, ich hör sie wieder.

Boll: Ich nicht, Grete.

Grete (hinten): Wieder was die Satansfrau sagte. Ich habe gebeten und geweint, aber sie sagte, er soll sich selbst richten – aber von mir sollst du Verzeihung haben.

Boll: So, so, also weiß ich Bescheid.

Grete kommt zurück.

Frau Boll (will sprechen).

Boll: Ganz richtig, Martha, so ist es, genau so.

Frau Boll: Aber ich habe doch nichts gesagt!

Boll: Was macht das aus, du bist immer im Recht, das wußte ich voraus – hätte dir aber doch das Wort nicht abschneiden sollen – nicht böse werden, hörst? (Er legt den Arm um sie, faßt zugleich Grete unter und macht mit Beiden im Gang Schritte hin und her, steht dann vor dem Apostel still.) Seht, Kinder, den alten Griesgram – 120 vorhin, da wollte ich bange werden vor seiner hölzernen Grandezza, aber jetzt steh ich mit seltsamer Pomadigkeit vor ihm. Dir kann ich die Zähne zeigen, du mit deiner Maultasche voll Stillschweigen und kann dich auslachen, da sag, was du willst, du verbissenes Stück Zahnlosigkeit. Sagt er was, Martha, hörst du was, Grete? Was ich am Leben gehabt habe, das hab' ich gehegt, habs gehegt wie mirs gegeben war und was daraus geworden ist – einerlei – gemußt, gemußt, Boll hat so gemußt. – – – Kinder, er schüttelt den Kopf, siehst du, Martha, nein, wahrhaftig, er weiß es besser. Nun gut, so seht ihn nochmal an: was Dürres durch und durch, aber nichts Verdorbenes, auch er hat seines Müssens Fasson, hat auch so gemußt, hat auch gemußt. Was sagst du, Martha?

Frau Boll: Willst du, daß die Scham mich umbringt? Ich vergehe, wenn du mich nicht aus dieser Hölle entläßt. Ich schreie, Kurt!

Boll: Nicht schreien, Martha, und noch mehr tun als nicht schreien, gut zu ihr sollst du sein – und nichts von schämen!

Frau Boll: Ich muß schreien, ich werde schreien.

Boll: Martha, bedenk, wie sehr sie es um uns verdient hat, das mußt du, bedenken mußt du – und darum sollst du ihr die Hand küssen und das ists, was du ihr erzeigen mußt. Sie verzeiht, das ist ihr Teil, und du mußt sie ehren, das ist dein Teil – die Hand geküßt und sie dann betulich an den Wagen gebracht. So ist die Ordnung, die ich will.

121 Frau Boll (redet weinend unverständliche Worte).

Boll: Dennoch, dennoch, du hast Recht, aber doch! Warme Gewalt, himmelweit her, ist am Werk. Stand, sagst du? Gutsbesitzerin, sagst du? Und so weiter, sagst du? Ich sage dir, du bist Bolls Frau und Bolls Stand hat ein oberes und ein unteres Ende. Wir sind am unteren Ende. Dir in deinem sauren Beharren kann der Zucker der Demut zum süßen Werden verhelfen – schüttel dich, wach auf! (Schüttelt sie.)

Frau Boll (von Boll zu ihr gedrängt, nimmt Gretes Hand und beugt sich über sie).

Der Herr von hinten.

Boll (ohne sich umzusehen): Wie gehts Otto?

Herr: Gut, so gut wie sonst nie, Herr Boll. Ihr Herr Vetter ist dem zweiten, ganz leisen Wink einer sanften Hand ohne Mühe gefolgt – es geschah mit der gelassensten Leichtigkeit, wie ein bereitwilliges Lächeln auf eine leichtverständliche Anspielung folgt – – –

Boll: Also, also! Mir wird schwarz vor den Augen (macht sich los, schiebt die Frauen sanft hinaus). Tu es, vollend es, Martha, führ sie zum Wagen und hilf ihr – es geschieht für mich, und was du für mich tust, tust du für dich.

Frau Boll und Grete ab.

Boll (zum Herrn): Hat sanft gewinkt, die Hand, und Ottos zitternde Rechte ward wieder sicher? Wie die Veränderungen sich hetzen – schon bei mir hat ein ganz hübscher Trieb angesetzt, bei Otto ist das Werden 122 ja förmlich in Saat geschossen. – So danke ich Ihnen für alle Sorge – – – ich danke, bedarf weiter keiner Hilfe (winkt ungeduldig nach der Tür).

Herr: Nur nach Ihnen, Herr Boll!

Sie sehen sich an, Boll verbirgt mühsam seine Verwirrung.

Herr: Und wie steht es mit Ihnen? Vielleicht liegt es nur an der Anschaulichkeit Ihrer meisterlichen Ausmalung eines Sturzes heute Nacht, daß mir zu fragen beifällt . . . .

Boll: Ach, Unsinn, wer wird sich um so was noch am nächsten Morgen kümmern!

Herr: Und doch – was bleibt Ihnen, wenn Sie es recht bedenken, was bleibt Ihnen zu tun übrig? Und zögern Sie, so wird überhaupt nichts damit, das sage ich Ihnen voraus – in zwei, drei Minuten ist es geschehen.

Boll: Zwei – drei – na, hören Sie mal, was für zwei, welche drei!

Herr: Je mehr Worte, je mehr Aufschub, desto mehr Qual. Ihr Atem, Herr Boll, reicht kaum, sich hoch genug hinauf zu kämpfen. Ich höre Ihre Brust pfeifen, Ihr Odem quält sich aus und ein und muß Sie doch mindestens bis zum ersten Fenster tragen. Wie hieß es noch heute Nacht – ein Lüftchen fährt nieder und das Pflaster rot von Bollschem Blut?

Boll (setzt sich): Ganz richtig, so sollt es kommen, so sah ichs voraus – mein Atem . . . .

Herr: Ihr Atem hat eine glänzende Schilderung ihres Sturzes geleistet – der Sturz selbst . . . .

123 Boll: Wir – werden – uns – arrangieren, mein Atem und ich. Ich danke Ihnen und so ists gut – die Tür ist doch auf?

Herr: Ich geh lieber nach Ihnen, habe Zeit und möchte Ihren Absichten förderlich und dienstlich sein. Wartens Sie's nicht ab, mit jeder Sekunde des Zögerns wirds schwerer.

Boll (springt auf); Herr, was für ein ausgelernter Satan sind Sie, welche Dreistigkeit maßen Sie sich an!

Herrr Also wären Sie wieder bei Kräften, wie man sieht, nützen Sie also den frischen Moment, kümmern Sie sich im geringsten um das Nichts, das ich herweise, Herr Boll, Herr Boll!

Boll (keuchend auf ihn zu): Es reicht noch, o, es langt. Sie sollen merken, wozu! (Schüttelt ihn.)

Herr: Schön, ich bin gestraft, es hat gereicht, aber es kostet Sie, fürchte ich, das letzte bißchen Kraft. Werden Sie es noch vollbringen können?

Boll (lehnt sich an, faßt sich): Gedenken wir nun wieder der Gesetze der Höflichkeit, überbieten wir uns – also – nach Ihnen! (Winkt nach der Tür.)

Herr: Die Zeit ist abgelaufen – zu spät, Herr Boll, wie ja alles seine Zeit hat. Das Werden, wissen Sie, das vom Turm herab, dieses primitive Werden, ist verpaßt. Fängt man vernünftiger Weise mit enden an –?

Boll: Aber wieso konnten Sie sich erkühnen, sich abringen, oder – sich aufschwingen, wenn Sie wollen, mich so unerhört zu nötigen?

124 Herr: Pst! Ich habs im Vertrauen gewagt, im Vertrauen auf den andern Boll, den Boll, der über dem alten steht und über ihn hinaus zum Anfang strebt, der das enden verwirft und verbietet. Sie wissen, was ich meine, und daß ich Recht habe zu sagen: Boll hat mit Boll gerungen, Boll hat Boll gerichtet und er, der andere, der neue, hat sich behauptet.

Boll: Boll hätte Boll gerichtet – und meinen Sie, ich könnte noch weiterleben?

Herr: Weiter? Nein, gewiß nicht, aber von frischem. Es ist erwiesen – Sie müssen, Boll muß Boll gebären, und was für einer es sein wird – es ist bessere Aussicht auf Werden als mit dem Schwung vom Turm herab. Gute Aussicht – denn es ist Schwere und Streben in Ihnen, Leiden und Kämpfen, lieber Herr, sind die Organe des Werdens. – Schon ist Ihr Atem ruhig und gleich und wird reichen, verspreche ich Ihnen, zu einem gedeihlichen Kämpfen und wird Kraft haben zu tragen. Boll wird durch Boll – und Werden, Herr, Werden vollzieht sich unzeitig, und Weile ist nur sein blöder Schein. Dies alles sei Ihrer Einsicht unterbreitet, und mehr ist vom Übel. (Ab.)

Boll (stürzt die Arme um sich schlagend auf die Knie, hebt dann langsam den Kopf und sieht zu dem Apostel hinauf): Sagtest du das? Hast den Mund so lange zugehalten, um das Wort gar zu machen? Boll muß? Muß? Also – will ich!

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