(Beide ab.)
Bürgermeister: Also, Herr
Boll, was macht die Frau Gemahlin – und selbst?
Boll: O, soweit . . . sehen Sie,
danke, Herr Bürgermeister,
aber . . . .
Bürgermeister: Aber?
Boll: Was für eine
unerhörte Wirtschaft ist das, Herr Bürgermeister, ich
erkläre Ihnen feierlich und aufrichtig, es frißt mich
hohl und schabt mich inwendig wund, daß das so und nicht
anders ist. Unerhört, Herr Bürgermeister!
Bürgermeister: Es tut mir
wirklich leid, Herr Boll, daß es so ist, so und nicht anders;
und besonders, daß ich oder ein anderes Glied der
städtischen Verwaltung dessen verantwortlich scheinen.
Boll: Gewiß, Herr
Bürgermeister, einer muß die Schuld bekommen – also
Sie! Welch eine haarsträubende Sinnlosigkeit!
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Bürgermeister: Ich bin Ihnen von
Herzen erkenntlich für Ihre Offenheit – aber die Sache
selbst, wenn ich bitten darf?
Boll (mit blau
anschwellendem Gesicht): Eine verdammte und unentschuldbare,
sinnlos verfahrene Sache ist die Sache selbst. Ist »sinnlos
verfahren« entschuldbar, wie? Kann man eine sinnlose Sache,
eine verpfuschte, verteidigen? Das wäre eine nette
Fürsprache!
Bürgermeister: Ich hoffe,
daß sich für eine so unbestreitbar bedenkliche Sache kein
Verteidiger, wenigstens in unserer Stadt nicht, finden wird.
Boll: Schlimm, schlimm!
Bürgermeister: Zweifellos,
aber welches wäre am Gesamten dieser bedauerlichen Sache der
Teil, mit dessen Vorhandensein eine Schuld meinerseits verbunden
wäre?
Boll: Teil? Ja, sehen Sie, ich geh
heut aufs Ganze – Teil hin, Teil her, lassen wir die Teile!
Wie? – Geht es mit rechten Dingen zu, Herr
Bürgermeister? Besser gelebt als gestorben, das ist die Sache!
Wie abscheulich unangebracht ist die Kreatur in diesem Dasein
– wie ist sie ins Kälberleben hineingebracht –
gefragt etwa, mit ihrem Einverständnis? Kälberleben
– wieso? Gehts uns nicht gut – o, sehr gut, besser,
noch besser und noch immer besser – und plötzlich, was
seh ich – es will nicht noch und immer noch besser werden,
sondern schlimm und schlimmer und noch schlimmer! Was für eine
schäbige Ungehörigkeit und – sehen Sie, Herr
Pastor, 16
welche Falle schnappt mit geölten Gelenken und scharfen
Kiefern nach unserm Fleisch und Bein! Schwapp, und wir müssen
stillhalten. Erst gut gelebt, zu gut, und
dann . . . . na, so stehts!
Bürgermeister: Ich verstehe
völlig, Herr Boll, Sie tun einen Blick und schweifen ins Weite
mit Ihren ahnenden Organen.
Boll: Was kann der Gutsbesitzer
Boll dafür, daß Boll ein Gutsbesitzer ist? Er ist
ungefragt, un–ge–fragt, ob er Gutsbesitzer Boll werden
wollte. Eine Dreistigkeit gradezu, den Gutsbesitzer Boll zum
Gutsbesitzer Boll zu machen – denn, was hat er davon, Herr
Pastor? Sich selbst als Herrn, weiter nichts, und wie kann der
Diener seiner selbst mit solchem Herrn zufrieden sein?
Bürgermeister: Ja, ja.
Boll (lacht): Mag er zusehen, Herr Sanitätsrat!
Nicht wahr, sagten Sie nicht: Boll trinkt, Boll spielt, Boll sitzt
unermüdlich und thront gewaltig auf der Majestät seiner
vier Buchstaben, Boll wird gut Freund ausgerechnet mit seinem
Feind, dem verkehrten Leben?
Bürgermeister: Wie Boll ja
wohl auch seine Stärke lahm geritten hat und muß nun auf
seiner Schwäche voran kommen . . . .
Boll: Ganz recht, Boll hat seine
Hirsche abgeschossen und knallt mit der Flinte in den leeren
Wald . . . . überhaupt: Boll hat Boll beim
Kragen, vor ihm nichts als Magerkeit seiner guten Aussichten, vor
ihm Alles, ausgenommen das Gute, das Willkommene, das Freundliche
17 –
nichts als Teufelskram – mag er zusehen, wie er damit fertig
wird! (Präsentiert Zigarren) Marke
Sargnagel!
Bürgermeister (lehnt ab): Auch Sie, Herr Boll, sollten sich des
starken Rauchens enthalten!
Boll: Wieso sollte? Heißt es
nicht: Boll muß?
Bürgermeister: Herr Boll, ich
bin, obgleich Sie die Kosten der Unterhaltung bestritten haben,
ganz außer Atem. Mein Interesse an
Ihnen . . .
Boll: Boll bringt Boll um –
können Sie das hindern?
Bürgermeister: Aber vielleicht
könnte er selbst es hindern? Herr Gutsbesitzer Boll, ein
Antrieb freimütiger Herzlichkeit hilft mir, Ihnen zu sagen,
daß allerdings anscheinend Boll Boll umbringt; aber warum,
verehrter Herr, ist der eine dieser Beiden ein schädlicher
Boll – könnte er nicht ein solcher sein, der für
Boll alle erfreulichen Möglichkeiten der kommenden Jahre wie
ein guter, ehrlicher Advokat erlistet, der ihn mit gewiegter
Sorglichkeit schirmt – könnte Boll nicht gradezu der
beste Helfer Bolls sein?
Boll: Da kommt meine Frau, Herr
Bürgermeister, überlassen wir Boll sich selbst, mag er
zusehen, wie ich, glaube ich, schon mal sagte.
Bürgermeister: Die
Stadtverordneten warten, Punkt elf Uhr ist Sitzung, Herr Boll, ich
empfehle mich (ab).
Frau
Boll aus dem Laden.
Frau Boll: Kaum, daß wir eine
halbe Stunde . . . Kurt, hörst du auch?
18
Boll (sieht nach
der Uhr, nickt).
Frau Boll: Und schon zu Anfang die
Hetze ohne Ende. Mir ist doch, als könnte es nicht länger
her sein – oder was denkst du?
Boll: Ich gehe was zu Grotappel,
ein Stündchen oder zwei, gehst du mit?
Frau Boll: Ich weiß nicht, wie
du mir vorkommst, Kurt!
Boll: Ach was, ich muß mir Mut
antrinken. Die Schose mit Vetter Prunkhorst wird weitläufig
– also Mut antrinken! Weißt du, es ist noch ein
Glück, daß ich dazu wenigstens Kurage habe. Wer so viele
festliche Jahre hinter sich hat, sollte Feierabend machen
dürfen und sich an völliger Festivitätslosigkeit
berauschen.
Frau Boll (bestürzt): Ja, wie soll ich denn in
Gemütsruhe meine Besorgungen machen, wenn ich immer denken
muß . . . was meintest du eigentlich, als du
gestern Abend wie aus der Pistole geschossen sagtest: Jeder ist
sich selbst der Nächste, besonders auf einem Gut, wo man
stundenweit keine Nachbarn hat – oder so? Ich, sagtest du
dann, ich möchte so Einer nicht sein. Sag selbst, ob man dabei
nicht stutzig werden kann! Erst sprichst du offenbar von dir, dann
sagst du, ich möchte in seiner Haut nicht stecken – was
hat das bloß zu bedeuten?
Boll: Gar nicht, gar nicht
möchte ich, ganz und gar nicht!
Frau Boll: Mir wird ganz
schwindelig, denn, was ist 19 das nun wieder für eine Antwort! Ich
möchte aufrichtig wissen, wie du zu den immer neuen Methoden
kommst, um mich zu quälen.
Boll: Es kann sich gar nicht besser
treffen, als es sich trifft.
Frau Boll: Trifft? Was trifft?
Boll: Sieh mal, Martha, wie der
Turm hochsteigt und steigt, und steigt wieder nicht. Aber er hat im
Nebel eine so verschwommene Perspektive, daß man denkt, er
macht mit seiner Spitze einen kleinen Spaß, drückt sich
oberwärts aus der Sicht – mir ist wohl wie ihm, denn ich
glaube bestimmt, ihm ist wohl.
Frau Boll: Kurt, ich erschrecke
mich so leicht – sagtest du nichts von dem dummen Schwindel,
hast du nicht doch wieder etwas Blutandrang?
Boll: Wozu auch – was sollte
ich mich ausgerechnet mit sowas abgeben!
Frau Boll: Ach Gott, was ist das
nun wieder für eine Antwort, man kann auf seltsame Gedanken
kommen.
Uhrmacher Virgin geht vorbei, schließt die
Kirchentür auf, tritt ein und läßt die Tür
angelehnt. Beide sehen flüchtig hin.
Boll: Der seltsamste Gedanke ist
wohl der, daß man in manchen Fällen gar nicht bestimmt
weiß, ob der Gedanke seltsam oder gewöhnlich ist. Zum
Beispiel!
Frau Boll: Hör auf, Kurt, ich
hab noch so viel zu besorgen. Also, Kurt, . . . wo
hab ich bloß meinen Zettel, kannst du mir nicht suchen helfen
– ach richtig, da ist 20 er schon, na, Gott sei Dank! Also, Kurt,
spätestens zu vier in der goldenen Kugel zum Essen.
(Sie gibt dem Wort Essen eine kreischende
Betonung.) Prunkhorstens sind sicher schon um drei da, denk
daran, nun muß ich aber
wirklich . . . . .(ab).
Boll: Denk daran? Schön, aber
auf seltsame Art (sieht in die Luft).
Die Luft hats in sich, die Luft holts her, die Luft gibts heraus
– (lacht) mir ist lange nicht so
wohl gewesen. Schwindel? Mir war doch, als sagte Jemand was von
Schwindel – hat jemand was von Schwindel gesagt?
Grete Grüntal,
sonntäglich geputzt, ein buntes Tuch überm Kopf, kommt
und sieht im Vorbeigehen Boll dreist
ins Gesicht. Boll greift in die
Brusttasche, holt die Zigarrentasche hervor, nimmt eine lange,
dicke Zigarre und steckt an, während er Grete mit den Augen
folgt.
Boll (sieht
sich um): Da hinaus gehts zum
Sanitätsrat . . . . also kehrt marsch!
(kehrt um und schickt sich an, Grete zu folgen,
als sie schon zurückgeeilt kommt und schnell vorbeigeht. Ihr
folgt Grüntal und legt eine Hand
auf ihre Schulter.)
Grüntal: Dauert schon 'n
büschen lang, Grete, daß du aus bist und spazieren,
Grete.
Grete (will
weiter, da legt er auch die zweite Hand auf sie und wendet sie
herum)
Grüntal: Nach Parum, Grete,
hast woll vergessen, daß wir nach Parum gehen, und nach Parum
gehts da, Grete – gradaus.
21
Boll (schiebt ihn
beiseite, er kehrt sich um, sie sehen sich an, Grete schlüpft
in den Laden).
Grüntal: Herr – oder was
Sie eigentlich sind!
Boll (schwenkt
die Zigarre): Hände weg, wissen Sie, Hände von der
Frau – weiter ist nichts los.
Grüntal: Wo das doch meine
eigene Frau ist!
Boll: Grade, grade – grade
die Hände weg, grade weils Ihre eigene Frau ist!
Grüntal (sieht um sich, läßt von Boll ab und läuft
um die nächste Ecke).
Grete (kommt
heraus, sieht ihn fragend an).
Boll (zeigt mit
der Zigarre): Ja – werden gesucht.
Grete: Kann ich mich einerwo
verstecken?
Boll (weist auf
die Kirchentür): Der Turm steht offen – brauchen
bloß gegen die Tür zu drücken.
Grete (schlüpft ins Portal).
Grüntal (zurück): Wo is sie, wo kann sie einmal
abgeblieben sein?
Boll (zeigt in
die andere Richtung, Grüntal läuft davon).
Boll (wirft die
Zigarre weg): Man kann nicht für alles aufkommen. Wenn
sie absolut aufbrennen will, muß sie sich einen andern Raucher
suchen. Also zum Sanitätsrat prinzipiell nicht, zu Grotappel
wohlweislich nicht – aber zum Turm und abermals zum Turm!
(Ab in den Turm.)
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Zweites Bild
25 Enger Raum in halber Höhe des Turms. Man
sieht nach hinten ins Dunkel des Kirchendachs, links mündet
die schmale Wendeltreppe von unten, rechts in der Mauer gehts
weiter nach oben.
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