. . also glauben
Sie's oder glauben Sie's nicht: die Treppe, hopp, hopp,
rabgehüpft, getanzt, gefedert, und ein richtiges
Satanshinterviertel daran – glauben Sie's oder glauben Sie's
nicht!
Ein Bürger: Haben Sie das
selbst gesehen – ich meine bei klarem Verstande?
Holtfreter: Lauf ich die
Straßen auf und ab, um mir Bewegung zu machen, oder leb ich
von meiner Hantierung, he? Bin ich als ehrlicher Mann renommiert
oder nicht? Bin ich nicht in strengen Berufsgeschäften den
gereckten Vormittag auf den Beinen?
Grüntal biegt um die Ecke.
Holtfreter: Ist die
Möglichkeit, Grüntal – immer noch in Sternberg?
Hast das Bein woll einerwo laufen sehen?
Grüntal: Hast du Grete
nirgends getroffen?
Holtfreter: Ach, richtig –
Grete! Nee, was soll die auch woll hier wollen, die ist längst
zurück nach Parum.
Grüntal: Na, und dein Bein,
Onkel Holtfreter, dein Teufelsbein, is auch längst wieder in
deiner Werkstatt und hat sich auf sein ein Hinterviertel hingehockt
– meinst, es wird sich den ganzen Morgen von den Sternberger
Hunden hetzen lassen? (Gehen abseits und stehen
herum.)
40 Frau
Boll, gefolgt vom Kutscher Saugwurm, der mit Paketen beladen ist.
Frau Boll: Beim Sanitätsrat
ist er auch nicht gewesen, Grotappel weiß von nichts –
laufen Sie doch schnell mal bei Ohls vor, Saugwurm, nicht? Und
sagen Sie, daß Prunkhorstens schon lange zur Stelle sind
– wollen ja so bald wie möglich essen, nicht? Gehn da
gleich linker Hand durch die Armsünderstraße, hören
Sie, nicht?
Saugwurm ab. Boll kommt von der anderen Seite.
Boll: Da bist du ja, Martha,
wartest du auf jemand?
Frau Boll: Na, Kurt, überall
hab ich dich nachgefragt – und keinerwo bist du, wo soll man
denn noch suchen, wenn du nirgends bist?
Boll: Wenn ich nirgends bin, bin
ich ja überhaupt nicht, Martha – hab mich verlaufen, das
ist das Ganze.
Der Bürgermeister kommt.
Bürgermeister: Sehen Sie, Herr
Boll, wie gut, daß wir uns noch einmal
begegnen . . . guten Tag, gnädige Frau, haben
Sie eine Sekunde Geduld? Wir Geschäftsleute, nämlich
– und so weiter!
Frau Boll: Wenn Sie ihn nicht ums
Essen bringen wollen, Herr Bürgermeister, und mich und Andere
dazu, recht gern soweit – nehmen Sie ihn geliehen, aber
verstehen Sie, nicht, wir müssen doch essen!
Bürgermeister: O, nur eine
Beiläufigkeit, nur eine Erinnerung – also Herr Boll, das
hätte ich heute morgen nicht vergessen sollen, das Abkommen
wegen des Bullen 41 muß baldmöglichst bereinigt werden.
(Inzwischen kommt Grüntal, Boll ins Auge
fassend, langsam heran.) Wenn Sie also den Herrn von der
Weidedeputation, oder doch Herrn Stadtrat Nußboom entweder
eine schriftliche . . . oder besser wäre es
natürlich, Sie setzten sich mündlich miteinander in
Verbindung.
Grüntal (zu Boll): Wenn Sie nich derselbe Herr sind,
Herr . . .
Boll: Gewiß, Herr
Bürgermeister, ich bitte Sie bloß . . .
vielleicht erlauben Sie, daß ich Sie bis zur nächsten
Ecke bringe. (Gehen zusammen, Grüntal
folgt.) Ich hätte möglicherweise noch heute
Gelegenheit, Herrn Stadtrat Nußboom in seinem Amtszimmer
aufzusuchen. (Zu Grüntal): Schon
gut, Sie kommen später an die Reihe – haben im
Augenblick Geschäfte. Also, Herr Bürgermeister!
Bürgermeister: Ja, das
wäre das Beste, ich freue mich ganz
besonders . . .(zu
Grüntal): Guter Mann, seien Sie doch nicht so
ungeduldig!
Grüntal: O, von wegen . . .
hab ganz andere Sachen im Kopf, Ungeduld kann warten.
Bürgermeister: Auf jeden Fall,
kann ich Ihnen versichern, kommen Sie mit der Tonart nicht zum
Ziel. (Zu Boll): Ich kehre noch einmal
mit um, meinen Abschied von Ihrer Frau zu nehmen, Herr Boll.
Grüntal (kehrt gleichfalls um, geht neben dem
Bürgermeister).
Bürgermeister (bleibt stehen): Nanu, das muß ich sagen
– das finde ich unerhört!
42
Grüntal (steht gleichfalls still): Ich laß mir was
gesagt sein. Gut, ich soll warten – will mich nach
Kräften damit beeilen, kann ich dreist und gottesfürchtig
versprechen.
Bürgermeister (zu Boll): Verstehen Sie was davon, Herr Boll?
(Zu Grüntal): Was wollen Sie
eigentlich von uns?
Grüntal: Ja, wenn Sie denn nu
fertig sind, kann ich woll anfangen. (Zu
Boll): Ich denk bei dem Herrn um Bescheid anzufragen. Man
muß fragen, wo Antworten abfallen wollen.
Boll: Bescheid – Antwort
– wer sind Sie eigentlich?
Grüntal: Ich hab mir gleich
gedacht, mit dem Herrn muß man nur höflich sein, denn
kann man'n um den Finger wickeln. Ich möcht aber bloß dem
Herrn vorstellen, daß ich ihn beileibe nich aufhalten will und
wenn der Herr also nich so viele Umstände belieben
wollte . . .
Boll (zum
Bürgermeister): Der Kerl treibt sich schon länger
in den Straßen herum – ich mache die Kleinigkeit nachher
allein aus – Martha, der Herr Bürgermeister möchte
dir Adieu sagen.
Frau Boll (kommt näher, Grüntal stellt sich vor
sie).
Grüntal: Die Sache mit meiner
Frau geht vor, der Herr wird schon wissen.
Boll (schiebt
ihn fort, Grüntal hält sich am Arm des
Bürgermeisters fest).
Bürgermeister: Eine
handgreifliche Belästigung – lassen Sie los!
43
Grüntal (läßt los): Kommt nich auf an, hab den
Herrn am Ende gar verunsäubert? (Klopft
ihm auf die Schulter.) Sehn Sie, die Hand is nu mal
schmutzig, und wenn ich jemand handgreiflich beschmutzige, dann
wisch ich ihn auch handgreiflich wieder ab, wie es sich
gehört. Der Herr da nimmt es mit so was nich so genau.
Frau Boll: Himmel, Kurt, laß
uns gehen!(Zum Bürgermeister:) Ich
fürchte, er schlägt ihn auf der Stelle tot.
Grüntal: Man ganz ruhig,
Madam. Wenn Sie damit meinen, daß er mich totschlägt, so
kann ich Ihnen das schnell ausreden. Er will ganz und gar nichts
weiter tun, als mir sagen, wo er mit meiner Frau abgeblieben is,
weiter nichts.
Frau Boll: Und das sagen Sie bei
hellem Mittag auf offener Straße?
Grüntal: Das mit meiner Frau
hat sich auch bei offener Straße so gemacht, aber das war noch
am Morgen. Ich kann mich auch genau besinnen, daß es meine
Frau war und keine andere.
Boll: . . . immerhin ziemlich lange
her! (Zu Frau Boll:) Er ließ sich
da Ungehörigkeiten zuschulden kommen, weißt du –
und ich verwies es ihm.
Grüntal: Das war erst und
soweit is alles richtig, aber dann, Herr, wo sind Sie mit meiner
Frau abgeblieben?
Boll: Das lassen Sie sich von sonst
jemand erzählen.
Frau Boll: Kurt!
Boll: Die Sache ist deiner
Aufmerksamkeit unwert – laß das, lohnt nicht. Aber
hör mal, weißt du, was ich 44 dachte, als ich vorher um die Ecke
bog, das lohnt zu erzählen! Wenn da auf dem Turm mit einem
Male die Tanten stehn und tuten mit aller Wut auf uns
los . . .
Frau Boll: Gott, Kurt, wo kommst du
auch alles auf! Welche Tanten?
Boll: Na, ich meine Engel –
schrecken doch mal am jüngsten Tage all die tauben Toten aus
den Gräbern – was für eine Gewalt von Geheul und
Geschrei dann auf dem Markt anginge, dachte ich. Gott im Himmel, da
heißt es nicht: zum Essen, zum Essen – da heißt es:
keine Verwesung vorgeschützt – ran mit jedermann! Wohl
dem, der dann sagen kann: was fragst du mich, ich bin ein anderer!
Seht zu, Kinder, seht zu, wie ihrs macht, aber werdet andere,
daß sie euch nicht fragen können! (Zu
Frau Boll): Stell dir nur vor: nicht mal in der Kutsche
werden wir vorfahren können, und deine Vorgehänge da an
dir dienen nicht mehr, und vielleicht hast du nicht das bloße
Hemd überzuziehen.
Grüntal: Aber bei der
gnädigen Madam wird keiner zweifeln, daß die gnädige
Madam sich in Gottes Namen ohne Hemd sehen lassen kann.
Boll: Lassen wirs gut sein –
haben noch Zeit und am Ende gehts doch nicht ohne Hemd.
Frau Boll: Ich frage mich bloß
immer, wie du dem Manne das alles erlauben magst – wie kann
er sich in deiner und meiner Gegenwart so was herausnehmen. Sag
bloß eins, wie willst du das überhaupt wieder
gutmachen?
Boll: Wiedergutmachen, das lassen
wir getrost sein, 45 wo kämen wir da hin – nein, Kinder,
hört zu: was fragst du mich, ich bin ein anderer
– – und du sprichst von Wiedergutmachen?
Frau Boll (zum
Bürgermeister): Finden Sie das nicht förmlich
seltsam?
Bürgermeister: Herr Boll, Herr
Boll!
Boll: Herr Boll? Also doch Boll und
kein anderer! Da haben wir die Bescherung, keinen Augenblick hat
man Ruhe vor sich selbst. Du siehst, Martha, wie ichs auch anstelle
– Boll bleibt Boll – je mehr ich Boll ableugne, um so
bloßer steh ich da, nackt und bloß, selbst das Hemd
fängt an mir verdächtig zu werden, nein, Martha, es kann
doch nicht sein, kein Versteck weit und breit, nicht mal im Hemd.
Boll, nichts als Boll!
Grüntal: Sehn Sie woll,
gnädige Madam, er steht da für ein, wenn er sich wo was
rausgenommen hat. Da kommen wir alle nich um rum, da is Verlaß
auf. Und so is auf Boll Verlaß, selbst mit Ihrer gnädigen
Gegenwart is da so gut Verlaß auf wie ohne (lacht).
Boll: Ich nicht und auch meine Frau
sind nicht um Ihren Beifall verlegen, merken Sie sich das! Respekt
muß sein, also Rand halten!
Grüntal: So im Handumdrehn
– sehn Sie, so'n Respekt will sich auch mal in Ruhe am
Hintern kratzen. Ihre Frau hat vielleicht ein sauberes Hemd auf dem
Leibe, aber meine Frau Grete hat gewiß eins
an . . .
Frau Boll: Sagen Sie ein Wort, Herr
Bürgermeister, er ist doch direkt mein Mann!
46
Bürgermeister: Zu gern,
gnädige Frau, aber ich müßte fürchten, Herrn
Boll vorzugreifen.
Boll: Das wollen wir alles schon
kriegen.
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