Aber es gehört Weisheit dazu, das Sprüchlein anzubringen und es machte sich nicht – konnte das Winkelchen nicht finden, wo der Provisor Stand hielt, eine stille Minute unter vier Augen.

Grete: Aber du sagtest doch selbst: Boll muß!

Boll: Und dann haben sie mich gejagt, die an mich Verwandten! Denk dir: dies Nest und meine Gestalt dahinein – grade wie wenn ein Ochs auf freiem Felde ins Mausloch will, also habe ich die unsäglichsten Gelegenheiten ausgemacht, um meinen Leib den Leuten aus den Augen zu bringen, bin den ganzen Nachmittag an allen herrschaftlichen Gewohnheiten geschunden – bedenk das, Grete.

Grete: Wieder bedenken – wo doch ich muß und du mußt?

Boll: Weißt du, Kind, ich glaube nicht, daß es hier an dem ist, daß Boll muß. Und ich glaube nicht, daß du mußt.

Grete: Laß mich los.

Boll: So schnell nicht – mir gehts wie im Turm; wo mir wohl ist, da bleibe ich – und mir ist wohl bei dir.

Grete: Pfui, wie wohl fühlst du dich im Fleisch – mein Mann und ich wissen, was im Fleisch steckt und bei dir ist viel zu viel – laß los.

Boll (gibt sie frei): Wohin willst so schnell, geh' langsam, Grete, und laß uns von guten Dingen reden.

Grete: Denkst du, ich laufe vom Dorf herein, um 57 Fleisch zu finden? Ich suche, was ich brauche, weg mit Fleisch! (Guckt um sich.) Hier sind auch zu viel Leute!

Boll: Leute – was für Leute?

Grete (zeigt): Eben standen sie vor den Fenstern, jetzt sieht man keinen – sind da oder sind nicht da, aber Leute sinds.

Boll: Dicke Schatten sind da, Grete, so dick wie die dicksten Menschen nicht machen können.

Grete: Wenn ich sie doch gesehen habe! Ich bleib nicht, wo so viel Leute sind.

Boll: Sieh, ich hab dir doch helfen wollen!

Grete: Ich geh hin und geh so lange, bis ich hab, was ich such. Mancher wird sein, der besser taugt als du. Ich hab bloß deine Stimme lieb und die sagte das vom Vollbringen.

Boll: Kommt nicht meine Stimme aus meinem Fleisch?

Grete: Deine Stimme kommt aus der guten Welt und du bist wohl aus der guten Welt, aber pfui über dein Fleisch.

Sie geht die Straße hinab und verschwindet im Dunkel, Boll, unbeachtet von ihr, begleitet sie. Links wird die Tür geöffnet, ein starker Lichtstrom fällt heraus und bildet einen hellen Raum quer über die Straße. Elias mit halbem Leibe hinaus und horcht auf den Gesang von gegenüber.

Elias: Heute klingts wie eine Kaffeemühle, da ist die alte Unk bei – ihr Hals ist wie 'ne rostige Rattenfalle und da quetscht sichs arme Hallelujah drin zu Schanden.

58 Stimme von drinnen: Heute, hab ich mir gedacht, setzen sie die nächtliche Ruhestörung aus und halten Auktion um den Herrn Grafen seinen Nachttopf.

Elias: Ich glaub, ist Zeit – wollen alles parat machen, setzt vielleicht Almosen aus der himmlischen Vorschußkasse.

Elias und seine Gäste tragen unterdes einen Tisch und Stühle auf die Straße in den Lichtstreifen, so daß die Runde grell beleuchtet wird. Elias bringt Gläser.

1. Gast: Ja, oder den verlornen und wiedergefundnen Groschen, wißt ihr!

2. Gast: Kannst mir sagen, wer der Mann mit dem Eselskinnbacken war?

3. Gast: Das, wo Mißgeburten vorkommen, haben wir nicht behalten müssen – du fragst umsonst.

1. Gast: Seid still, sie kommen.

Die Tür gegenüber öffnet sich und die Sekte verkrümelt sich ins Dunkle.

Elias: Nummer eins hat sich Gewalt angetan und jemand anders gelobt als sich selbst. Nummer zwei hat sich einen Bruch posaunt und mit Ereiferung seine Weste bekleckert. Nummer drei – oha, Nummer drei! Hat eine Stirn, da kann keiner mit – steckt ihn mit der Nase in seinen eigenen Mist und er sagt: gesalbt bin ich, gesalbt! Nummer vier, du bist nur Nummer vier, aber du hilfst Nummer fünf. Nichts kommt zu Wenig und das macht zusammen Was. Nummer sechs, steht auf, Leute, ehrt Nummer sechs, Tante Unk soll leben!

59 Sie stehen auf.

Elias: Hier, Tante Unk, tu einen Schritt retour, hier sind Leute und verstehn sich auf Flötentöne. Hier heißt es zur gemütlichen Teufelsküche, hier kannst hocken, da setz dich und laß dich vom Stuhl auf deinen frommen Steiß küssen.

Frau Unk (geht weiter): Sie können mich doch nicht kränken, Herr – – aber wissen Sie wohl wie es heißt: geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür hinter dir zu?

Elias: Das ist schon besorgt für heute, in die geheime Kammer brauch ich nur einmal täglich. (Gelächter.)

Frau Unk eilig fort.

Holtfreter mit dem Herrn.

Holtfreter: Herr, Sie können mir das nicht übel nehmen, Herr, daß ich nicht von Ihnen abgeh – aber ich konnte mir das nicht antun, Herr.

Herr: Ich seh schon, Sie haben Lust, Bekanntschaft zu machen, wollen wir uns hier mit hinsetzen?

Holtfreter: Wenn Sie es denn wirklich nicht übelgenommen haben, gern.

Setzen sich.

Holtfreter: Ich bin den ganzen Tag so rumgelaufen und hab müde Beine – Sie gehn auch nicht schnell, Herr.

Herr: Nur etwas steif zu Fuß, hier das eine Bein kann nicht so wie das andere.

Holtfreter: Das seh ich, das sah ich gleich. Haben Sie – sind Sie – in was für Schuhwerk laufen Sie – ich bin nämlich Fachmann (sieht unter den Tisch).

60 Herr: O, ich trage gut gemachte Sachen – kaum zu erkennen, daß das Bein zu kurz ist.

Holtfreter: Ja, das ist es, Herr, was ich mir gleich gedacht habe, wie kommen Sie bei dem Bein?

Herr (lacht): Wieso? Ist ganz mit rechten Dingen zugegangen, das ist ein Fehler von Geburt an.

Holtfreter: Das machen Sie mir nicht weis! Das Bein ist vor drei Tagen bei meiner Person zur Reparatur abgegeben und unversehens entwischt. Das Bein hab ich verantwortlich übernommen, für das Bein hab ich zu seiner Erlangung städtische Anstalten aufgeboten.

Herr (lacht): Lassen wirs gut sein und nehmen Sie ein Glas Bier von mir an.

Elias bringt Gläser.

Holtfreter: Gut sein lassen? Nee, Herr, ich soll persönlich für das Bein aufkommen – muß ich erst nach Polizei rufen?

Herr: Die Mühe will ich Ihnen sparen; wenn ich verdächtig bin, mit einem gestohlenen Bein aufzutreten, so begleite ich Sie damit auf die Wache. Sind Sie zufrieden? Prost!

Holtfreter: Aber ich muß mir was mit aufpassen herausnehmen, das Bein hat einen verteufelten Schritt am Leibe und sitzt an einem Satanshinterviertel – Prost!

Herr: Soweit ist alles in Ordnung – also ein Satanshinterviertel! (Klopft sich auf den Schenkel.) Aber außerdem, ich meine, was sonst noch dranhängt, Gräten und 61 Gerüst, das ist aller Ehren wert – ich bin – außerdem, wissen Sie – ein Menschenfreund.

Holtfreter: Na – ja, das will ich auch gar nicht anders gesagt haben.

Herr: Da ist übrigens wieder mal ein Beispiel auf die Beine gebracht – das Wachsen und Werden sucht sich seltsame Wege.

Holtfreter: Wie meinen Sie das?

Herr: Sie können gar nicht ausspucken, ohne einen Punkt zu treffen, wo was drauf lauert, geschaffen zu werden, wo was raus will aus dem Puppensack. Sehen Sie: was ist heute aus dem Bein geworden – bin ich nicht ein passabler Zeitgenosse, gewachsen aus einem Satanshinterviertel? Werden, das ist die Losung!

Elias: Der Herr sucht hier wohl das Bethaus?

Herr: Ganz recht, ich habe hier Freunde, aber ich fürchte, es ist zu spät und sitze ja auch hier in guter Gesellschaft – bin überall unter Freunden, im Bethaus wie in der Kneipe, wir und ihr, alle sind auf gleichen Wegen des Werdens und laufen dem Bessern zu, selbst auf Teufelsbeinen.

Elias: Da haben wir ja die schönste Erbauung umsonst zum Bier.

Herr: Zu dienen – umsonst. Bier wird bezahlt, mit Erkennen werden wir belohnt. Immer voran, immer was Frisches, immer mehr ins Freie – so gehts mit uns und – wie gesagt, völlig umsonst.

Holtfreter: Ich heiße Holtfreter, Herr.

62 Herr: Nun?

Holtfreter: Aber das mit dem Werden muß doch mal seine Grenzen haben, denn, Herr, wenn das immer so weiter geht und wir so fort in die unermeßliche Großartigkeit hinwachsen, denn erkennen wir uns ja schließlich selbst nicht wieder.

Herr: Ist das schade? Wollen Sie ewig Holtfreter sein – lohnt sich das? Aber lohnen tut es sich, so zu werden, daß Sie sich schämen müssen, Holtfreter gewesen zu sein.

Holtfreter: Schämen, Herr?

Herr: Sie nicht, so nicht – übrigens, kennen Sie einen hiesigen Herrn Virgin und können Sie mich zu seinem Hause bringen? Wir gehen, wenn Sie wollen, vorher zusammen auf die Wache. Ich sage Ihnen unterwegs, wie ich das mit dem Schämen meine.

Holtfreter: Halten Sie ums Himmelswillen mit Ihrem Teufelsbein langsamen Schritt – Herr Virgin wohnt gleich rechts vom Markt.

Holtfreter und Herr ab.

Erster Gast: Na, Elias, ich bin noch durstig.

Elias: Heute gibts nichts mehr, dein Durst ist im Werden und wird immer großartiger, aber dein Kredit bleibt im Puppensack, da ist kein Ausgleich.

Gast: Also auf Morgen!

Zweiter Gast (zum Dritten): Wir haben einen Weg. (Alle drei ab.)

Grete kommt zurück, Boll hinterdrein und faßt sie am Arm. 63 Elias räumt auf.

Boll: Es ist reichlich viel verlangt, Grete – – schließlich bist du eine gescheite Frau und weißt, daß ich jemand bin und mich sonst mit Bitten nicht lange aufhalte. Also, du sollst alles haben, hörst?

Grete: Wie du doch schlank bist, blauer Boll – nicht, das läßt du dir gern sagen?

Boll: Versprach ich dir nicht alles und alles, Grete?

Grete: Wie jung, blauer Boll – magst du das wohl?

Boll: Denkst, du mußt mich quälen, Hexe?

Grete: Bist du nicht der, der nicht müssen braucht, blauer Boll, hast das noch lieber?

Boll: Wenn du es sagst, muß ichs wohl gern hören. Ja, Grete, sags noch einmal.

Grete: Du mußt nicht müssen, wenn du gleich der blaue Boll bist!

Boll: Weiter so!

Grete: Ich hab dich lieb, blauer Boll, ob dir das gefällt?

Boll: Es tut gut – ja Grete, mehr als ich sagen will, weiter so.

Grete: Boll muß – hinnehmen muß er, muß sich schämen, muß sich sonstwas sagen lassen!

Boll: Ich hör' es, Grete, sags noch einmal, wenn dir danach ist.

Grete: Alles aus Lust, aus böser Lust, blauer Boll, hörst du zu?

Boll: Ich hör'.

64 Grete: Nichts sollst du von mir haben, nichts geb ich dir – und wenn du noch einmal sagst, daß du mir helfen willst. Boll muß, bald so, bald so.

Elias: Leute, Leute, was für ein Leben! Könnt nichts Besseres tun, als zu Bett gehen. Aber wenns so weit noch nicht ist, na, denn wartet auf gute Zeit, laßt frische Weile anzapfen, hebt keine alten Reste auf – Werden ist die Losung.

Er schiebt Grete einen Stuhl hin und nötigt sie zum Sitzen.

Boll: Was ist das hier für eine Wirtschaft – tiefe Nacht und auf offener Straße?

Elias: O, die Polizei macht bei mir ein Auge zu – stehen uns gut miteinander, hier ist mancherlei Gesellschaft wohl aufgehoben – können sich ruhig hinsetzen.

Boll (setzt sich an die andere Seite des Tisches): Was kann man hier denn noch haben?

Elias: Lauter bekömmliche Auswahl, Happen für die herrschaftlichsten Mägen. Dürfen nur befehlen.

Boll: Haben Sie mal was von Maraschino läuten hören?

Elias: Meine Frau, Herr, schläft ihren gerechten Schlaf und ihre Gewohnheit darin ist stets und ständig mit den Schlüsseln unterm Kissen – kann nicht an den Schrank mit den Nippsachen, leider, leider! Aber die ganze ordinäre Aptheke will gern verwandt mit dem Herrn werden.

Boll: Ich seh schon, was dabei herauskommt, behalten Sie Ihr Gift für sich.

65 Elias (stellt sich breitbeinig vor ihm hin): Wie ich schon sagte: Werden, Herr, das ist die Losung – gar nicht abzusehen, wohin es noch mal mit uns kommt vor Großartigkeit. Auch Sie, Herr, sind zu Großem erlesen – was ich Ihnen sage, wollen Sie ewig der blaue Boll sein, lohnt sich das? (Nötigt ihn, da er aufstehen will, zum Bleiben.) Darin können Sie was vertragen, und wütend wird Ihr Werden wuchern – auf dieser Wiese des Trostes können Sie tapfer grasen gehen.

Boll: Woher wissen Sie, wer ich bin? Im Grunde habe ich mit dem blauen Boll ganz wenig zu tun, fast nichts.

Elias: So gut wie nichts, auch das Schätzchen nicht?

Boll: Das ist ihre eigene Sache – ich jedenfalls nichts mit ihr. Und wenn schon blauer Boll, möchten Sie mit mir tauschen?

Elias: Sie vielleicht mit mir? Man nennt mich hier herum den Teufel Elias. (Flüsternd.) Und ich will Ihnen was sagen: im Vertrauen, unter uns Beiden – es ist was dran!

Boll: Na, denn lassen wirs tauschen nach – ausgerechnet Teufel? Woran merken Sie denn das so hauptsächlich, das mit der Teufelei – was für Symptome? Finden Sie nicht, daß ich bei dieser Sachlage geradezu nett mit Ihnen rede?

Elias: O, ich bin es förmlich gewohnt, selbst mit Ehrenmännern zu reden – aber man soll die Vorteile davon nicht überschätzen. Ja, Herr Boll, also das Teufelsein – wissen Sie, man soll es nur richtig sein, dann ist's 66 schon gut.