Die Tür war zu. Er würde sie nicht mehr sprechen, er würde sie nicht mehr wiedersehen dürfen. Das waren also nur ein paar Minuten gewesen, die niemals wiederkommen würden. Sie würde eher herauskommen. In zwei Wochen würde nebenan irgendein anderer liegen, irgendein Heringshändler oder eine alte Großmutter. Sie würde vielleicht einmal wiederkommen wollen, aber man würde sie nicht hereinlassen. Was wollte sie auch bei ihm, dem armen Krüppel, dem Mann ohne Beine. Der Arzt hatte es ja eben selber gesagt, daß er ein Krüppel bleiben würde. Und er sank zurück in seine Verzweiflung. Er lag still.
Seine Schmerzen kamen wieder. Er biß die Zähne aufeinander, um nicht zu schreien. Und die Tränen traten ihm in die Augen, gewaltsam wie Feuer.
Ein Krampf schüttelte ihn, er fror. Seine Hände wurden eiskalt. Er fühlte, wie das Fieber wiederkam. Er wollte den Namen des Mädchens rufen. Da merkte er, daß er ihn nicht kannte. Und diese plötzliche Erkenntnis stieß ihn noch tiefer in seinen Abgrund. Nicht einmal ihren Namen. Er wollte »gnädiges Fräulein« oder so etwas sagen, aber als er sich aufsetzte, sah er in das gelbe Gesicht seiner Wärterin, das in unzähligen Nachtwachen alt, stumpf und gemein geworden war.
Er war ja nicht allein. Er hatte das ganz vergessen. Man hatte ihm einen Wächter hingesetzt, diesen Satan von einer Krankenschwester, diesen alten verwelkten Teufel, von dem er abhängig war, der ihm befehlen konnte. Und er fiel wieder zurück.
Nun würde ihn niemand mehr erlösen, nun würde ihn niemand mehr retten. Und da hing der Christus, dieser armselige Schwächling, und lächelte immer noch. Er schien gar nicht genug leiden zu können, er schien sich zu freuen über seine Qualen, und Jonathan erschien das Lächeln des Gottes seltsam, bösartig und gemacht wie das einer erkauften Wollust. Er schloß die Augen, er war besiegt.
Das Fieber übermannte ihn mit seiner ganzen Gewalt. In den beginnenden Paroxysmen tauchte noch einmal, wie der Abendstern an einem leeren Himmel, das Bild seiner unbekannten Nachbarin auf, weiß, fern, wie das Gesicht einer Toten.
Gegen Mitternacht schlief er ein. Er schlief den schrecklichen Schlaf, in dem Krankheit und Verzweiflung einen Menschen erstarren lassen, wenn sie das Arsenal ihrer Qualen erschöpft haben.
Er schlief kaum zwei Stunden. Als er aufwachte, überfielen ihn die Schmerzen in seinen Schenkeln mit solcher Macht, daß er fast besinnungslos wurde. Er klammerte sich mit aller Gewalt an den eisernen Bettpfosten. Er glaubte, die Beine würden ihm von glühenden Zangen herausgerissen, und er stieß einen schrecklichen, langgezogenen Schrei aus, einen jener Schreie, die so oft nachts in den Krankenhäusern plötzlich aufwachen und die Schlafenden aus ihren Betten aufscheuchen und das Herz eines jeden mit Grauen ersticken.
Er hatte sich im Bette halb aufgehoben.
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