Jetzt schlugen alle Türme aus der Stadt hinter dem Walde. Er sah eine Glocke schwingen in der klaren Luft, oben im Schalloch eines Kirchturms. Und bei jedem dieser dröhnenden Schläge war es ihm, als würde ihm langsam, ruckweise, um seine Qual zu verlängern, das Herz aus der Brust gerissen. So, so, jetzt wird es bald draußen sein, dachte er.

Die Türme schwiegen, es wurde wieder still. Und in seiner Brust wurde es ganz leer, es war ihm, als wäre darin ein großes hohles Loch, als trüge er etwas Totes in sich herum.

Es kam ihm so vor, als hätte ihm jemand etwas Dumpfes in sein Blut gegossen. Davon wurde sein Kopf so schwer, davon wurde er so müde.

Über einem sonnigen Teich, der durch die Bäume der Anlagen herüberschimmerte, zeigten sich einige Rauchwolken aus dem Schornstein des Badehauses. Sie verflogen im Wind. Er sah ihnen teilnahmslos nach, wie sie im Lichte zergingen. Ein paar Stimmen wurden hinter den Büschen laut. Ein paar Kindermädchen kamen, die die Kinderwagen vor sich herschoben.

Sie setzten sich ihm gegenüber auf die Bank im Rondell, sie hoben die Kinder aus den Wagen, die sogleich über einen Sandhaufen purzelten.

Da stand er auf und ging fort, langsam, gedankenlos.

Er kam wieder an den Strand herunter. Er ging wieder durch die Strandkörbe. Da saßen noch die alten Damen mit ihren Büchern, da stand der Photograph vor einer Gruppe von Menschen. Er mußte wohl einen Witz gemacht haben, denn alle hatten lachende Gesichter.

Er wurde von seiner Leidenschaft nach dem Strandkorbe hinübergetrieben, in dem er am Mittag den Kuß bekommen hatte, wie ein kleines Schiff, das der Sturm erbarmungslos auf einen Felsen jagt.

Vielleicht saß sie darin. Das war seine letzte Hoffnung. Er schlich sich vorsichtig zwischen den Strandkörben durch, immer näher. Und die rote Fahne schien ihn von dem Dache heranzuwinken.

Nun war er ganz nahe. Eine ungewisse Angst hieß ihn stehenbleiben. Da hörte er ihre Stimme. Sie lachte. Und nun wieder eine andere Stimme, das war eine Knabenstimme.

Er schlich vorsichtig weiter in einem Bogen herum. Er warf sich in den Sand und kroch auf allen vieren vorwärts. Als er so weit war, daß er sie sehen konnte, legte er sich hinter einen Sandhügel und hob den Kopf etwas über den Rand herauf.

Da saß sie auf dem Schoß eines Jungen. Der Junge bog ihren Kopf herunter, gab ihr einen Kuß, dann ließ er ihn los. Seine Hand griff nach ihrem Bein, und fuhr langsam daran hinauf. Und sie lehnte sich an die Schulter des Jungen, weit zurück. Der kleine Junge zog seinen Kopf wieder zurück und kroch davon, mechanisch ein Bein hinter dem andern, eine Hand hinter der andern.

Er empfand eigentlich nichts, keinen Schmerz, keine Qual. Er hatte nur den einzigen Wunsch, sich zu verstecken, irgendwo hinkriechen und dann ganz stilliegen, irgendwo sich einen kleinen Fleck suchen im Strandhafer.

Als er weit genug war, erhob er sich aus dem Sand, ging er fort.

Auf seinem Wege traf er einen Schulkameraden, er verkroch sich hinter einem Zelt vor ihm. Von rechts kam seine Mutter und rief ihn herüber. Er tat, als hätte er nichts gehört. Er begann zu laufen, über die Strandkörbe und über die Menschen hinaus.