Und bei seinem Laufen kam ihm plötzlich der Gedanke, daß er heute schon einmal so gelaufen war, mittags, als er so glücklich gewesen war.

Da übermannte ihn die Qual. Er rettete sich schnell die Dünen herauf. Oben warf er sich hin, das Gesicht in den Halmen. Der Strandhafer nickte über seinem Kopf wie ein Wald, ein paar Libellen kamen summend durch die Halme.

Und das war das erstemal im Leben des Knaben, daß er an einem Tage den Becher der Seligkeit und den der Qual trank, er, der verurteilt war, noch oft von den Extremen der tiefsten Qualen und des wildesten Glückes erschüttert zu werden, wie ein kostbares Gefäß, das durch viele glühende Flammen gewandert sein muß, ohne zu zerspringen.

 

Der Dieb

 

Motto:

Aux sots je préfère les fous

Dont je suis, chose, hélas! certaine.

Baudelaire.

 

»Gott, ich schwöre Dir, ich werde Deinen Willen tun. Denn Du bist der Herr, Herr, und ich bin Dein Werkzeug für und für, von nun an bis in Ewigkeit. Amen. Das heißt, ja, ja, es soll also geschehen. Ich habe Dich auf den Knien gebeten, Du weißt es, Nacht für Nacht, hier in dem Gethsemane dieser Dachstube: ist es möglich, Herr, so lasse diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe. Und nun will ich mich gürten und ausfahren, wie weiland Elia gegen die falschen Priester, oder wie Mose, der gegen den Reigen der Tänzer anschritt. Nicht eine mehr dieser Nächte, Herr, sonst bringst Du mich um meinen Verstand, und ich brauche ihn, denn Du hast ein großes Werk auf meine Schultern gelegt.«

Er fiel nieder und verbeugte sich vor dem Engel des Herrn, der hinter dem Ofen stand, da, wo der Paletot hing, dort, wo er jetzt immer zu erscheinen pflegte.

Dann stand er auf, nahm das Paket und ging.

Er wußte nicht, wie es angefangen hatte. Seit einigen Jahren hatte er sich von seinen Freunden zurückgezogen in einem Anfall plötzlichen Ekels. Er war bald vergessen worden. Seine Freunde wußten nichts mehr von seinem Leben. Sah ihn zufällig mal einer im Vorübergehen, so erkannte er ihn nicht mehr.

Er hatte seine Zeit mit allerlei Studien verbracht, um die Qualen seiner Melancholie zu heilen. Er war der Reihe nach Biologe, Astronom, Archäologe gewesen, alles hatte er wieder fallen lassen. Nichts hatte ihn befriedigt. Alles hatte ihn nur mit größerer Leere erfüllt. Und nun lebte er in einer großen Pension, vergraben in sein kleines Mansardenzimmer, einsam, von niemand gekannt, einer unter den vielen Einsamen dieser großen Stadt.

Die Abende verbrachte er damit, daß er in den Tiefen seines Lehnstuhles dem schwindenden Lichte nachsah und den Schiffen der Wolken, die sommers mit ihrem rötlichen Kiel nach Westen reisen auf der Fahrt nach neuen, geheimnisvollen Ländern. Oder im Spätsommer, wenn die Tage des Nordwestwindes beginnen mit den großen und seltsamen Gebilden am Himmel, damit, daß er den himmlischen Tieren, die der Herbst über die grünen Weiden sandte, zusah, den großen Walfischen, den riesigen Dromedaren und dem Geschwader unzähliger kleiner Fische, die über den Ozeanen des Himmels im unendlichen Blauen verschwanden.

Über alle merkwürdigen Erscheinungen machte er sich Aufzeichnungen. So sah er einmal vor einem weinroten Grunde den Teufel über einem Haufen von schwarzen Leibern, die ihn anbeteten; ein andermal sah er eine ungeheure Fledermaus, die mit ausgespannten Flügeln an den Himmel angeschlagen zu sein schien, wie sie von den Bauern an die Türen der Scheunen genagelt wird, oder einen riesigen Dreimaster, oder Bäume auf Bergen, oder gewaltige Löwen, ungeheuere Schlangen, die um die Schultern des Himmels gelegt waren, oder einen riesigen Mönch in einer schleppenden Soutane, oder Männer mit seltsamen langen Profilen, und einmal einen feurigen Engel, der mit einer großen Fackel über die Treppen des Äthers stieg.

Manchmal war alles erfüllt mit einer seltsamen, fast unhörbaren Musik, wie das Brausen der Ozeane in der Dunkelheit endloser Grotten und unterirdischer Dome.

Die Wolken waren sein letztes Studium gewesen, die letzte Verlockung, das gefährlichste Werk des Teufels.

Eines Abends hatte er das Buch verbrannt, und wenn er nun den Sturm hörte, der abends den purpurnen Buzentaur einer Wolke über den Horizont trieb, dann schloß er die Läden, verhängte sie innen noch mit schwarzen Tüchern und versenkte sich ganz in das Dunkel und in das Schweigen.

Und damals hatten die Stimmen angefangen, von fern aus einem Winkel, wie aus Röhren herauf, gedämpft und müde wie die Klagen der Toten, die unten in den Adern der Erde herumschwimmen.

Er hatte sie in den ersten Wochen nicht verstanden, aber allmählich lernte er ihre Sprache, je mehr die Stimmen über ihn Macht gewannen. Und nachdem er einmal vier Tage gefastet und vier Nächte gewacht hatte, war ihm die erste Erscheinung zuteil geworden, und da zum ersten Male hatte er jenes Gefühl unendlicher Seligkeit und unermeßlicher Qualen empfunden.

Langsam wie Christus, der zwei Jahre in den Schrecken der Wüste ausharren mußte, war er auf seine große Fahrt vorbereitet worden. Welche Leiden, welche Schrecken, welche schlaflosen Nächte, aber auch welche Hoffnungen, welche Ekstasen, welche Visionen. Nachdem sein Leib sich ganz des Fleisches entwöhnt hatte und nachdem endlich der letzte Rest animalischer Stoffe aus seinem Blute geläutert war, erfuhr er endlich in einer Nacht von einer Stimme, die über dem Meere aufging wie ein Gedonner, seine Botschaft.

Ja, das Weib war das ursprüngliche Böse. Christi Werk war umsonst gewesen. Denn wie sollte er die Menschen erlöst haben, wenn sie immer wieder zurückfallen mußten in die Sünde aus Notwendigkeit, wie ein Stein zurückfällt, und wäre er bis über die Wolken geschleudert worden. Wahrhaftig glichen sie den armseligen Fliegen, die aus einem Honigtopfe heraus wollen, sie zappeln und krabbeln, aber sie kommen nicht weit, sie müssen immer wieder herunter unten in die Sünde, in das Süße. Und er las laut bei Markus im 15. Kapitel am 34. Vers:

»Und um die neunte Stunde rief Jesus laut und sprach: Eli, Eli, Lama Asabthani.