Das ist verdolmetscht: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«
Vers 37: »Aber Jesus schrie laut und verschied!«
»Mein Gott, warum hast du mich verlassen.« Das also war das letzte Wort Christi gewesen, und damit begrub er seine ganze Herrlichkeit. Im Grauen des Todes hatte er die letzte Wahrheit erkannt. Sein Werk war umsonst gewesen, sein Einzug in Jerusalem, seine blutige Geißelung, seine Schmerzen, der Leidensweg und die langen Stunden am dunkeln Holz. Gott hatte ihn verlassen, und sein Werk war umsonst gewesen.
Und das Dunkelwerden des Himmels, das Zerreißen des Tempelvorhanges, das Heraufkommen der Toten aus den Gräbern, es war nichts gewesen als die armseligen Requisiten einer schlechten und sinnlosen Komödie.
Ja, und »er schrie laut auf und verschied«.
Und er las weiter das 17. Kapitel der Offenbarung Johannis:
1. »Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen hatten, redete mit mir, und sprach zu mir: ich will dir zeigen das Urteil der großen Hure, die da auf vielen Wassern sitzet.
2. Mit welcher gehuret haben die Könige auf Erden, und die da wohnen auf Erden, trunken geworden von dem Wein ihrer Hurerei.
3. Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sahe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.
4. Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosinfarbe; und übergoldet mit Golde und Edelgesteinen und Perlen; und hatte einen goldenen Becher in der Hand voll Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei.
8. Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen und ist nicht, und wird wiederkommen aus dem Abgrund, und wird fahren in die Verdammnis, und werden sich verwundern, die auf Erden wohnen, deren Namen nicht geschrieben steht in dem Buche des Lebens vom Anfang der Welt, wenn sie sehen das Tier, daß es gewesen ist, und nicht ist, wie wohl es doch ist.«
»Das Tier, das gewesen ist, und nicht ist, wie wohl es doch ist.« Und der Tiefsinn dieser Worte machte ihn erschrecken.
Er sah vor sich den Hals des teuflischen Tieres in schrecklicher Traurigkeit, und über seinen Hörnern hängend das Gesicht des Weibes, über ihrer Stirn das Siegel des Todes, und um ihren Mund ein furchtbares und herzzerreißendes Lächeln wie den Widerschein des höllischen Abgrundes.
So mußte also alles noch einmal getan werden, denn das Tier war noch nicht bezwungen.
Das Übel mußte bei der Wurzel gepackt werden.
Adam war gut, solange er allein war, aber als Satan sich in den Traum Gottes schlich und ihn das Weib schaffen hieß, war die Stunde der Sünde schon in die Zukunft der Geschlechter gesetzt. Wann der Mann fallen mußte, ob durch das erste Weib oder erst durch ihre Töchter, war nicht bestimmt; daß er fallen mußte, war gewiß.
Und an dem Weibe war der Messias vorübergegangen. Darum hatte ihn Gott in der letzten Stunde verlassen.
Ein Symbol gab es; da versammelten sich die Weiber immer, oder sie gingen auch nur an ihm vorüber und sogen aus ihm eine neue Kraft, wie die Schlangen, die manchmal in ihre geheimnisvollen, unterirdischen Städte zurückkehren, um sich neue Gifte zu holen.
Und dieses Symbol hing da, die Straße hinunter, zwei Straßen weiter, in seinem Tempel, und alles andere, was da noch aufgehängt war, war nur da, um das Zeichen zu verstecken und den Männern das Geheimnis zu verbergen. Ja, ja, darum lachten die Frauen auch immer so, wenn sie ihre Regenschirme in der Garderobe abgaben. Gott hatte es ihm selber gesagt.
Das erstemal hatte er sie in den Stunden des Vormittags besucht, wo sie von den vielen umringt war, die alle ihre Herzen auf dem Altar der Teufelin opfern wollten. Da konnte sie auf ihn nicht so aufpassen, ihren Feind nicht gleich herauskennen. Und so konnte er sich langsam an ihre Augen gewöhnen. Jeden Tag blieb er etwas länger, jeden Tag wurde er geduldiger und kräftigte sich mehr für den letzten Kampf mit dem Drachen, gleich jenem Mithridates, der täglich größere Dosen der Gifte nahm, um sein Blut abzuhärten.
Im Anfang hatte er noch die mannigfachen Schutzmittel gegen den bösen Blick angewendet, daß er beim Betreten des Saales den Daumen der linken Hand durch Zeige- und Mittelfinger steckte oder daß er einen silbernen Phallus bei sich trug. Aber allmählich konnte er ihrer entbehren und dem Weib ohne Gefahr in die Augen schauen.
Und eines Tages hatte sie gemerkt, wen sie vor sich hatte. Über ihr Gesicht war es plötzlich gelaufen wie der weiße Schatten der Erkenntnis. Einen Augenblick hatte sie sich abgewendet, aber dann hatte sie den Kampf mit ihm aufgenommen. Durch alle die Menschen hindurch hatte sie nur ihn angesehen in seiner Ecke. Ihre Augen waren sich im Raume begegnet wie zwei Dolche, die ineinanderfahren, oder wie zwei große Schlünde eines leeren Weltalls, die einander auffressen wollen. Wer wird den anderen verschlingen, welche Ewigkeit wird größer sein, die andere zu verzehren?
Wer hier siegte, hatte den letzten Sieg erfochten, er hatte keinen Feind mehr, und rings um den Sieger waren entweder die unermeßliche Helle des Lichtes und die Choräle der Sonnen oder schwarze Himmel voll trostlosem Schweigen und über Haufen von Särgen der schwarze Thron Belials und die riesigen Fahnen der Hölle.
Und so kämpfte er im vollen Saale die erste Schlacht, den ersten stummen Kampf, niemand sah ihn, niemand beachtete ihn, niemand bewunderte ihn. Von diesen erbärmlichen Narren wußte niemand, was hier getan wurde, was hier geschah und welche Schicksale der Menschheit auf diesem furchtbaren blutlosen Schlachtfelde entschieden wurden. Hätte er Zeit gehabt im Kampfe, er hätte sie alle zum Tempel hinausgetrieben, diese Wucherer und Götzendiener. Aber er durfte sich nicht fortwenden.
Die Augen begannen ihn zu schmerzen, er sah das Weib nur noch wie durch ein rotes Feuer, ihm war, als sollte er umsinken. Er mußte sich auf einen Stuhl stützen, aber er hielt aus.
Und langsam kam ihm das Gefühl, daß er siegen würde. Ihre Augen waren nicht mehr so hart, nicht mehr so groß, nicht mehr so siegesgewiß. Es ging wie ein Schatten über ihre Stirn, und er sah, wie sie müde wurde und langsam nachließ.
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