Sie schien allmählich aus dem Vordergrunde zu verschwinden, ihre Umrisse wurden dunkel, ihr Gesicht wurde kleiner. Und es war ihm, als tauchte sie in die geheimnisvolle Landschaft hinter ihr zurück wie in den Schleier eines grünen und stillen Wassers.

Und auf einmal war sie nur die gewöhnliche Monna Lisa Gioconda, an der täglich die Horden der Engländer und Amerikaner wie eine Herde Schweine vorübergetrieben wurden.

Die erste Schlacht des himmlischen Krieges war gewonnen. Er fiel in einen Sessel.

Später im Fortgehen drehte er sich von der Tür aus noch einmal nach ihr um. Ihre Augen begegneten sich ein letztes Mal, und er fing einen Blick auf, der spöttisch sein sollte, aber nur wie eine dünne Schicht über Meeren der Wut stand. Und noch einmal zwang er sie und scheuchte sie zurück in ihre felsige Einöde. Als er durch die Tür ging, wußte er, daß sie ihm nachsah, und er hatte das Gefühl, als ob ein Meuchelmörder hinter seinem Rücken stände. Aber er stach nicht zu, er hatte den Mut verloren.

Er war draußen im Glanz der Straßen, und er mußte an sich halten, sonst hätte er getanzt und gesungen und seine Glückseligkeit in die dämmernde Hitze des Himmels geschrien.

Am Nachmittag belustigte er sich damit, aus seinem Fenster zu liegen und den Menschen unten zuzusehen. Dabei aß er eine Tüte Pflaumen und warf die Kerne nach den winzigen Köpfen der Leute. »Wenn sie wüßten«, dachte er dabei, »diese verdammten Spießbürger, wenn diese Idioten doch wüßten«, und sein struppiger Vollbart wurde von einem lauten Lachen geschüttelt.

Von da an begann er seine Feindin auch in Stunden zu besuchen, wo es leer im Louvre war, wenn die Bilder aus dem Schlafe des Tages erwachen, gegen Abend, in den geheimnisvollen Stunden, wo das Licht den Nachmittag verläßt und in dem Halbdunkel der verlassenen Säle jeder Kopf in dem Gefängnis seines Rahmens tiefer und fremder wird.

Er hatte die Gewohnheit angenommen, sie von fern zu belauschen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, und dann erst pflegte er vorzutreten.

Niemals war sie so schön, als wenn die Feuer der untergehenden Sonne im Staube des Zimmers zitternd auf ihrer Stirn lagen und ihre dunklen Haare zu leuchten begannen wie von eigenem Licht. Dann schien sie aus dem dunklen Hintergrunde herauszuwachsen, Fleisch zu werden und sich in dem Lichte ihrer eigenen Schamlosigkeit zu sonnen. Vielleicht war das gerade die Stunde gewesen, in der die Seele jenes verworfenen Künstlers dereinst dem Teufel offen gestanden hatte, sie zu empfangen. Denn auf ihrem Gesicht lag es manchmal wie die Erinnerung an eine ferne entlegene Stunde voll geheimnisvoller Wollust.

Ja, jeder andere wäre auf sie hereingefallen, und manchmal wäre auch er schwach geworden, aber dann rief er im Geiste zu dem Herrn, und der Herr füllte sein Herz mit Haß und himmlischem Zorne.

Und dann trat er vor. Er fühlte ihr Erschrecken, er sah, wie ihr kalt wurde und wie der Widerwillen vor ihm auf ihre Stirn trat. Und dann begann wieder der Kampf. Lautlos und stumm, Tag um Tag. Manchmal glaubte er schon, sie so weit zu haben, daß sie den Kampf gar nicht mehr aufzunehmen wagte. Sie hing dann in ihrem Rahmen wie ein gewöhnliches Bild, ihre Augen waren ohne Licht, über ihr lag es wie ein tiefer Dunst von Wehmut und Reue. Dann hatte er Mitleid mit ihr, er quälte sie nicht mehr. Er betrachtete sie dann mit den Augen eines Arztes, der gekommen war, sie zu retten. Man würde einen großen Schnitt machen müssen, ohne Zweifel eine Operation auf Tod und Leben, man würde sie blenden müssen, aber wenn sie dabei draufging, vielleicht fand sie Gnade vor Gott; man mußte sie wenigstens zur Buße zwingen, denn es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Aber auf einmal lachte sie wieder, und er mußte sehen, daß sie ihn nur verhöhnt hatte, daß alles nur freche Verstellung gewesen war.

Die Wärter achteten nicht mehr auf ihn.

Sie machten über den Verrückten Witze, und sonst kümmerten sie sich nicht sonderlich um ihn. Er begrüßte sie immer sehr höflich, und ab und zu bekamen sie ein gutes Trinkgeld, wenn er länger bleiben wollte, als es das Reglement zuließ. Dann ließ ihn einer der Wärter zu einer Hintertür hinaus.

Im August gab es mehrere Selbstmorde junger Leute. Die Zeitungen gaben in allen Fällen Liebeskummer als Motiv an. Offenbar hatte Gott das gelesen. Denn er nahm das zum Anlaß, energischer vorzugehen.

Der Engel, der die himmlischen Botschaften zu vermitteln pflegte, hatte ihm seit mehreren Tagen schon angedeutet, daß die Stunde der Tat nahe sei, und heute sagte er ihm, daß der 17. August von dem himmlischen Rat festgesetzt sei.

Er war einen Tag lang nicht hingegangen, um sie unruhig zu machen, um durch den Stoß, den er gegen ihre Gewohnheit führte, ihre Gedanken zu verwirren. Er befolgte eine gute Taktik, wenigstens versuchte er, sich das einzureden. In Wirklichkeit war mit einem Male über ihn die Angst hergefallen, nachdem ihm der Engel die Botschaft gebracht hatte. Er war aus seiner Wohnung fortgelaufen, um unter Menschen zu kommen, er wollte sich vor Gott verstecken. Aber Gott war hinter ihm her.