Überall sah er ihn zwischen den Omnibussen, unter den Menschen. Überall wo er hinlief, auf den Schildern der Häuser, auf den Straßenbahnen, fortwährend traf er die Zahl 17, gerade die, die er so gern aus allen Zahlen herausgestrichen hätte. Er war sicher, wenn er die Augen hob, er würde eine 17 sehen, und er sah sie.
Er hörte hinter sich ein paar abgerissene Worte eines Gespräches: »Wenn der Trompeter aus dem Tore heraustritt«, »aber das wäre ja schon morgen«, »ach ja, morgen ist ja der 17.«
Damit war es entschieden. Der liebe Gott schickte seine Polizisten ihm überall nach, er würde ihm doch nicht entgehen können. Die Worte fielen ihm ein: »Und käme ich ans äußerste Meer, so wärest du doch da.« Ja, man konnte sich vor Gottes Angesicht nirgends verstecken, es sei denn, man kröche in die feurige Kehle Satans.
Das mit der Trompete war deutlich eine Anspielung auf das Jüngste Gericht und die Strafe, die seinem Ungehorsam bestimmt war. Und er kehrte um und ergab sich seinem Schicksal.
Den Nachmittag, die Nacht und den Morgen verbrachte er in Gebeten. Er lag vor Gott im Staube, er demütigte sich, er riß seine ganze Seele auseinander und ließ Gott hineinströmen wie einen Rauch, wie ein Fluidum. Um Mitternacht erlosch seine Lampe. Er betete im Dunkel weiter. Und auf den Spitzen seiner Hände, die er im Dunkel schwang, erglänzte ein schwaches blaues Licht wie ein Sankt Elmsfeuer, als führe die Kraft Gottes wie ein Strom in ihn hinein, ihn mit Entzücken zu erfüllen.
Wie ein Krieger schwoll er vor Stärke, er hätte eine ganze Stadt hypnotisieren können, er hätte die nächtlichen Horizonte vor sich auf ihre schwarzen Knie zwingen können, und den dunkeln Ozean hätte er wie einen riesigen stürmenden Mantel hinter sich hergezogen, wenn er von hier gegangen wäre.
Je mehr er sich Gott unterwarf, um so feuriger wurde sein Verlangen, sich mit den Fürsten der Hölle, den Beelzebubs und riesigen Leviathanen des Abgrundes zu messen. Denn natürlich, auch sie trafen ihre Vorbereitungen.
Vielleicht lauerten sie schon zu Hunderttausenden hinter dem Bilde, vielleicht hatten sie durch die rätselhaften Berge in dem Rücken der Göttin ungeheure Stollen heraufgebohrt, in denen sie saßen in feurigen Harnischen, über ihn herzufallen, wenn er das Bild anfassen wollte. Dann würden die Heerscharen der Hölle mit Geschrei, Gestank, Nacht und Flammen hervorbrechen, die Kohorten des Satans, die kamen, ihn, das Louvre, Paris, Frankreich, die Welt, alles zu verbrennen und zu verschlingen.
Und morgen um diese Zeit würde hier vielleicht wieder das Chaos sein, sternlose Himmel, und ein großer gesättigter Drache würde auf der Spitze seines Schwanzes über den Flammen tanzen.
Und nun war die Stunde gekommen.
Es gab keinen Weg mehr zurück.
Gott hatte gesprochen.
Er stand unten an der Tür, seine Knie zitterten so furchtbar, er war so wenig Herr seiner Nerven, daß er sich an die Mauer lehnen mußte.
Um alles noch einmal zu überdenken, um sich zu beruhigen, wollte er erst noch etwas spazierengehen. Und so verlor er sich durch ein paar Straßen voll Menschen. Aber es gelang ihm nicht, unterzutauchen. Denn in ihrer Fülle, in ihrer Ziellosigkeit und Vergänglichkeit strahlte seine Größe und Einsamkeit immer heraus gleich dem Feuer einer ewigen Lampe oder gleich dem Schritt eines unsichtbaren Gottes, der durch die Straßen der Städte wandert. Manche Leute sahen ihn an. Sie schienen sich über ihn zu wundern. Aber er hatte seine Augen unter einer großen Brille verborgen, um ihren Glanz nicht zu verraten. Seine Lippen bewegten sich in Gebeten. Die ausgefransten Schöße seines schwarzen Rockes flogen hinter ihm her, und sein großer Hut rutschte ihm bei jedem Schritt mehr in die Stirn. Als er einen Straßendamm kreuzte, sah ihm ein Schutzmann nach.
Unten an der Seine schon sollte die Schlacht beginnen, denn die Hölle hatte ihre Vorposten weit vorgeschoben. Ein Mann sägte Äste von einem Baume ab, einer fiel ihm gerade auf den Kopf. Er sah herauf, und da sah er den ganzen Himmel mit Dämonen erfüllt, Hundert und aber Hundert reitend auf roten Wolken, Teufel mit einem großen Horn auf der Stirn, andere mit Posaunen, gewaltige Rosse bäumten sich in den Himmel, riesige Lanzen wurden geschwungen, und ein gewaltiger Schrei erfüllte den nordwestlichen Himmel weit über das Dach des Louvre hinaus. Das Blut schwand ihm aus dem Gesicht. Trotz der Hitze des Nachmittags überfiel seinen Leib eine schreckliche Kälte. Seine Adern waren wie verschrumpfte Wurzeln, und sein Gehirn drehte sich wie ein Kreisel in der Enge seines Schädels herum.
In seiner Angst begann er laut zu beten. Ein paar Kinder, die auf der Straße spielten, liefen hinter ihm her. Er versuchte, seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen, trat an eine Selterbude, verlangte eine Limonade. Dann setzte er ruhig und gefaßt seinen Weg fort. Die Kinder verloren sich.
Das war seine letzte Schwäche gewesen, von nun an war Gott bei ihm.
Er trat in den Louvre ein mit seinem Paket unter dem Arm.
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